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24.03.2015

Glauben an die Macht

Orientwissenschaftler beleuchten den politischen Aufstieg religiöser Bewegungen.

Politischer_Islam
„The Transformation of Politicised Religion. From Zealots into Leaders”, hg. v. Hartmut Elsenhans, Rachid Ouaissa, Sebastian Schwecke & Mary Ann Tétreault, Farnham (Ashgate) 2015, ISBN 978-1-4724-4881-1, 65,- £

Wenn religiöse Fundamentalisten politischen Einfluss gewinnen, neigen sie zur inhaltlichen Mäßigung, um die divergierenden Interessen neuer Anhänger zu integrieren – dies ist eine der Kernthesen eines neuen Sammelbandes, für die das Herausgeberteam um den Marburger Politikwissenschaftler Professor Dr. Rachid Ouaissa auch Autoren gewinnen konnten, die selbst den moderaten Flügeln fundamentalistischer Bewegungen angehören: „The Transformation of  Politicised Religion. From Zealots into Leaders”.

In den vergangenen Jahren haben religiöse Bewegungen in vielen Ländern des Orients politische Machtpositionen erobert – in der Türkei, in Ägypten, in Tunesien und in Indien. Sie zeichnen sich durch eine Abgrenzung gegenüber einer säkularen, nationalstaatlichen Gesellschaftsordnung aus, die zunehmenden Wohlstand verspricht. „Der Umbau der bürgerlichen Schichten bildet den sozialen Hintergrund für den Aufstieg der religiösen Bewegungen zu politischer Macht“, schreiben Ouaissa und  Sebastian Schwecke in der Einleitung.

Wenn das Versprechen an die Mittelschichten, von wachsendem Wohlstand zu profitieren, sich nicht erfüllt, so zieht dies eine zunehmende Ablehnung der überkommenen politischen Konzepte des säkularen Nationalstaats nach sich; die abgehängten Schichten wenden sich neuen Ideologien zu. Erobern die neuen Bewegungen einflussreiche Positionen in der Gesellschaft, so stehen sie vor der Notwendigkeit, die Interessen immer breiterer Gesellschaftsschichten zu integrieren; dabei müssen sie darauf achten, ein wiedererkennbares Profil zu bewahren, mit dem sie sich von politischen Konkurrenten absetzen.

Der englischsprachige Band versammelt Fallbeispiele vom Mittleren Osten bis Südasien, die in einen übergreifenden Theorierahmen eingeordnet werden. Demnach gewinnen weltweit bürgerliche Bewegungen an Einfluss, die auf regionalen Interpretationen kultureller Identität und der Ablehnung des herrschenden Weltwirtschaftssystems beruhen – die Herausgeber sprechen von ihnen als „Kulturell-Identitäre Bewegungen“.

In den Fallstudien beleuchten die Autoren den Islamismus und die ökonomischen Verhältnisse in Algerien, den Machtverlust der Hindunationalisten in Indien, den militanten Islam in der Golfregion, die Muslimbruderschaft in Ägypten und die Entwicklung von deren ökonomischem Denken sowie die soziale Basis der türkischen Regierungspartei AKP. Außerdem kommen in dem Band gemäßigte Vertreter der algerischen Islamisten sowie der Hindunationalisten zu Wort, die wichtige Ansatzpunkte für die Fallstudien lieferten. „In unserem Buch werden politische Bewegungen thematisiert, die zwar in unterschiedliche Kulturen eingebetteten sind, jedoch ähnliche Mobilisierungsmechanismen benutzen und deren Klientel in der bürgerlichen Mitte zu verorten ist“, fasst Mitherausgeber Ouaissa zusammen. „Diese Bewegungen sind eine Antwort auf das Scheitern der postkolonialen, säkularistischen Modelle.“

Professor Dr. Rachid Ouaissa lehrt Politik des Nahen und Mittleren Ostens am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien (CNMS) der Philipps-Universität, das die hessische Orientforschung bündelt. Er leitet ein interdisziplinäres Forschungsnetzwerk zur Neubewertung von Geschichte und Gegenwart des Mittleren Ostens und Nordafrikas, das vom Bundesforschungsministerium finanziert wird. Außerdem begleitet er mit seiner Arbeitsgruppe im Auftrag des Auswärtigen Amts den politischen Dialog mit gemäßigten islamistischen Parteien. Neben Ouaissa zeichnen unter anderem die Politologen Professor Dr. Hartmut Elsenhans von der Universität Leipzig sowie Dr. Sebastian Schwecke von der Universität Göttingen als Herausgeber des Sammelbandes verantwortlich.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Professor Dr. Rachid Ouaissa,
Centrum für Nah- und Mitteloststudien, Fachgebiet Politik
Tel.: 06421 28-24956
E-Mail: ouaissa@staff.uni-marburg.de
Internet: www.uni-marburg.de/cnms

Pressemitteilung zum Forschungsnetzwerk „Re-Konfigurationen“: http://www.uni-marburg.de/aktuelles/news/2013b/0423a

Rachid Ouaissa im Marburger Unijournal: http://www.uni-marburg.de/aktuelles/news/2014d/uj37orient.pdf

Forschungsnetzwerk im Marburger Unijournal: https://cms.uni-marburg.de/aktuelles/news/2015a/ouaissa-muj40.pdf/view