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28.06.2013

Was sind die zentralen Bausteine der Sprache?

Kultusstaatssekretär Lorz besucht LOEWE-Schwerpunkt „Fundierung linguistischer Basiskategorien“

Kultusstaatssekretär Prof. Dr. Alexander Lorz beobachtet interessiert, wie Neurolinguistin Sarah Munde die Messkappe der Probandin Fiona Weiß für eine EEG-Messung vorbereitet (Foto: Pressestelle der Philipps-Universität/Reinhold Eckstein).
Prof. Dr. Ina Bornkessel-Schlesewsky und Kultusstaatssekretär Prof. Dr. Alexander Lorz beim Besuch des LOEWE-Schwerpunkts "Fundierung linguistischer Basiskategorien" im Rahmen der Aktionswochen Forschung (Foto: Pressestelle der Philipps-Universität/Reinhold Eckstein)
Prof. Dr. Ina Bornkessel-Schlesewsky, Kultusstaatssekretär Prof. Dr. Alexander Lorz, LOEWE-Mitarbeiter Sarah Munde und Philipp Allday beim Vorbereiten der EEG-Messung an Probandin Fiona Weiß (Foto: Pressestelle der Philipps-Universität/Reinhold Eckstein).
Messkappe
Vorbereitet fürs Experiment: Die Elektroenzephalografie (EEG) misst die elektrischen Aktivität des Gehirns durch Aufzeichnung der Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche (Foto: Pressestelle der Philipps-Universität/Reinhold Eckstein).

Im Rahmen der Aktionswoche „Forschung“ hat Kultusstaatssekretär Professor Dr. Alexander Lorz heute den LOEWE-Schwerpunkt „Fundierung linguistischer Basiskategorien“ an der Philipps-Universität Marburg besucht.

Ziel dieses LOEWE-geförderten (Landes-Offensive zur Entwicklung wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz) Forschungsschwerpunktes  ist es unter anderem, grundlegende Antworten auf Fragen der sprachwissenschaftlichen Beschreibung und Theoriebildung zu erhalten. „Wir freuen uns, dass dank der großzügigen Förderung des Landes an unserem LOEWE-Schwerpunkt verschiedene methodische Zugänge innerhalb der Linguistik erfolgreich kombiniert werden. Wir erwarten uns davon einen entscheidenden Beitrag zur Identifizierung und zum Nachweis grundlegender Einheiten von Sprache. So kommen wir der großen Frage ein Stück näher, auf was die menschliche Fähigkeit, kommunizieren zu können, eigentlich basiert. Dies ist nicht nur von grundsätzlichem Interesse, sondern findet in der klinischen Linguistik, zum Beispiel bei der Behandlung von Störungen beim Spracherwerb von Kindern, eine konkrete Anwendung“, erklärte Professor Dr. Ulrich Koert, Vizepräsident der Philipps-Universität für Forschung, Nachwuchsförderung, Wissenstransfer und Internationales.

Lorz unterstrich in seiner Begrüßung sein besonderes Interesse an einem Besuch an der Philipps-Universität, an der er von 1988 bis 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter wirkte, und am LOEWE-Programm, dessen erste Staffel er als Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2007 mit auf den Weg brachte. Darüber hinaus arbeite er als Jurist viel mit Sprache und sei daher besonders auf den Forschungsgegenstand des Marburger LOEWE-Schwerpunkts neugierig: „Die verbale Sprache ist mit Abstand das wichtigste und meistgebrauchte Mittel der Kommunikation,“ sagte er.

Germanistik-Dekan Professor Dr. Joachim Herrgen referierte dem Besuch aus Wiesbaden die besondere Forschungssituation der gut vernetzten Marburger Linguistik. LOEWE-Sprecher Prof. Dr. Richard Wiese erörterte anschließend die zentrale Fragestellung des Forschungsschwerpunkts: Mit eigentlich recht willkürlichen Folgen von Lauten könne man alle existierenden, alle gewesenen, alle zukünftigen und sogar alle virtuellen Welten beschreiben und über sie reden. Seit den Anfängen der Sprachphilosophie sei man sich bewusst, dass zwischen den lautlichen Äußerungen und der Welt, über die man mit diesen Lauten sprechen kann, ein Kategoriensystem existieren müsse. „Wie dieses Kategoriensystem genau aussieht, wird in der Sprachwissenschaft aus diversen Perspektiven diskutiert und dieser Diskurs hat eine Fülle an potentiellen Kategorien postuliert,“ sagte Wiese. Das Ziel des LOEWE-Schwerpunkts bestehe in einer Art qualitativer Bewertung solcher Kategorien: Welche dieser Kategorien sind so zentral, dass sie als grundlegende Bausteine („Basiskategorien“) angesehen werden können? „Der Schwerpunkt ‚Fundierung linguistischer Basiskategorien‘ sucht nach solchen potentiellen Basiskategorien in einem Verbund aus mehreren linguistischen Einzeldisziplinen, deren Kombination den Standort Marburg für die Linguistik einmalig machen: Neurolinguistik, Klinische Linguistik, Regionalsprachenforschung, Historische Linguistik, Theoretische Linguistik und Sprachtypologie,“ fügte Herrgen hinzu.

