Zurück zur Übersicht

20.03.2006

Kamerapreis an Judith Kaufmann

Farben, die keine sind. Bilder, die bewusst nur auf einer Ebene scharf sind. Figuren in poetischer Tristesse: Für ihre Bildgestaltung erhielt die Kamerafrau Judith Kaufmann den diesjährigen Marburger Kamerapreis und diskutierte während der zweitägigen Kameragespräche mit Theoretikern und Praktikern ihre Filme.


Kaufmann "Zwischen der Oscar-Verleihung und dem polnischen Filmfestival in Lodz stehen die Marburger Kameragespräche", erklärte der Geschäftsführer des Bundesverbands Kamera, Dr. Michael Neubauer, während der Eröffnung der zweitägigen Veranstaltung. Tatsächlich glänzte das Marburger Event mit Stars aus allen Kategorien des Filmgeschäfts: so die Schauspielerin Monica Bleibtreu, der in Hollywood arbeitende Filmkomponist Marek Zebrowski, der Regisseur Lars Büchel und auch der aus Kreta eingeflogene Kameramann Walter Lassally. Der Preisträger des vergangenen Jahres war so begeistert von den Marburger Kameragespächen, dass er nun auch als Zuhörer angereist war.

Im Fokus der diesjährigen Veranstaltung stand das Werk der Kamerafrau Judith Kaufmann, die den 6. Marburger Kamerapreis erhielt. Die in Berlin lebende Österreicherin habe in den letzten Jahren eine sehr markante und konsequente Bildlichkeit entwickelt, so die Jury. Mit stark ausgebleichten Farben verschärft sie die Bildkontraste. Ihre Farbfilme vermitteln manchmal den Eindruck, dass die Farben nicht Farben, sondern eher Lichtreflexe sind. Markant neben dem blassen Blau, Grün und Beige tauchen immer wieder schwarze Flächen auf. So werden auch Personen besonders herausgearbeitet, indem ihr abgedunkelter Gesprächspartner nurmehr schwarze Silhouette ist oder sie in der Nahaufnahme die Hälfte des Bildraumes einnehmen, während die andere Hälfte durch Regale, Schränke und anderes sozusagen verstellt ist (vor allem im Film "Scherbentanz"). Ihre hoch differenzierte Lichtgestaltung macht mit subtilen Abstufungen die Räume als Bewusstseinsebenen der Figuren deutlich.

Scherbentanz groß Parallell zu ihren besonderen Farbkompositionen arbeitet Judith Kaufmann mit Unschärfen, sei es durch Regen oder durch die Fokussierung einzig auf die Handlungsebene, während der Bildraum davor und dahinter "verschwimmt".

Häufig wird eine Atmosphäre der Trostlosigkeit beschrieben, die ihrerseits jedoch durch eine tiefgründige Schönheit überlagert wird, sei es nun in den Landschaften, die häufig Felder zeigen, oder in den Gesichtern der markanten deutschen Gegenwartsschauspieler wie Jürgen Vogel, Nadja Uhl, Andrea Sawatzki oder Daniel Brühl.

Die einerseits sympathisierende, doch andererseits bedingungslose Nähe der Kamera betonte die Laudatorin Monica Bleibtreu: "Als Schauspielerin muss ich mich öffnen und hingeben. Da war mit bei der Kameraführung von Judith Kaufmann immer leicht, weil ich sie zwar sehr genau hinschaut - aber mit Respekt und sehr viel Einfühlung." Zusätzlich inszeniert Kaufmann Montagen in ihren Bildern und betont mit raffinierten Übergängen das komplizierte Erzählgeflecht jener Geschichten, die zumeist um die Bedrohten und Gefährdeten kreisen. Die Protagonisten ihrer stark beachteten Filme sind meist junge Erwachsene, die scheinbar im Leben angekommen sind, aber unversehens in eine tiefe Krise geraten. Dabei versinken die filmischen Bilder keineswegs in Depression, denn zu bezwingend sind Kraft und Aufbegehren ihrer Hauptfiguren. Immer wieder gibt es Momente des geglückten Lebens - parallel dazu entfaltet der Raum, sei es nun Ruhrpott oder die verödeten Landschaften der russischen Steppe, eine magische Schönheit. Mit ihren beeindruckenden Bilder, die einem poetischen Realismus nahe kommen, ergänzt Judith Kaufmann das jüngste deutsche Kino mit seiner neuen sozialen Sensibilität.

Erbsen An Hand von drei ihrer neuesten Filmen ("Scherbentanz", "Elefantenherz" und "Erbsen auf halb Sechs") wurde während der Marburger Kameratage am 17. und 18. März die Bildgestaltung von Judith Kaufmann mit ihr selbst diskutiert sowie mit Fachleuten aus Praxis (Regisseur Lars Büchel, Kameramann Martin Langer und Schauspielerin Monika Bleibtreu) und Theorie (Filmkritikerin Marli Feldvoß und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Karl Prümm). Gerade diese Verknüfpung von Theorie und Praxis zeichne die Marburger Medienwissenschaft aus und gebe neue Impulse für die Lehre, freute sich Universitäts-Präsident Prof. Dr. Volker Nienhaus, der zusammen mit dem Oberbürgermeister der Stadt Marburg den Preis verlieh. Erstmals ging der Preis nicht nur an eine Frau, sondern auch an eine Nachwuchskünstlerin, während zuvor internationale Kameramänner entweder für ihr Lebenswerk oder für ihr schon anerkanntes aktuelles Werk ausgezeichnet wurden. Erst in den letzten Jahrzehnten konnten Frauen in diesen bislang männlichen Berufszweig Fuß fassen, inzwischen sind es rund zehn Prozent. Die 43-jährige Kaufmann arbeitet seit 1991 als Chefkamerafrau.

Kontakt

Prof. Dr. Karl Prümm
Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität
Wilhelm-Röpke-Straße

Tel.: 06421/28-24991
E-Mail