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Forschungs­pro­jekt Genderismus

„‚Genderismus‘ in der medialen Debatte. Themenkonjunkturen 2006 bis 2016“

Gender Studies, Gleichstellungspolitiken und insbesondere das Konzept Gender Mainstreaming sehen sich unter dem Begriff ‚Genderismus‘ dem Vorwurf der systematischen ideologiegeleiteten Bevorzugung von Frauen ausgesetzt. Der Anerkennung einer Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Identitäten und entsprechender Lebensentwürfe werden die vermeintlich natürliche Binarität von Mann und Frau sowie die traditionelle Kleinfamilie gegenübergestellt.

In wissenschaftlichen Diskursen wird solchen ‚Genderismus‘-Debatten die Funktion einer Brücke zwischen der extremen Rechten und bürgerlich-konservativen bzw. christlichen Kreisen zuerkannt. Doch wie funktioniert diese Brücke? An welchen Themen macht sie sich fest? Hat sie thematische Bezüge oder haben Genderismus-Debatten eine mediale Eigendynamik gewonnen? Diesen Fragen ging das Projekt „‚Genderismus‘ in der medialen Debatte. Themenkonjunkturen 2006 bis 2016“ von August 2017 bis Januar 2019 nach. Es war am Institut für Politikwissenschaft und dem Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Uni Marburg angesiedelt und wurde vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) finanziert.

  • Zusammenfassung der Ergebnisse

    „‚Genderismus‘ in der medialen Debatte. Themenkonjunkturen 2006 bis 2016“

    Projektlaufzeit: August 2017 bis Januar 2019
    Förderung im Programm „Dimensionen der Kategorie Geschlecht“ des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst

    Ergebnisse des Projekts in Kürze

    In dem Projekt wurden thematische Verläufe von medialen ‚Genderismus‘-Debatten untersucht. Zum Sample gehörten die Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung und Die Welt sowie der online-Nachrichtendienst Spiegel online. Beiträge, in denen die geläufigsten Komposita mit dem Begriff ‚Gender‘ genannt wurden, sowie darauf bezogene Leser_innenbriefe und online-Kommentare, wurden inhalts- und frame-analytisch untersucht. Zugrunde lag die Vermutung, dass sich hier Diskursbrücken zwischen der extremen Rechten und bürgerlich-konservativen bzw. christlichen Kreisen zeigen könnten. Gefragt wurde danach, an welchen Themen und Anlässen oder externen Ereignissen sich Medienbeiträge festmachen – eventuell auch medienübergreifend.

    Medienübergreifend konnten keine nennenswerten Thematisierungskonjunkturen von ‚Genderismus‘-Diskursen identifiziert werden, die sich an externen Anlässen orientieren. Vielmehr setzen Nachrichten-Medien entsprechende Themen in dieser Debatte selbst.

    Bei allen untersuchen Medien ist ein diffamierender Diskurs über Gender Studies und geschlechterbewusste Sprache erkennbar. In der Abwehr der Perspektive auf Geschlecht als sozial und kulturell konstruiert wird die vermeintliche Sicherheit der ‚Normalität‘ einer heteronormativen Ordnung und ebensolcher Paarbeziehungen verteidigt, in der andere geschlechtliche Identitäten und Lebensweisen allenfalls als geduldete Minderheit Platz haben. Dies würde die heftigen und polemischen Angriffe auf die wissenschaftliche Befassung mit Konstruktionen von Geschlecht in den Gender Studies sowie die sprachliche Sichtbarmachung von geschlechtlicher Vielfalt plausibilisieren.

    Zugleich wird geschlechtliche und sexuelle Vielfalt bis in konservative Medien und ihre Leser_innenschaft hinein als gesellschaftliche Realität zunehmend anerkannt. Beispiele dafür sind das Porträt eines Trans-Paars als Vorbild für normativ wünschenswerte Beziehungen in der FAZ sowie Leser_innenbriefe in der Welt, die queere Lebensweisen als normal bezeichnen.

    Das kann als widersprüchliche Gleichzeitigkeit der Abwehr von Verunsicherungen und Akzeptanz der Liberalisierung von Geschlechterordnungen diskutiert werden. Diese Widersprüchlichkeit könnte darauf hinweisen, dass veränderte Praktiken akzeptabel sind, während ein Wandel der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Ordnung hoch umstritten bleibt. Fraglich ist jedoch, ob sich die Liberalisierung auf solche Lebensweisen beschränkt, die heterosexuellen Normalitätsvorstellungen entsprechen, wie die Ehe für alle. Heteronormativität würde damit gleichsam um angepasste nicht-heterosexuelle Lebensweisen erweitert.

    Gender Studies und genderbewusste Sprache als inhaltliche Brücken

    Ein medialer ‚Genderismus‘-Diskurs wird hauptsächlich auf den Feldern Gender Studies und genderbewusste Sprache ausgetragen, während geschlechtliche Vielfalt als Praxis und entsprechende pädagogische Konzepte weniger umstritten zu sein scheinen. So berichteten zwar vor allem die konservativen Zeitungen FAZ und Die Welt über die Proteste gegen geplante Änderungen in den Bildungsplänen in Baden-Württemberg und Hessen, in denen geschlechtliche Vielfalt anerkannt werden sollte. Doch die Kommentare der Leser_innen beschränkten sich auf Spektrum der familialistische und christlich-fundamentalistischen Gegner_innen. Auch im Feuilleton und in human-interest-Ressorts wird wertschätzend über Aspekte der Liberalisierung von Geschlechterverhältnissen geschrieben, wenn auch vorrangig in den eher liberalen Medien. Das wiederum könnte darauf hindeuten, dass diese Ressorts, wie Kunst und Kultur im Allgemeinen, als gesellschaftliche Labors für Entnormierungen fungieren, während in den Politik- und Nachrichtenressorts die eigentlichen gesellschaftlichen Kämpfe ausgefochten werden.

    Mediale Resouveränisierungsdiskurse um eine wehrhafte Männlichkeit wiederum könnten eher als antifeministische denn als anti-‘genderistische‘ Diskurse eingeordnet werden. Hier wird nicht in erster Linie geschlechtliche Vielfalt angegriffen. Vielmehr sind zentrale Argumentationsmuster die vermeintliche Verantwortung der Frauen für die Misere der Männer sowie die Anrufung traditioneller männlicher Werte wie der Schutz von Frau und Familie. Dies kann als Aktualisierung heteronormativer Geschlechterhierarchien interpretiert werden.

    Der ausführliche Projektbericht ist hier nachzulesen:

    Beck, Dorothee (2020): Arenen für Angriffe oder Arenen der Akzeptanz? Medien als Akteure in ‚Genderismus‘-Diskursen. In: Birsl, Ursula/Henninger, Annette (Hg.), Antifeminismen. 'Krisen'-Diskurse mit gesellschaftsspaltendem Potential? Bielefeld: transcript

    https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4844-7/antifeminismen/