Hauptinhalt

Zu Voraussetzungen und Aufgaben der Georg Büchner Gesellschaft (1979)

Bis vor rund 15 Jahren galt das Werk Georg Büchners als mit allen Methoden der Literaturwissenschaft bis in die letzten Winkel durchleuchtet. Die folgenden textkritischen Untersuchungen und Editionen haben gezeigt, daß noch nicht einmal die Textbasis hierfür elementaren Voraussetzungen genügte. Bis vor wenigen Jahren galt dann wenigstens der biographische und quellenkundliche Horizont der Forschung als kaum noch erweiterbar. Die Entdeckung unbekannter Briefe, Aufzeichnungen von Freunden, biographischer Quellen zur Gymnasial- und Studienzeit wie zur Konspiration um den Hessischen Landboten, neuer Porträtzeichnungen und nicht zuletzt unbekannter Quellen des literarischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Werks stellten auch diese Gewißheit nachhaltig in Frage. Auch für die Textinterpretation könnte die veränderte Materiallage eine Anregung sein, ihre bisherigen Ergebnisse zu überdenken.

Die Tatsache, daß dies bei einem Autor solchen Ranges jetzt noch möglich wird, hat ihre Vorgeschichte sicher in den wissenschaftspolitischen Prioritäten der frühen positivistischen Forschung gerade gegenüber einem Thema so dezidiert demokratischer Tradition. Die entsprechenden Forschungsdefizite machen sich bis heute bemerkbar:

  • Der ältere, richtungsbestimmende Teil der interpretierenden, gehalts- und formalanalytischen Literatur bezog sich auf nichtauthentische Texte.

  • Eine abgeschlossene kritische und kommentierte Gesamtausgabe liegt nicht vor.

  • Es fehlt eine vollständige Dokumentation der Quellen zu Leben, Werk und Rezeption.

  • Es gibt keinen befriedigenden Überblick und nur wenige brauchbare Orientierungshilfen zu den historischen, literaturgeschichtlichen und biographischen Voraussetzungen und Zusammenhängen.

  • Die Forschung hat kein Organ der Diskussion, der raschen Mitteilung, der Auseinandersetzung und Verständigung.

  • Es gibt keine Institution, die die Forschungsdiskussion selbst und den Kontakt zwischen Forschung und Öffentlichkeit (auch Schule und Theater) anregen und fördern könnte.

  • Die schwer überschaubare Forschungsentwicklung trägt deutliche Spuren hiervon.

Dieser Zustand ist wissenschaftlich disfunktional; insbesondere bei einem auf interdisziplinäre Kooperation geradezu angewiesenen Gegenstand. Die kaum weniger kontroversen Forschungsthemen Hölderlin, Kleist, Heine beispielsweise zeigen jedoch, daß produktivere Arbeitsformen keineswegs unerreichbar sind. 

Gerade weil die Büchner-Forschung in den letzten Jahren das Editions- und Quellenmaterial als Basis für die künftigen philologischen und hermeneutischen Anstrengungen erheblich erweitert hat und insgesamt sowohl quellen- und textbezogener als auch methodisch offener und reflektierter geworden ist, scheint jetzt ein Forum notwendig, das die skizzierten Mängel und Probleme wenigstens stückweise zu überwinden hilft.

Die am 5. Mai 1979 in Marburg gegründete Georg Büchner Gesellschaft versteht sich als eine Initiative, die der breitesten Verständigung über diese Fragen dient und damit zugleich nach Lösungsmöglichkeiten sucht. 

Die Form einer solchen Initiative, die durch die Mitglieder der Gesellschaft erst Profil gewinnen kann, scheint gerechtfertigt durch die Beitritte von mehr als 200 Interessenten der verschiedensten Forschungsrichtungen und mit entsprechend vielseitigen Informationsbedürfnissen bereits nach rund einem Jahr (unter den Mitgliedern aus 24 Ländern sind am 20. Juni 1981: 68 berufstätige Akademiker und Nichtakademiker, 6 Institutionen; 81 Studenten; 54 promovierte Dozenten, Assistenten u. ä.; 46 Professoren).

Die gemeinsamen Vorstellungen der Gründungsmitglieder und weiterer Mitglieder dürften sich zwischen kritischem Positivismus und historisch orientierter Textanalyse bewegen; beide Richtungen sehen einerseits das poetische Werk nicht in seinem ideologischen Gehalt aufgehen, wenden sich andererseits aber auch gegen die Vernachlässigung sozialhistorischer und biographischer Voraussetzungen.

Thema der gemeinsamen Überlegungen soll Georg Büchners Gesamtwerk, Leben und Wirkung sein; ferner die ästhetisch modernen und demokratischen, aber auch die gegenläufigen Bestrebungen in Literatur und Geschichte des Vormärz, soweit sie in einem plausiblen Zusammenhang mit Büchner stehen. 

