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08.07.2009

Schneller durch Selen

Struktur eines ungewöhnlichen Bakterien-Enzyms aufgeklärt

Das Element Selen beschleunigt die Aktivität von Enzymen, wenn es als Bindungspartner in deren aktivem Zentrum vorkommt. Das schließen Biochemiker um Dr. Antonio Pierik von der Philipps-Universität und Professor Dr. Holger Dobbek von der Universität Bayreuth aus der Struktur eines selenhaltigen Enzyms. Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des US-amerikanischen Forschungsmagazins "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).

Biokatalysator in Schmetterlingsform: Das Bakterienenzym NDH besteht aus zwei identischen Hälften, die jeweils aus vier Untereinheiten aufgebaut sind. (Abbildung: AG Dobbek/AG Pierik)
Selen kommt als Teil der Aminosäure Selenocystein in vielen Organismen vor, allein im menschlichen Körper in 25 Proteinen, die an Entgiftung, Spermatogenese und Schilddrüsenfunktion beteiligt sind. Anders verhält es sich beim Mikroorganismus Eubacterium barkeri , der Energie aus der Vergärung des Vitamins Nicotinat bezieht: Das hierfür zuständige Enzym NDH enthält Selen als essentielle Komponente, aber nicht im Form von Selenocystein. Wird das Selen entfernt, so vermindert sich die biokatalytische Aktivität des Enzyms. Worauf die Bedeutung des Selens bei der Fermentation des Substrats beruht, war bisher nicht bekannt.

Pierik und Kollegen haben nun durch röntgenkristallografische Strukturaufklärung nachgewiesen, dass Selen im aktiven Zentrum des NDH als Bindungspartner des Metalls Molybdän auftritt, als so genannter Ligand – im Unterschied zum verwandten menschlichen Enzym Xanthin-Oxidase, das Schwefel an Stelle des Selens trägt.

Aufgrund eines Vergleichs erschließen die Autoren, welchen Vorteil Selen an dieser Stelle bietet. Bei schwefelhaltigen Enzymen kommt es zu einer vollständigen Inaktivierung, wenn der Schwefel durch Sauerstoff ersetzt wird. Die Wissenschaftler führen das darauf zurück, dass Sauerstoff sehr viel stärker an das Metall bindet als Schwefel. Dies erschwert einen weiteren Reaktionsschritt, der für die Fermentation unerlässlich ist, nämlich die Übertragung eines negativ geladenen Wasserstoffions auf den Molybdän-Liganden – Konsequenz: Die Gärung kommt zum Stillstand.

Da Selen noch schwächer bindet als Schwefel, ist die Enzymaktivität entsprechend höher. Modellrechnungen der Autoren zufolge findet die Umsetzung bis zu 300-mal schneller statt, wenn in einer ähnlichen Reaktion Selen anstelle von Schwefel benutzt wird, nämlich mehr als 400-mal pro Sekunde. „Diese Variationen zeigen, wie die Natur ein Motiv durch Austausch eines Liganden an unterschiedliche Substrate und Reaktivitäten anpasst“, schreiben die Verfasser.

Originalpublikation: Nadine Wagener & al.: „The Mo-Se active site of nicotinate dehydrogenase“, PNAS 27/106 (7. Juli 2009), Seiten 11055-11060,
DOI: 10.1073 / pnas.0902210106, Online-Veröffentlichung:
www.pnas.org/content/106/27/11055.abstract

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Privatdozent Dr. Antonio J. Pierik,
Institut für Zytobiologie und Pathologie
Tel.: 06421 28-63856
E-Mail: pierik@staff.uni-marburg.de
Internet: www.staff.uni-marburg.de/~pierik/