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04.11.2016

Biologen entdeckten verschollene Sammlungsstücke

Aus Gießen über Leipzig nach Dresden: Wie eine Glattechse ihren Weg ins Museum fand

Lange Reise auf kurzen Beinen: Wissenschaftler aus der Bundesrepublik und den USA haben ein historisches Tierpräparat aufgespürt, anhand dessen vor mehr als hundertfünfzig Jahren eine australische Glattechsenart erstmals wissenschaftlich beschrieben worden war. Das Fundstück erwies sich als Teil einer bisher unentdeckt gebliebenen Sammlung einzigartiger Belegexemplare, die seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen galten. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Vertebrate Zoology“ zeichnen der Biologe Sven Mecke von der Philipps-Universität und seine Kollegen die verschlungenen Wege nach, auf denen die Stücke ins Dresdner Senckenberg Museum für Tierkunde gelangten.

Fehler haben kurze Beine – aber nur hinten! Der australische Skink Anomalopus leuckartii aus Weinlands Erstbeschreibung (Originalexemplar oben, historische Abbildung unten) lagert heute im Dresdner Museum für Tierkunde. (Foto: Sven Mecke. Das Bild darf nur im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die zugehörige wissenschaftliche Publikation verwendet werden)

Glattechsen oder Skinke sind tropische Echsen, deren Beine oftmals verkürzt oder rückgebildet sind. Die Tiere gehören zum Spezialgebiet des Marburger Taxonomen Sven Mecke. Bei Studien in der Dresdner Sammlung stieß Mecke auf ein Glas mit einem Präparat, das auf dem beiliegenden Etikett als eine bestimmte australische Skink-Gattung bezeichnet war.

Dem Reptilienfachmann fiel auf, dass diese Angabe nicht mit dem Inhalt des Gefäßes zusammenpasste: „Bei Arten dieser Gattung, die reduzierte Gliedmaßen tragen, sind die Hinterbeine stets länger als die Vorderextremitäten“, erläutert der Biologe. „Da die Vorderbeine in diesem Fall aber länger waren, konnten wir das Stück der Gattung Anomalopus zuschreiben.“ An weiteren Merkmalen erkannte Mecke, dass es sich um die Art Anomalopus leuckartii handelt. Ihr Erstbeschreiber David Friedrich Weinland hatte diese australische Wurm-Glattechse im Jahr 1862 nach dem Zoologen Rudolf Leuckart benannt.

Rudolf Leuckart gilt als Pionier der Parasitologie. Er lehrte von 1850-69 in Gießen und wechselte dann an die Universität Leipzig, wo er die Leitung des dortigen Naturkundemuseums übernahm. Welche Prominenz der Wissenschaftler im Kollegenkreis genoss, belegen unter anderem mehrere Arten, die nach ihm benannt sind – Anomalopus leuckartii ist eine davon.

Mecke inspizierte das beigefügte Etikett genauer und stellte fest, dass es sich nicht um irgendein beliebiges Sammlungsstück handelt: Das Präparat, das der Biologe in Händen hielt, war genau dasselbe, das Weinland vor Augen hatte, als er die Art vor mehr als hundertfünfzig Jahren beschrieb. Das Exemplar stammte aus Leuckarts Gießener Sammlung, die im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört worden war. Seitdem galten viele dieser Präparate als verschollen, bis sie jetzt in Dresden wieder auftauchten, darunter auch die Glattechse. Aber wie hatten die Stücke ihren Weg nach Dresden gefunden?

Wie Mecke und seine Mitstreiter anhand historischer Dokumente rekonstruierten, hatte Leuckart die Präparate mitgenommen, als er nach Leipzig wechselte; auf diese Weise entkamen sie der Bombardierung. Das Leipziger Museum wurde im Jahr 1968 aufgelöst, seine Bestände gingen an andere Sammlungen – unter anderem an das Museum nach Dresden, dessen eigene Reptilienkollektion durch die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg von 6.700 auf 98 Stücke reduziert worden war.

„Entdeckungen wie unser aktueller Fund heben die außerordentliche Bedeutung hervor, die naturkundliche Sammlungen für die Klärung fundamentaler biologischer Fragestellungen besitzen“, unterstreicht Koautor Dr. Raffael Ernst, der die herpetologische Abteilung des Dresdner Senckenberg Museums für Tierkunde leitet. Erst kürzlich stieß Mecke in naturkundlichen Sammlungen auf verschiedene Reptilienpräparate, die sich als Angehörige bislang unbeschriebener Arten herausstellten. „Wir sind davon überzeugt, dass Sammlungen noch eine große Anzahl unbeschriebener Amphibien und Reptilien beherbergen“, schreiben die Autoren.

Neben Mecke und Ernst beteiligten sich weitere Wissenschaftler der Unis Marburg und Regensburg sowie vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn und von der Smithsonian Institution in der US-amerikanischen Bundeshauptstadt Washington an der Veröffentlichung. Die Recherchen in der Dresdner Sammlung waren Teil einer „Taxonomy School“ der „Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden“.

Originalpublikation: Sven Mecke & al.: Tracking a syntype of the Australian skink Anomalopus leuckartii (Weinland, 1862): ‘lost’ treasures in the Senckenberg Natural History Collections Dresden highlight the importance of assessing and safeguarding natural history collections, Vertebrate Zoology 66/2 (2016), 169-177

Weitere Informationen:

Ansprechpartner:
Sven Mecke,
Philipps-Universität Marburg, Fachgebiet Spezielle Zoologie, Arbeitsgruppe Professor Dr. Lothar Beck und
Zoologische Sammlung Marburg
Tel.: 06421 28-2 3345
E-Mail: sven.mecke@biologie.uni-marburg.de
Internet: www.uni-marburg.de/fb17/fachgebiete/zoologie_tierevo/evosys/mitarbeiter/mecke/index_html

Dr. Raffael Ernst,
Kurator für Herpetologie
Museum fur Tierkunde, Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden
Tel.: 0351 7958 41-4315
E-Mail: Raffael.Ernst@senckenberg.de
Internet: http://www.senckenberg.de/dresden/herpetology

Pressemitteilungen zu neuen Artfunden in naturhistorischen Sammlungen: www.uni-marburg.de/aktuelles/news/2016a/0321a