Die Faktenkenntnisse über diesen Gegenstand zu erweitern, und zwar durchaus im Sinne von Bausteinen der Forschung, ist ein erstes Ziel der Gesellschaft. Die Quellenarbeit kann hier insofern auf besondere Weise dem Abbau von Legenden dienen, als die mit jedem Dokument freigelegte Wirklichkeit in diesem Fall eine besondere ist: radikaler, konkreter Humanismus, der poetisch, philosophisch und praktisch auf eine Welt nach dem Bild des Menschen zielte (Büchner nach Muston) und weder verschwieg noch hinnahm, was ihr entgegensteht. Daß sich auch die Textanalyse die neuen Bausteine kritisch zunutze macht, ist zu erwarten.

Die sachliche Verbindung des Quellenkundlichen mit den historisch– und nicht museal– hermeneutischen Bemühungen jedenfalls zu vermitteln, ist ein zweites Ziel der Gesellschaft. Eigene analytische Beiträge dagegen kann und soll sie natürlich nicht als Institution leisten, sondern wiederum nur durch die Anregung ihrer Mitglieder und deren Initiative selbst. 

Zu den konkreten Aufgaben der Gesellschaft gehören:

  • die Publikation des Georg Büchner Jahrbuchs, das in seinen Gliederungsteilen (Aufsätze, Debatten, kleinere Beiträge und Glossen, Dokumente und Materialien, Rezensionen, Bibliographie, Mitteilungen der Gesellschaft) die ganze Breite der Forschungsergebnisse und -diskussionen erfassen soll;

  • dazu ergänzend die Publikation einer Schriftenreihe;

  • die Einrichtung einer Dokumentationsstelle der Quellen und der Literatur nach Maßgabe der finanziellen Mittel und der Einsendung von Schriften hierfür;

  • die Veranstaltung von wissenschaftlichen Tagungen und Vorträgen;

  • ferner ist daran gedacht, die Einrichtung eines öffentlich finanzierten Georg Büchner Instituts zu unterstützen, das als Forschungszentrum längerfristig diejenigen wissenschaftlichen Aufgaben koordinieren bzw. übernehmen könnte, die im genannten Katalog der Defizite die Möglichkeiten der Gesellschaft übersteigen.

Berücksichtigt man, daß mit Georg Büchner der vermutlich bedeutendste Dramatiker des Welttheaters zwischen Kleist und Ibsen aus Hessen kam, daß mit dem Hessischen Landboten von Büchner und Weidig die wichtigste soziale Flugschrift des frühen deutschen Vormärz entstand und daß überhaupt während aller drei Oppositionswellen gegen das Restaurationssystem (1815-1819, 1830-1835 und 1848) die liberale und demokratische Bewegung in Hessen eine zentrale Bedeutung für ganz Deutschland hatte, so liegen gerade die landesgeschichtlichen Zusammenhänge auf der Hand. Im Sinne dieser Verbindungen und auch Traditionen ist die Georg Büchner Gesellschaft an der Zusammenarbeit mit allen betreffenden wissenschaftlichen und öffentlichen Institutionen in Hessen besonders interessiert. Sie ist ebenso darauf angewiesen wie sie ihrerseits schon ihre Aufgabenstellung als einen Beitrag in dieser Richtung versteht.

Satzung der Georg Büchner Gesellschaft e. V. Marburg/Lahn

§ 1 Name und Sitz des Vereins, Geschäftsjahr

  1. Der Verein trägt den Namen Georg Büchner Gesellschaft e. V. und hat seinen Sitz in Marburg an der Lahn.
  2. Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr.
  3. Der Verein ist in das Vereinsregister eingetragen.

