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23.01.2007

K. Paul Hensel zum 100. Geburtstag

Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme gedenkt ihres Gründers

Am 24. Januar jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des Mannes, der vor 50 Jahren die Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme an der Philipps-Universität etablierte. Die Rede ist von dem Volkswirtschaftler K. Paul Hensel, der 1907 in Jena geboren wurde und 1975 in Marburg verstarb.

Nach seinem Tode übernahm Prof. Dr. Alfred Schüller zusammen mit dem Lehrstuhl für Ordnungstheorie und Wirtschaftspolitik die Leitung der Forschungsstelle: „Hensel hat die Forschungsstelle zu einem in Deutschland, aber auch international weithin anerkannten Zentrum der vergleichenden Erforschung von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen gemacht“, so Schüller. Seine nachhaltige Beeinflussung bis heute zeigt sich unter anderem in den „Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen“, die Hensel 1954 ins Leben gerufen hatte und die bis heute als „Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft“ von Alfred Schüller und anderen weitergeführt wird. Ebenso lebendig ist die Tradition des Radeiner Forschungsseminars, das 1967 aus einem Doktorandenseminar hervorgegangen ist. In der Abgeschiedenheit des kleinen Bergdorfs Radein in Südtirol kommen seitdem alljährlich nach Ende des Wintersemesters Wirtschaftswissenschaftler, Historiker und Juristen zahlreicher deutscher und ausländischer Universitäten zu einem intensiven Gedankenaustausch zusammen. Thematische Schwerpunkte bilden die Weiterentwicklung der theoretischen Grundlagen und Anwendungsfragen des Denkens in Ordnungen und der Vergleich von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen.

Die Frage, wie Wirtschaftssysteme funktionieren und welche Konsequenzen damit für die Daseinsbedingungen der Menschen verbunden sind, beschäftigte Hensel sein Leben lang. Hensel studierte in Marburg, Berlin und Freiburg, promovierte 1937 und habilitierte sich 1951 mit dem bahnbrechenden Werk „Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft“. Als außerplanmäßiger Professor in Freiburg gründete Hensel 1954 ebendort die Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme. Als er 1957 auf einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre nach Marburg berufen wurde, führte er hier die Forschungsstelle weiter und baute sie aus. An der Philipps-Universität übernahm er von 1963 bis 1965 das Amt des Dekans und danach bis 1967 das des Rektors bzw. Prorektors. Sozusagen als Andenken steht noch heute ein stattlicher dreiteiliger Konferenztisch im Seminarraum der Marburger Forschungsstelle, den Hensel als Gesellenstück in seiner Tischlerlehre 1925 angefertigt hatte.

Heute konzentriert sich die Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme auf die Analyse von wirtschaftlichen Handlungsrechten, insbesondere der gewachsenen oder bewusst gesetzten Regeln des Rechts, der Tradition, Konvention und Moral. Dabei geht es einerseits um den eigenständigen Ausbau der Grundlagen der deutschen Ordnungstheorie mit ihrem "Denken in Ordnungen", andererseits um die systematische Synthese dieser Grundlagen mit den Ansätzen der Institutionentheorie, wie den ökonomischen Theorien der Eigentumsrechte, der Politik, der Verfassung, der Verbände, der Bürokratie und des Rechts. In Verbindung mit dieser ordnungstheoretischen Neuorientierung befindet sich die Wirtschaftswissenschaft weltweit in einem tiefgreifenden Umbruch, an dem die Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme aktiv mitwirkt. Vielfach wird von einer 'theoretischen Revolution' gesprochen. Nicht zuletzt haben hierzu die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüche in Mittel und Osteuropa sowie die deutsche Wiedervereinigung beigetragen.

Die Arbeiten zur Entstehung und zum Wandel von Ordnungen stehen in direktem Zusammenhang zum zweiten Forschungsschwerpunkt, zu der Analyse und dem Vergleich konkreter Wirtschaftssysteme. Bis Ende der achtziger Jahre standen die Erforschung und der Vergleich der verschiedenen Ausprägungen zentralverwaltungswirtschaftlicher und marktsozialistischer Systeme in der ehemaligen DDR und in den Ländern Mittel und Osteuropas im Vordergrund. Der Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftssysteme hat einen dritten Anwendungsschwerpunkt der Ordnungs- und Institutionentheorie in den Vordergrund treten lassen: Die Übergangsprobleme von einem sozialistischen Wirtschaftssystem zu einer marktwirtschaftlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Am 19./20. Oktober 2007 wird aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Forschungsstelle
eine Veranstaltung stattfinden, die von Prof. Schüller und seinem Nachfolger, Prof. Dr. Stefan Voigt, durchgeführt wird. Zahlreiche Hensel-Schüler werden an dieser Veranstaltung teilnehmen. Besonderer Dank gebührt Hensels Schüler Dr. Michael Hagemann. Er und seine Frau wollen die Arbeiten der Forschungsstelle durch eine Stiftung langfristig sichern.