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25.03.2008

Teils Fliege, teils Mensch

Erstes Käfergenom sequenziert

Ein Schädling und wichtiger Modellorganismus der Entwicklungsbiologie gibt seine Geheimnisse preis: Das Wissenschaftsmagazin „Nature“ hat in seiner Online-Ausgabe vom 23. März 2008 die Gensequenz des Rotbraunen Reismehlkäfers Tribolium castaneum veröffentlicht. Der Biologe Professor Dr. Joachim Schachtner von der Philipps-Universität Marburg zeigt darin als Mitautor, dass Tribolium sich von allen bisher untersuchten Insekten durch Gene unterscheidet, die in ähnlicher Form auch beim Menschen vorkommen.

Käfer bilden mit derzeit 350.000 beschriebenen Arten die größte Gruppe des Tierreichs. Mit Tribolium wurde nun erstmals das Genom eines Käfers komplett sequenziert. Die nur etwa drei Millimeter großen Tiere leben als Getreideschädlinge in Mehl. Die Art ist seit einigen Jahren als neues Modell in der Entwicklungsbiologie etabliert. Diese Disziplin erforscht, wie aus einem befruchteten Ei ein Organismus mit vielen Zellen entsteht, die trotz ihrer übereinstimmenden Gene ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen.

Die Körperlänge des Rotbraunen Reismehlkäfers misst nur wenige Millimeter. Foto: Stephan Dippel

Einer der wichtigsten Modellorganismen ist die Fruchtfliege Drosophila melanogaster , die seit Jahrzehnten molekulargenetisch erforscht wird, wofür die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard im Jahre 1995 einen Nobelpreis erhielt. Aber sind die Ergebnisse auch auf andere Insekten übertragbar? Um das heraus zu finden, arbeiten Entwicklungsbiologen seit den 1990er Jahren vermehrt auch mit anderen Modellsystemen. Unter diesen gewinnt Tribolium zunehmend an Bedeutung. Der Käfer repräsentiert einen vergleichsweise ursprünglichen Insektentypus, so dass er vermutlich mehr Eigenschaften mit anderen Arten teilt als die Fruchtfliege. Denn Drosophila ist an sehr spezielle Lebensbedingungen angepasst und weist daher eine Reihe von Sondermerkmalen auf.

Die vermuteten Unterschiede zwischen den Modellorganismen haben sich durch die Ergebnisse bestätigt, die das internationale „ Tribolium Genome Sequencing Consortium“ nun vorgelegt hat. So fanden sich bei dem Käfer eine Reihe von Genen, die man zwar in ähnlicher Form von weit entfernten Verwandten kennt – etwa von Wirbeltieren -, die Drosophila aber verloren hat. Umgekehrt hebt sich Tribolium mit einigen seiner Erbanlagen von allen anderen Insekten ab, die man bislang untersucht hat. Ein Beispiel hierfür sind Gene für Vasopressin-artige Verbindungen, die von einer internationalen Wissenschaftlergruppe identifiziert wurden, der Professor Dr. Joachim Schachtner angehört. Der Marburger Wissenschaftler beschäftigt sich mit dem Gehirn von Insekten sowie mit Molekülen, die auf das Nervensystem einwirken und dessen Funktion modulieren. Vasopressin ist bei Säugetieren und dem Menschen das wichtigste Neurohormon, das die Rückgewinnung von Wasser in der Niere anregt. „Sein Vorliegen bei Tribolium mag darauf zurückzuführen sein, dass der Käfer in sehr trockenen Habitaten überleben muss“, vermutet Schachtner. Eigentümlich Anpassungen wie diese könnten künftig einen Ansatzpunkt darstellen, um den Schädling gezielt zu bekämpfen.

Im Gehirnmodell von Tribolium konnte das Marburger Team von Professor Dr. Joachim Schachtner definierte Bereiche lokalisieren. Abbildung: David Dreyer
Weitere Informationen:

Originalveröffentlichung:

The Tribolium Genome Sequencing Consortium: The genome of the model beetle and pest Tribolium castaneum; http://dx.doi.org/ 10.1038/nature06784

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Joachim Schachtner
Tel: 06421 28-23414 oder 06421 28-23405
Fax: 06421 28-28941
E-Mail: schachtner@staff.uni-marburg.de
Internet: www.staff.uni-marburg.de/~schachtj/