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Menschelnde Politiker

2009 war ein „Superwahljahr“ – Kommunalwahlen in fünf, Landtagswahlen in vier Bundesländern, die Wahlen zum Europaparlament sowie die Bundestagswahl am 27. September 2009 versetzten politische Akteure und Parteien jeglicher Couleur nahezu das ganze Jahr über in den Wahlkampf. Die Zuspitzung der politischen Auseinandersetzungen im Vorfeld des Urnenganges und das aktive Werben um Wählerstimmen stellen dabei nicht nur eine besondere Phase im demokratischen Prozess dar, sondern sind auch Highlights für die mediale Berichterstattung. Politik wird zum aufregenden, bisweilen auch dramatischen Kampf um Macht, den die Wählerschaft Stimme um Stimme entscheiden kann. Seit einigen Jahren findet ein beträchtlicher Teil des Wahlkampfs im Fernsehen statt. Auf allen Kanälen sind mittlerweile führende Politiker zu sehen, die streiten und rechtfertigen, diskutieren und argumentieren, um die Gunst der Zuschauer zu gewinnen.

Doch nicht nur „Polit-Talks“ oder „TV-Duelle“ bieten solche Möglichkeiten. Fernab von rein konfrontativen Formaten nutzt das politische Personal immer häufiger so genannte „Personality-Talkshows“, um sich einem breiten und teils politisch desinteressierten Publikum vorzustellen. In Sendungen wie „Beckmann“ oder „Johannes B. Kerner“ präsentieren sich die hochrangigen Gäste als sympathische, schlagfertige Gesprächspartner und gleichsam als Privatmenschen jenseits ihrer politischen Funktionsolle. Hobbies oder persönliche Vorlieben können hier genauso thematisiert werden wie Fragen zu Partnerschaft und Familie. Der Blick hinter die professionelle „Politikermaske“ erweist sich bei näherem Hinsehen freilich nur als eine andere, eben auf die Inszenierung des Privaten spezialisierte Maske.

Die „menschelnde“ Unterhaltung birgt allerdings auch Risiken. Die zur Verfügung gestellte Bühne zur Selbst-Präsentation kann für die Akteure schnell zum medialen Glatteis werden. Wenn der Moderator beispielsweise doch provokative, politisch brisante Fragen stellt, um Unterhaltungseffekte zu erzielen. Ebenso können andere Gäste in der Runde jederzeit selbst aktiv werden und Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Des Weiteren beeinflussen Regie und Kamera in starkem Maße, welches „Bild“ des Politikers letztendlich auf dem heimischen Fernseher ankommt. Eine ablehnende Mimik, eine unsichere Gestik oder eine verkrampfte Körperhaltung reichen oftmals schon aus, um dem angestrebten Positiv-Image Risse hinzuzufügen oder gar zu widersprechen.

Diesem interessanten, bisher jedoch wenig erforschten Gebiet widmet sich seit Mai 2009 eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Gruppe von WissenschaftlerInnen an der Philipps-Universität Marburg (unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Dörner, Institut für Medienwissenschaft) sowie der Bergischen Universität Wuppertal (unter der Leitung von Prof. Dr. Ludgera Vogt, Fachbereich G für Soziologie). Unter dem Titel „Die doppelte Kontingenz der Inszenierung. Zur Präsentation politischer Akteure in Personality-Talkshows des deutschen Fernsehens“ analysiert das Forschungsprojekt in den Jahren 2009-2010 einschlägige TV-Sendungen, führt Interviews mit Fernsehmachern, politischen Akteuren und Politikberatern durch und wertet Pressedokumente aus. Die ForscherInnen versprechen sich von ihrer detaillierten Untersuchung der Präsenz des Politischen in der deutschen Fernsehlandschaft im „Superwahljahr“ 2009 neue Erkenntnisse zu den Strategien von Politikern und ihrer Inszenierung in den Medien.