Wie diese Fragestellung konkret untersucht wird, demonstrierte anschließend Professorin Dr. Christina Kauschke (Klinische Linguistik): Im Vergleich mit gleichaltrigen Kindern ohne Sprachstörung hätten Kinder deutscher Muttersprache mit einer Sprachstörung deutlich mehr Mühe, die Mehrzahl von Substantiven wie ‚Tor‘ (Tor-e), ‚Lok‘ (Lok-s) oder ‚Maus‘ (Mäuse) zu bilden. Auch die Bildung der Partizipformen mit und ohne Vorsilbe wie ‚ge-sehen‘ und ‚telefoniert‘ falle diesen Kindern schwer. „Die Studie zeigt, dass Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen weniger sensitiv für die Betonung von Wörtern (Plural- und Partizipformen) sind als Kinder ohne Sprachprobleme. Die Hypothese daraus ist, dass das Wort mit seiner Betonung eine Basiskategorie sein kann,“ führte Kauschke aus. Wenn der Erwerb dieser Kategorie gestört sei, falle die Bildung von Plural- und Partizipform den Betroffenen schwer. „Diese Ergebnisse tragen zu der derzeit aktuellen Diskussion um Diagnostik und Therapie prosodischer Auffälligkeiten im Rahmen von Sprachentwicklungsstörungen bei,“ erläuterte sie. „Je früher Sprachauffälligkeiten diagnostiziert werden, umso zielgerichteter und individueller können Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet werden, um Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu fördern“, ergänzte Lorz.

Professorin Dr. Ina Bornkessel-Schlesewsky zeigte zum Abschluss auf, wie die Neurolinguistik mit der Messung von Hirnströmen zur Frage der Kategorienbildung beitragen kann. Anhand von Hirnstrommessungen könne man zum Beispiel zeigen, dass das menschliche Hirn bei Äußerungen, die nicht einer bestimmten Erwartung entsprechen, nicht nur zwischen richtig und falsch unterscheide. „Falsche Äußerungen werden beim Verarbeiten auch noch in ‚bessere falsche‘ und ‚schlechtere falsche‘ Äußerungen kategorisiert,“ erklärte sie. „Spannend war auch der Nachweis im Experiment, dass das Hirn bei der Verarbeitung Probleme signalisiert, die mit dem Gefühl des Sprechers nicht übereinstimmen,“ fuhr sie fort. So gäben viele Probanden an, dass der Satz ‚…, dass Dietmar die Tänzerinnen drohen‘ schwierig zu verstehen sei; der Satz  ‚…, dass Dietmar die Tänzerinnen gefallen‘ bereite hingegen den meisten Probanden keine Probleme. „Die Hirnstrommessung zeigt aber, dass beide Sätze in der Verarbeitung im Hirn im Vergleich mit gänzlich unproblematischen Sätzen ein gleiches Maß an Problemen bereiten,“ schloss Bornkessel-Schlesewsky. Im angeregten Gespräch informierte der Staatssekretär sich schließlich beim Besuch des neurolinguistischen Labors über den konkreten Versuchsaufbau für eine  Elektroenzephalografie (EEG), die die elektrische Aktivität des Gehirns durch Aufzeichnung der Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche während eines linguistischen Experiments misst.

Im Rahmen der Aktionswoche „Forschung“ informieren sich hessische Politiker und Politikerinnen vor Ort über Entwicklungen in der Wissenschaft. Darüber hinaus haben alle hessischen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, auf www.buergerdialog.hessen.de ihre Fragen zum Thema Forschung an die Landesregierung zu richten.

Weitere Informationen:

http://www.uni-marburg.de/fb09/lingbas
https://kultusministerium.hessen.de/presse/pressemitteilung/erforschung-der-dialekte-und-regionalsprachen-der-deutschen-sprache-der

Kontakt

PD Dr. Paul Widmer
Tel.: 06421 – 28 25024
E-Mail