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Die Frau mit den Blumen im Haar

Überlebensgroßes Porträt der Künstlerin Frida Kahlo. Frida trägt ein grünes, gemustertes Oberteil und einen rot-braunen Schal. Das mit gelb-roten Blumen übersäte Haar ist zum hohen Kranz festgesteckt.
© Bildarchiv Foto Marburg | Mit freundlicher Genehmigung Atelier Goldstein

Perihan Arpacilar
geb. Boyabat, Türkei 1949
Frida, 2016
Holzschnitt auf Papier, 100 x 70 cm
Ankauf 2018 durch den Verein der Museumsfreunde e.V.
Kunstmuseum Marburg © Bildarchiv Foto Marburg | Mit freundlicher Genehmigung Atelier Goldstein

Frida – diesen knappen Titel trägt das Kunstwerk der Frankfurter Künstlerin Perihan Arpacilar. Beim Betrachten fällt auf, dass dem Titel etwas fehlt – ein Nachname. Dennoch werden viele auf den ersten Blick erkennen, dass das Bild die mexikanische Malerin Frida Kahlo zeigt. Die energischen Augenbrauen, das dunkle hochgesteckte, mit Blumen besetzte Haar und die bunte Kleidung machen eine Verwechslung unwahrscheinlich.

Überlebensgroßes Porträt der Künstlerin Frida Kahlo. Frida trägt ein grünes, gemustertes Oberteil und einen rot-braunen Schal. Das mit gelb-roten Blumen übersäte Haar ist zum hohen Kranz festgesteckt.
© Bildarchiv Foto Marburg | Mit freundlicher Genehmigung Atelier Goldstein

Frida trägt ein grünes, gemustertes Oberteil und einen rot-braunen Schal. Das mit gelb-roten Blumen übersäte Haar ist zum hohen Kranz festgesteckt. In ihrer überlebensgroßen Darstellung weicht Frida dem Blick der Betrachtenden aus. Ihre Augen schauen verstohlen zur Seite. Sie ist im Dreiviertelprofil dargestellt. Die dunkelroten Lippen stehen im Kontrast zur hellen Haut, die mit einer hellgrünen Farbschicht unterlegt ist. Ungewöhnlich sind die starken und dichten Augenbrauen, die aber in diesem Bild nicht zusammengewachsen sind, anders als es die Fotos und Selbstporträts zeigen. Der weiße Hintergrund lässt keinen Rückschluss auf die Umgebung zu.

Anlässlich der Wiedereröffnung des Museums im Herbst 2018 erwarb der Verein der Museumsfreunde eine Serie mit großformatigen Holzschnitten von Künstlerikonen mit dem Titel „Kult“ von Perihan Arpacilar. Insgesamt acht Porträts berühmter Persönlichkeiten befinden sich seither in der Museumssammlung: Andy Warhol, Pablo Picasso, Meret Oppenheim, Albrecht Dürer, Joseph Beuys, Vincent van Gogh, Frida Kahlo und Salvador Dalí. Sie zeigen Personen, die für das Schaffen der Künstlerin bedeutsam waren und die „mehr durch ihren Look, als durch ihr Werk bekannt sind“, wie sie anmerkt. Im Holzschnittzyklus porträtiert Perihan Arpacilar Künstler/innen, deren Gesichter sich durch häufige Wiederholung in das kollektive Gedächtnis eingeprägt haben. Heute sind sie Kultfiguren und Ikonen der Kunstgeschichte und der Populärkultur. Ihre porträtierten Erscheinungen sind unumkehrbar mit ihrer Kunst verwoben. Frida Kahlo schuf diverse Selbstporträts auf denen neben ihrem Gemütszustand ihr charakteristisches, wenn auch leicht überzeichnetes Aussehen verewigt wurde. Abseits davon existieren zahlreiche Fotografien, die in Reproduktionen, auf Stofftaschen, in Kinderbüchern und Zeitschriften um die ganze Welt reisen. Auf Basis von Fotos der Künstlerin und in intensiver Beschäftigung mit ihrem Werk konzipierte Arpacilar den Holzschnitt.

Seit mehr als 30 Jahren lebt und arbeitet Perihan Arpacilar in Frankfurt. Sie ist Künstlerin im Atelier Goldstein, einer Institution, die Menschen mit Beeinträchtigungen Raum, Material und Zeit zum künstlerischen Schaffen bietet. Seit 2001 entstehen im Atelier Goldstein hochqualitative Kunstwerke, die mit großem Erfolg in zahlreichen Museen und Ausstellungshäusern gezeigt werden. Arpacilars Spezialität sind Porträts. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Menschen aus ihrem persönlichen und künstlerischen Leben – denen sie in Cafés, dem Bekanntenkreis oder in Zeitschriften begegnet. Hauptsächlich widmet sich die Künstlerin der Tuschemalerei. Ihre „fließenden Bilder“ aus Tusche, Wasser und Pigmenten zeigen fluide Gesichter, die eine starke Präsenz ausstrahlen. Die Erscheinung der Porträtierten wird dabei zum Teil vom Zufall beeinflusst. Der Zufall spielte auch bei der Herstellung der Holzschnitte eine Rolle. Zwar wurde hier sorgfältig vorgeplant und die Darstellung akribisch angelegt, der Druckvorgang selbst sorgte allerdings für Überraschungen. Die Holzschnitte entstanden als manuelle „Handabzüge“ von mehreren Druckstöcken. Unregelmäßigkeiten beim Druck erzeugten die zum Teil poröse Farboberfläche und einen heterogenen Farbabrieb.

Trotz Blumen im Haar und bunter Kleidung ist Fridas Gesicht nicht fröhlich verspielt, sondern ernst; mit einem leicht zusammengekniffenen Mund. Die hellgrüne Farbschicht, die vermutlich im ersten Druckvorgang aufgetragen wurde, verleiht ihr ein kränkliches Aussehen. Die Farbwahl korrespondiert mit ihrer Biografie, in der Krankheiten eine große Rolle spielten. Schon im Alter von sechs Jahren litt sie vermutlich an Kinderlähmung, und in ihrer Jugend schwebte sie durch einen Busunfall lange Zeit in Lebensgefahr. Auch durch das entschlossene Ertragen ihrer Schmerzen und die gleichzeitige künstlerische Schaffenskraft, die sie permanent begleiteten, wurde Frida Kahlo zur feministischen Ikone für Stärke und Selbstbewusstsein.

Samira Idrisu