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08.11.2013

„Leben“ – zwischen Mystifizierung und Wissenschaft

Auftakt der Reihe „Synthetische Biologie im Dialog“

Auf dem Podium (v.l.n.r.): Prof. Michael Bölker, Prof. Jörg Hacker, Prof. Friedemann Voigt und Prof. Gerald Hartung(Foto: Uwe Dettmar/ Hessen schafft Wissen).

Am Mittwochabend hat im großen Hörsaal des Marburger Chemikums vor gut 100 Zuhörern die erste Veranstaltung der Reihe „Synthetische Biologie im Dialog“ stattgefunden. Thema des vom LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) und vom Graduiertenzentrum Lebens- und Naturwissenschaften organisierten Abends war der Begriff „Leben“, der in den Natur- und den Geisteswissenschaften unterschiedlich belegt ist, und die Frage, ob und wie man „Leben“ nachbauen oder verändern darf. Die unterschiedlichen Positionen wurden zunächst in kurzen Vorträgen von Prof. Jörg Hacker, Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, und Prof. Gerald Hartung vom Philosophischen Seminar der Universität Wuppertal dargelegt und anschließend mit den SYNMIKRO-Mitgliedern Prof. Michael Bölker und Prof. Friedemann Voigt diskutiert.

Nach der naturwissenschaftlichen Definition könne man von „Leben“ nur sprechen, wenn die drei Eigenschaften Stoffwechsel, Selbstreproduktion und evolutionäre Entwicklung vorlägen, erklärte Hacker in seinem Vortrag. Viren etwa seien demnach keine Lebewesen, da sie für ihre Vermehrung auf Wirtszellen angewiesen seien. Im Gegensatz zu dieser naturwissenschaftlichen, vor allem beschreibenden Definition von „Leben“ sei der geisteswissenschaftliche Lebensbegriff viel stärker normativ, dem Ganzen einen Sinn zuschreibend, sagte Hartung. Beide Sichtweisen hätten ihre Berechtigung. Die stark beschreibende Definition bewähre sich durchaus in den Lebenswissenschaften, nicht jedoch bei metaphysischen Fragen wie „Warum gibt es Leben und nicht Nichts?“. Hartung wies außerdem darauf hin, dass der Mensch durch die Kluft zwischen Leben und Erleben in alles, was er tue, ein normatives Element einbringe – durch die menschliche Perspektive gebe schon vermeintlich reines Beschreiben nicht mehr die tatsächliche Natur wider.

Die Podiumsdiskussion leitete der Biologe Bölker mit einem Zitat des amerikanischen Physikers Richard Feynman ein, das gern als Credo der Synthetischen Biologie angeführt wird: „Was ich nicht erschaffen kann, verstehe ich nicht.“ Ob dieser Satz zutreffe, fragte Bölker die Sprecher. Diese Herangehensweise der Synthetischen Biologie könne sicherlich helfen, bestimmte Fragestellungen zu beantworten und Vorhersagen zu überprüfen, antwortete Hacker. Als Beispiele führte er die erste Genomsynthese – die des Polio-Virus durch Eckhard Wimmer im Jahr 2002 – an, ebenso die des Mycoplasma -Genoms durch Craig Venter im Jahr 2008 und den Transfer dieses synthetischen Genoms in eine leere Mycoplasma -Zellhülle im Jahr 2010. Diese Arbeiten seien sicherlich technisch gut gemacht gewesen, so Hacker, basierten jedoch immer noch auf natürlichen Molekülen und konventioneller Gentechnik. Seiner Ansicht nach handle es sich deshalb nicht um künstliches Leben, auch wenn Venter behauptet habe, Leben geschaffen zu haben.

