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05.05.2006

Atgl-Gen steuert Fettverbrennung im Körper

Weitere Ursache für Adipositas erforscht – An Mäusen nachgewiesen: Ohne Atgl kommt es zu krankhafter Fettspeicherung – Marburger Tierphysiologen veröffentlichen mit österreichischen Partnern im Fachjournal Science

Zuviel Fett im Körpergewebe kann bis zur Herzschwäche oder gar zum Herzversagen führen. Doch anders als lange angenommen, ist die in Industrieländern verbreitete Fettleibigkeit nicht nur in ungesunder Ernährung begründet, sondern lässt sich neueren Erkenntnissen zufolge zumindest teilweise auch auf genetische Veranlagung zurückführen. Eines der Schlüsselgene für diese Veranlagung, so scheint es, dürfte das von einer Arbeitsgruppe um Professor Dr. Rudolf Zechner vom Institut für Molekulare Biowissenschaft der Universität Graz in Österreich im Jahr 2004 entdeckte Atgl-Gen (Adipose Triglyceride Lipase) sein.

Jüngst nun haben Tierphysiologen der Philipps-Universität Marburg einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung der Funktion des Atgl-Gens für den Fettstoffwechsel von Mäusen geleistet. Hierzu hatten sie Tiere untersucht, deren Atgl-Gen im Labor Zechners „ausgeschaltet“ worden war  („Knock-Out-Mäuse“), und zahlreiche Daten über ihren dadurch veränderten Fettstoffwechsel gesammelt. Gemeinsam mit Rudolf Zechner, für dessen Forschungsprojekt über das Atgl-Gen die Untersuchungen durchgeführt wurden, haben die Marburger Wissenschaftler ihre Ergebnisse nun im US-amerikanischen Fachjournal Science veröffentlicht ( Günter Hämmerle et al., „Defective Lipolysis and Imbalanced Energy Metabolism in Mice Lacking Adipose Triglyceride Lipase”, Science Magazine, 5. Mai 2006 ).

„Unter anderem konnten wir bei den rund 25 Gramm schweren Knock-Out-Mäusen präzise nachweisen“, so der Tierphysiologe HD Dr. Martin Klingenspor vom Fachbereich Biologie der Philipps-Universität, „dass sie über zwei Gramm mehr Körperfett verfügten als normale Mäuse. Diese überschüssigen Fettreserven konnten sie aber nicht abbauen und in ihrem Stoffwechsel verbrennen.“ Klingenspor, der als Hochschuldozent in der Arbeitsgruppe Stoffwechselphysiologie derzeit die Professur von Dr. Gerhard Heldmaier vertritt, sowie seine Mitarbeiter Dr. Carola Meyer und Dr. Jan Rozman maßen auch den Sauerstoffverbrauch der Mäuse und das von ihnen bei der Atmung produzierte Kohlendioxid. Der aus diesen Werten ermittelte „Respiratorische Quotient“ bestätigte, dass Knock-Out-Mäuse weniger Fett verbrennen. „Zudem kühlten unsere Tiere regelrecht aus“, erklärt der Biologe. „Als wir ihnen für nur wenige Stunden kein Futter gaben, sank ihre Körpertemperatur von rund 38 Grad Celsius auf gerade noch 27 Grad Celsius. Ohne das Atgl-Gen konnten sie ihre Fettreserven nicht mehr mobilisieren.“

Mit den jüngsten Ergebnissen verfüge man, so Klingenspor, über ein weiteres Tiermodell, das die Erforschung der Adipositas voranbringen werde. Die vom Atgl-Gen codierte Lipase namens Adipose Triglyceride Lipase (ATGL) spiele im Stoffwechsel von Mäusen und vermutlich auch von Menschen eine zentrale Rolle beim Abbau von Körperfett. Trotz der genetischen Einflüsse sei aber davon auszugehen, dass sich Fettleibigkeit in den meisten Fällen nicht allein auf die Gene zurückführen lässt, sondern als komplexe Wechselwirkung zwischen dem Erbmaterial und dem jeweiligen Lebensstil der Menschen aufzufassen ist.

Ihre Messungen hatte die Arbeitsgruppe um Klingenspor in ihrem Marburger Labor durchgeführt, das zum „Neuronetz – Obesity and related disorders“ (Sprecher: Professor Dr. Johannes Hebebrand) des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gehört und sich auf die Erforschung von Ursachen und Folgen der Adipositas („Fettleibigkeit“) konzentriert.

Hier in Marburg und ebenso in Heldmaiers und Klingenspors „Metabolischem Labor“ an der Deutschen Mausklinik (einer am Münchner GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit beheimateten Einrichtung) werden genetisch veränderte Mäuse untersucht, um herauszufinden, wie sich das veränderte Erbgut auf den tierischen Energiehaushalt auswirkt. Hierfür untersuchen die Wissenschaftler insbesondere Gewichtsentwicklung, Körperzusammensetzung, Energieverwertung, tageszeitliche Regulation der Körpertemperatur und den jeweiligen Energiebedarf. Unter anderem steht ihnen ein spezielles Röntgenverfahren (Dual Energy X-Ray Absorptiometry, DEXA) zur Verfügung, das Daten über die Verteilung von Fettdepots im Körper von (narkotisierten) Mäusen liefert.

Die Bedeutung des Atgl-Gens für den Fettstoffwechsel besteht darin, dass es für die Lipase ATGL (Adipose Triglyceride Lipase) codiert. ATGL kann Fett im Körper, wo es üblicherweise in Form von Triglyzeriden gespeichert wird, in freie Fettsäuren umwandeln. Freie Fettsäuren wiederum dienen dem Körper als Energielieferant. Knock-Out-Mäuse, deren Atgl-Gen ausgeschaltet ist, können kaum noch Triglyceride spalten, sodass ihre Fettdepots nicht mehr abgebaut werden können – sie setzen Fett an und werden adipös. Dieser Effekt war in den Untersuchungen der österreichisch-deutschen Kooperation so groß, dass es bis hin zu Herzversagen und frühzeitigem Tod der Versuchstiere kam.

Die ATGL-Lipase wird erst seit kurzem intensiv auf ihre Rolle für den Fettstoffwechsel hin untersucht, denn lange Zeit war fälschlicherweise angenommen worden, dass eine Lipase namens HSL (hormonsensitive Lipase) für den Abbau von Fettdepots im Körper verantwortlich ist.

Weitere Informationen

Homepage von HD Dr. Martin Klingenspor

Nationales Genomforschungsnetz (NGFN)

Arbeitsgruppe Klingenspor im NGFN

Homepage von Professor Dr. Rudolf Zechner

Information über die Entdeckung von Atgl bzw. ATGL

Kontakt

HD Dr. Martin Klingenspor
Philipps-Universität Marburg
Fachbereich Biologie
Fachgebiet Tierphysiologie
Karl-von-Frisch-Straße 8
35043 Marburg

Tel.: (06421) 28 23908
E-Mail