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09.09.2014

Luigi-Sacconi-Medaille für Professor Dr. Roland Lill

Marburger Zellforscher für herausragende Leistungen in der anorganischen Chemie ausgezeichnet

Prof. Dr. Roland Lill (Foto: Pressestelle der Philipps-Universität/Rolf K. Wegst).
Preisverleihung an Prof. Dr. Roland Lill
Prof. Dr. Maurizio Peruzzini, Präsident der Sacconi Foundation, Preisträger Prof. Dr. Roland Lill, Prof. Dr. Claudio Luchinat, Vizepräsident der Sacconi Foundation, und Prof. Dr. Roberto Gobetto, Präsident der Abteilung für anorganische Chemie der Società Chimica Italiana (Foto: Sacconi Foundation).
Anlässlich des Jahreskongresses der Abteilung für anorganische Chemie der Società Chimica Italiana (SCI) in Cosenza, Kalabrien, ist Prof. Roland Lill von der Philipps-Universität Marburg  am Montagabend mit der Luigi-Sacconi-Medaille ausgezeichnet worden. Mit dieser Medaille würdigen die SCI und die Luigi-Sacconi-Stiftung Verdienste im Bereich der anorganischen Chemie – der Namensgeber der Medaille, Luigi Sacconi, war ein bedeutender italienischer Pharmazeut und Chemiker. Die Medaille wird seit 1998 verliehen; zu den bisher Ausgezeichneten zählen unter anderem Prof. Roald Hoffmann von der Cornell University, Chemie-Nobelpreisträger des Jahres 1981, und Prof. Wolfgang Herrmann, Präsident der Technischen Universität München.

Lills Leistungen in der anorganischen Chemie seien während seiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn herausragend gewesen,  heißt es in einem Brief der Luigi-Sacconi-Stiftung und der Abteilung für anorganische Chemie der SCI. Von besonderer Bedeutung dürfte jedoch gewesen sein, dass Lill kurz nach seiner Berufung an das Institut für Zytobiologie der Philipps-Universität im Jahr 1996 ein völlig neues Gebiet der Zellbiologie eröffnete: die Biogenese von Eisen-Schwefel-Proteinen. Diese Proteine besitzen sogenannte Eisen-Schwefel-Cluster als anorganische Kofaktoren und sind an einer ganzen Reihe grundlegender zellulärer Prozesse beteiligt, beispielsweise an der Zellatmung, der Ribosomenfunktion, der DNA-Synthese und –Reparatur, der Regulation der Telomerlängen und der Eisenhomöostase. Defekte in der Eisen-Schwefel-Protein-Biogenese sind mit schweren Krankheiten verschiedenster Ausprägung verbunden, die von neurodegenerativen Störungen wie spastischen Anfällen über hämatologische Probleme bis hin zu metabolischen Erkrankungen reichen und oft schon im frühen Kindesalter zum Tod führen.

Lange Zeit war völlig unklar gewesen, wie diese Proteine ihren anorganischen Eisen-Schwefel-Kofaktor erhalten und somit funktionell werden. Im Jahre 1999 lieferte Lill dann den ersten Beleg dafür, dass Mitochondrien ein komplexes Proteinnetzwerk enthalten, das nicht nur für die Synthese eigener, sondern auch zytosolischer und nukleärer Eisen-Schwefel-Proteine von essenzieller Bedeutung ist. Mehr als die Hälfte der heute bekannten mitochondrialen Proteinfaktoren dieses Prozesses wurde in der Folge im Lill’schen Labor entdeckt; für diese frühen Arbeiten wurde Lill bereits 2003 mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Seitdem haben Lill und sein Team sowohl den molekularen Mechanismus der mitochondrialen Biosynthese weiter aufgeklärt als auch die wichtige Eisen-Schwefel-Protein-Biosynthesemaschinerie (das sogenannte CIA-System) im Cytosol entdeckt und funktionell charakterisiert.

Ursprünglich waren Lills Arbeiten auf die rein grundlagenwissenschaftliche Frage konzentriert, wie Eisen-Schwefel-Proteine in der Zelle hergestellt werden. Mit der Zeit entstanden jedoch überraschende Querverbindungen etwa zur Biotechnologie – die katalytischen Eigenschaften von Eisen-Schwefel-Proteinen sind für die Herstellung von Feinchemikalien von Interesse – oder zur Medizin. Hier hat das Labor dazu beigetragen, dass die Bedeutung einzelner Komponenten des Eisen-Schwefel-Protein-Biosyntheseweges für die Entstehung verschiedenster Erkrankungen biochemisch aufgeklärt wurde. So konnte das Team um Lill beispielsweise im Jahr 2012 in einer Publikation in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ zeigen, dass die Eisen-Schwefel-Protein-Biogenese eine wichtige Rolle für die Erhaltung der DNA-Integrität des Zellkerns besitzt – Störungen der DNA-Integrität sind ein charakteristisches Kennzeichen von Tumorerkrankungen.

Lills Forschungsarbeiten sind also nicht nur für Biochemie und Zellbiologie, sondern auch für Humangenetik und Medizin von Bedeutung. Wegen der chemischen Zusammenhänge der Eisen-Schwefel-Cluster-Synthese sind sie außerdem für die bioanorganische Chemie relevant, für die anorganische Chemie und Spektroskopie wegen der Frage, wie die belebte Natur schon lange bekannte anorganische Verbindungen für zahlreiche lebenswichtige Prozesse in der Zelle nutzt: Die Vielfalt der durch Eisen-Schwefel-Cluster unterstützten physiologischen Reaktionen erfordert den Einbau dieser Kofaktoren in sehr unterschiedliche Proteinumgebungen, damit eine einzige Verbindung – eben der Eisen-Schwefel-Cluster – verschiedenste Vorgänge unterstützen kann.

Nach dem Studium der Chemie an den Universitäten Ulm und München und Forschungsarbeiten in München und Los Angeles war Roland Lill 1996 an die Philipps-Universität Marburg berufen worden. Heute gilt er im inzwischen sehr bedeutenden Gebiet der Eisen-Schwefel-Protein-Biogenese als einer der international führenden Wissenschaftler. Diese Bedeutung zeigte sich jedoch schon in früheren Jahren, indem er mehrere ehrenvolle Rufe auf Lehrstühle der Biochemie und Zellbiologie, u.a. in Regensburg und Heidelberg, erhielt. Seit 2003 leitet Lill den SFB 593 (‚Mechanismus der zellulären Kompartimentierung und deren krankheitsrelevante Veränderungen‘), seit 2009 ist er Fellow der Max-Planck-Gesellschaft, Mitglied bei der EMBO und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, seit 2014 auch des Senats der DFG. Darüber hinaus ist Lill Gründungsmitglied des LOEWE-Zentrums für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO).

(Text: Vera Bettenworth)

Kontakt

Prof. Dr. Roland Lill
Institut für Zytobiologie
Tel.: 06421-2866449
E-Mail