Die Sichtweise, dass der Mensch befähigt sei, auch als Schöpfer aufzutreten, habe in der Philosophie eine lange Tradition, schaltete sich Hartung in das Gespräch ein, und verwies auf das neuplatonische Denken im 3. Jahrhundert und die Alchemie im 17. und 18. Jahrhundert. Heute allerdings sei die Philosophie pragmatischer – diesen Anspruch habe man gewissermaßen abgegeben, so Hartung. Für Kritiker der Synthetischen Biologie werde durch den in Feynmans Worten zum Ausdruck kommenden Anspruch, Leben zu schaffen, jedoch ein Bild von der Welt unterstützt, das schädlich sei, meinte der Theologe Voigt, Initiator der Veranstaltung. Das räumte Hacker ein; dazu habe auch Venter mit seiner Aussage beigetragen, und deshalb müsse man diese auch konterkarieren. „Nach meiner Ansicht würde man erst mit einem neuen genetischen Code beginnen, die Schwelle zu künstlichem Leben zu überschreiten“, sagte Hacker. Und dies müsse man dann tatsächlich gut reflektieren. Als Paradebeispiel für eine solche Selbstreflexion führte Hacker die Asilomar-Konferenz im Jahr 1975 an, die von Vertretern der damals noch jungen Forschungsdisziplin der Molekularbiologie initiiert worden war und in deren Verlauf sich die Wissenschaftler selbst Richtlinien für den Umgang mit der vielversprechenden, aber eben auch für Mensch und Umwelt potenziell gefährlichen Gentechnik auferlegten.

Hartung warnte jedoch davor, etwas schützen zu wollen, was so gar nicht existiert. Der Begriff „Leben“ werde oft mystisch als Gegenbegriff zur Moderne benutzt und meine vage etwas, das nicht geformt oder verändert werden dürfe. Dies gelte auch für eine bestimmte Form von Leben, nämlich die „Natur“. „Es ist häufig von Naturschutz die Rede, dabei leben wir in Mitteleuropa schon seit Jahrhunderten in einer Kulturlandschaft“, sagte Hartung. Auch die könne man zwar als schützenswert deklarieren, aber sie sei eben nicht „natürlich“. Dem pflichtete Hacker bei und nannte gleich noch ein weiteres Beispiel: die traditionellen landwirtschaftlichen Kulturpflanzen, die im Gegensatz zu ihren gentechnisch veränderten Varianten gemeinhin als original und unverändert wahrgenommen würden. Dabei seien auch sie nicht „natürlich“, sondern das Ergebnis jahrhundertelanger Züchtung, betonte Hacker. Aber wie gehe man nun damit um, lasse man dem Begriff seine Mystik, fragte Hartung, und gab gleich selbst eine Antwort: „Ich würde sagen: Nein.“

Die Veranstaltung war Auftakt der dreiteiligen Reihe „Synthetische Biologie im Dialog“, die anhand zentraler Begriffe – neben „Leben“ auch „Komplexität“ und „Natürlich/Synthetisch“ – die unterschiedlichen Zugangsweisen, Vorverständnisse und Konzeptionen der Lebens- und der Geisteswissenschaften aufzeigen soll. Diese unterschiedlichen Perspektiven führten häufig zu Missverständnissen und sogar Misstrauen, erklärt Voigt seine Motivation. „Unsere Veranstaltung soll Vertreter der Geistes- und der Naturwissenschaften miteinander ins Gespräch bringen und dadurch zu einem besseren Verständnis der gegenwärtigen Debatten um die Synthetische Biologie beitragen. Das unterscheidet sie von vielen anderen Veranstaltungen, die letztlich reine Informationsveranstaltungen sind.“

Im Alltag von Naturwissenschaftlern gebe es oft wenig Zeit zum Innehalten und Nachdenken über die eigene Arbeit in einem größeren Zusammenhang, meint Dr. Ute Kämper, Leiterin des Graduiertenzentrum Lebens- und Naturwissenschaften und Mitinitiatorin der Reihe. Dabei sei es wichtig auszuloten, was man vertreten könne, oder wie man seine Forschung gestalten könne, damit man sie vertreten könne. Dafür, so Kämper, solle die Veranstaltungsreihe Gelegenheit bieten. Darüber hinaus solle sie die Menschen in die Universität holen, sie informieren und ihnen zeigen, dass die Wissenschaftler ihr Tun reflektieren.

Kontakt

Vera Bettenworth
SYNMIKRO - LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie
Öffentlichkeitsarbeit
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