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26.09.2016

Klimawandel: Bei Wetterextremen profitiert einheimisches Grünland weniger von steigendem CO2

Wetterextreme wie Starkregen und Hitze verringern bei Pflanzen die Aufnahme von Kohlendioxid und könnten so den Klimawandel verstärken – Studie eines Marburger Wissenschaftlers wird bei Klimaforscher-Tagung in Gießen präsentiert

Klimafolgen-Forschungsstation in Linden. Foto: Stefan Wißmer
Free Air Carbon Enrichment (FACE) Ring: In Abhängigkeit von Windgeschwindigkeit und Windrichtung wird aus verschiedenen Rohren CO2 auf die Untersuchungsfläche gegeben - in einer um 20 Prozent höheren atmosphärischen Konzentration als heute. Das entspricht etwa der erwarteten Konzentration in 2050. Foto: Wolfgang Obermeier
Der steigende Gehalt von Kohlendioxid (CO 2 ) in der Atmosphäre ist Ursache des Klimawandels, verstärkt aber auch das Wachstum vieler Pflanzen – so aktuelle Prognosen. Obwohl unsere heimischen Gräser und Kräuter das Treibhausgas für die Photosynthese nutzen, profitieren sie bei extremeren Wetterbedingungen wie Starkregen, Hitze und Trockenheit jedoch wenig bis gar nicht vom erhöhten CO 2 -Gehalt in der Luft. Das zeigen Langzeit-Studien Marburger und Gießener Wissenschaftler an der Klimafolgen-Forschungsstation der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die Ergebnisse präsentiert der Geograph Wolfgang Obermeier (Philipps-Universität Marburg) auf der FACE 2 FACE-Tagung, die in diesen Tagen in Gießen stattfindet. Unter dem Motto „FACEing the Future – Food Production and Ecosystems under a changing climate“ treffen sich Klimaforscher, die weltweit CO 2 -Effekte mit „Free Air Carbon Dioxide Enrichment (FACE)“-Systemen untersuchen.

Im Freiland simulieren FACE-Systeme mit Rohren, Ventilatoren und Schaltsystemen an 365 Tagen im Jahr eine Atmosphäre mit 20 Prozent erhöhter CO 2 -Konzentration, wie sie für das Jahr 2050 vorhersagt wird. In Gießen reicherten die Forscher seit 1998 Testflächen in artenreichem Grünland mit CO 2 an und analysierten nun Biomasse von Gräsern und Kräutern sowie Wetterdaten für eine Laufzeit von insgesamt 16 Jahre. Pflanzen mit einem C3-Stoffwechsel wie die untersuchten Arten machen weltweit einen Großteil der Flora aus.

Bei durchschnittlichen Temperaturen und Niederschlägen steigerte das Treibhausgas das Wachstum der Pflanzen: Rund zwölf Prozent mehr Biomasse produzierten die Pflanzen bei erhöhtem CO 2 -Gehalt der Luft – verglichen mit den Kontrollflächen bei Umgebungsluft. Dieser CO 2 -Effekt verschwand jedoch bei starkem Regen und halbiert sich unter trockenen und heißen Bedingungen. Im extrem heißen Sommer in 2003 kam es sogar vor, dass die Pflanzen unter CO 2 -reicher Atmosphäre weniger Biomasse produzierten als solche unter heutigen Bedingungen. Bisher war man eher von gegenteiligen Effekten ausgegangen.

Die Forscher erklären das Phänomen mit Änderungen im Stoffwechsel der Pflanzen. „Die Pflanze nimmt CO 2 für die Photosynthese über kleine Poren auf, die Spaltöffnungen. Dadurch verliert sie jedoch zeitgleich Wasser“, erklärt Pflanzenökologe Christoph Mül ler von der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Bei einem erhöhten CO 2 -Gehalt der Luft muss die Pflanze ihre Spaltöffnungen weniger weit öffnen und verliert weniger Wasser. Dieser Vorteil geht bei hoher Wasserverfügbarkeit wie bei starkem Regen verloren.“ Aber auch unter heißen sowie trockenen Bedingungen profitierten die Pflanzen weniger von einem höheren CO 2 -Gehalt der Luft, wie die Studien zeigten – durch die Wasserknappheit wachsen die Blätter weniger und zudem geraten die Pflanzen schneller in Hitzestress, weil sie die kühlende Transpiration herunterfahren, um Wasser zu sparen.

„Nach aktuellen Vorhersagen treten Wetterextreme zukünftig häufiger auf“, sagt Obermeier. „Unsere Ergebnisse sind daher nicht nur für den Stoffwechsel der einzelnen Pflanze interessant, sondern auch für den globalen Kohlenstoffkreislauf.“ Globale Modelle zu Kohlenstoffkreislauf und Klimawandel rechnen die Leistung der Pflanzen als CO 2 -Senke fest mit ein. Für Grünland sollte jedoch fein justiert werden, meint Obermeier: „Bei extremen Wetterlagen entnehmen Pflanzen der Luft weniger CO 2 als bisher berechnet.“ Somit kann schon in naher Zukunft die CO 2 -Senkenfunktion von Grünländern drastisch reduziert werden. Dadurch würde künftig mehr CO 2 in der Atmosphäre verbleiben und den Klimawandel beschleunigen. Zumindest hinsichtlich der Genauigkeit der Prognosen ist der Forscher jedoch zuversichtlich: „Mit unseren Erkenntnissen können wir die Modelle deutlich verbessern und Klimaveränderungen besser abschätzen.“

Forscher aus Gießen und Marburg sowie von der Hochschule Geisenheim arbeiten im Projekt FACE 2 FACE gemeinsam daran, die komplexen Auswirkungen des Treibhausgases auf Grünland, Weinbau und Gartenbau besser zu verstehen. Dazu fördert sie das Land Hessen als Schwerpunkt im Rahmen der Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz.

Tagungsbeitrag:

Obermeier WA, Lehnert LW, Kammann C, Müller C, Grünhage L, Luterbacher J, Erbs M, Moser G, Seibert R, Yuan N, Bendix J (2016): The CO 2 fertilization effect in temperate C3 grasslands is reduced under under more extreme weather conditions. In: Kammann C., Müller C, Breuer L, Andresen LC, Weigel HJ (Hrsg.): FACEing the future - food production and ecosystems under a changing climate, Book of Abstracts zur FACE2FACE Conference, 26.-29 Sep. 2016 in Gießen, S. 57

Weitere Informationen:

Tagung (Programm, Redner): http://www.face2face-conference.org/
LOEWE-Schwerpunkt FACE2FACE: http://www.proloewe.de/face2face

Kontakte:

Wolfgang Obermeier, Dipl.-Geogr., Philipps-Universität Marburg
Geographie – Klimageographie und Umweltmodellierung
Deutschhausstraße 12, 35032 Marburg
Telefon: 06421 28-24204 (während der Tagung:  0641 99-14886, Tagungsbüro)
E-Mail: wolfgang.obermeier@geo.uni-marburg.de

Prof. Dr. Christoph Müller, Institut für Pflanzenökologie
Heinrich-Buff-Ring 26 (IFZ), 35392 Gießen
Telefon: 0641 99-35300 (während der Tagung:  0641 99-14886, Tagungsbüro)
E-Mail: christoph.mueller@bot2.bio.uni-giessen.de