§ 2 Zweck des Vereins

  1. Die Georg Büchner Gesellschaft e. V. ist eine wissenschaftliche Institution, die sich folgende Aufgaben setzt:
    • Erforschung von Leben und Werk Georg Büchners sowie Publikation und Unterstützung der Publikation von Ergebnissen solcher Forschung.
    • Forschung und Publikation zur demokratischen Bewegung im Vormärz, insbesondere in Hessen.
  2. Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts »Steuerbegünstigte Zwecke« der Abgabenordnung, und zwar insbesondere durch Wissenschaft und Forschung, Pflege der landesgeschichtlichen Tradition und belehrende Vorträge.
  3. In Verfolgung ihrer Zielsetzungen tritt die Georg Büchner Gesellschaft e. V. durch Einrichtung einer Dokumentationsstelle, durch Publikationen sowie als Veranstalter oder Mitveranstalter wissenschaftlicher Tagungen, Colloquien und Vorträge an die Öffentlichkeit.
  4. Die Georg Büchner Gesellschaft e. V. enthält sich dagegen jeglichen weihevollen Vereinslebens sowie aller Fest- und Feierveranstaltungen zu ihrem Gegenstand ebenso wie zu ihren eigenen Aktivitäten oder verdienten Mitgliedern.
  5. Die Georg Büchner Gesellschaft e. V. unterhält Beziehungen mit Personen und Institutionen, die den Vereinszwecken dienen; insbesondere ist ggf. engere Zusammenarbeit mit einem künftig zu gründenden Georg Büchner Institut geplant.
§ 3 Mitglieder
  1. Mitglied des Vereins kann jeder werden, der die Zwecke des Vereins unterstützt oder an ihnen Interesse hat, die Satzung anerkennt und regelmäßig den Mitgliedsbeitrag entrichten will.
  2. Über die Aufnahme nach schriftlichem Antrag an den Vorstand entscheidet die Mitgliederversammlung.
  3. Mitglieder, die aus dem Verein austreten wollen, haben dies durch schriftliche Erklärung dem Vorstand mitzuteilen.
  4. Bei Zuwiderhandlungen gegen die Interessen des Vereins, Verstößen gegen die Satzung oder Beitragsrückstand von über einem Jahr kann der Vereinsvorstand ein Mitglied suspendieren. Die Mitgliederrechte ruhen in diesem Fall bis zur endgültigen Entscheidung über einen Ausschluß durch die Mitgliederversammlung, die hierüber mit Zweidrittelmehrheit entscheidet.
§ 4 Beiträge
  1. Der jährliche Vereinsbeitrag, über dessen Angleichung ggf. die Mitgliederversammlung entscheidet, beträgt EUR 20,– für  berufstätige Mitglieder oder solche mit geregelten Einkünften.
  2. Für Studenten oder nichtberufstätige Mitglieder beträgt der jährliche Vereinsbeitrag EUR 10,–.
  3. In begründeten Fällen kann die Mitgliederversammlung ein Mitglied auf seinen Antrag von der Zahlung der Vereinsbeiträge freistellen.
  4. Die Zahlung der Beiträge erfolgt in beliebigen Raten gebührenfrei auf das Vereinskonto.
  5. Die Entrichtung des Vereinsbeitrags berechtigt zum erheblich verbilligten Bezug der größeren Publikationen des Vereins, d. h. soweit solche den Mitgliedern nicht ohnehin kostenfrei zugehen.
§ 5 Organe des Vereins
  1. Oberstes Organ des Vereins ist die Mitgliederversammlung.
  2. Für die Durchführung der satzungsmäßigen Aufgaben, für die verantwortliche Leitung sämtlicher Vereinsaktivitäten, für die juristische und geschäftliche Vertretung sowie die Vertretung des Vereins in der Öffentlichkeit wählt die Mitgliederversammlung einen dreiköpfigen Vorstand.
  3. Änderungen oder Ergänzungen der Satzung, die von der zuständigen Registerbehörde oder vom Finanzamt vorgeschrieben werden, werden vom Vorstand umgesetzt und bedürfen keiner Beschlussfassung durch die Mitgliederversammlung. Sie sind den Mitgliedern spätestens mit der nächsten Einladung zur Mitgliederversammlung mitzuteilen.
§ 6 Mitgliederversammlung
  1. Die Mitgliederversammlung muß mindestens einmal im Jahr vom Vorstand mit schriftlicher Einladung (spätestens 14 Tage vor dem Versammlungstermin) einberufen werden. Bei der Einladung ist die Tagesordnung bekanntzugeben.
  2. Auf Beschluß der Mitgliederversammlung, auf Wunsch des Vorstandes oder auf Antrag von einem Drittel der Mitglieder können weitere Mitgliederversammlungen einberufen werden.
  3. Die Mitgliederversammlung beschließt über
    • den Jahresbericht,
    • den Rechenschaftsbericht des Kassierers,
    • die Entlastung des Vorstands,
    • die Neuwahl des Vorstands.
  4. Eine satzungsgemäß einberufene Mitgliederversammlung ist in jedem Fall beschlußfähig; bei Beschlüssen, die die Änderung der Satzung oder die Auflösung des Vereins betreffen, jedoch nur, wenn der Vorstand und mindestens 30 Mitglieder anwesend sind.
  5. Die Mitgliederversammlung entscheidet mit einfacher Mehrheit; bei Beschlüssen, die die Satzung ändern, oder Beschlüssen über die Auflösung des Vereins mit Dreiviertelmehrheit.
  6. Das Stimmrecht in den Mitgliederversammlungen kann auch durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Vertreter ausgeübt werden.
  7. Die Beschlüsse der Mitgliederversammlung sind in ein besonderes Protokollbuch niederzuschreiben und vom Versammlungsleiter, vom ersten Vorsitzenden und dem Schriftführer zu unterzeichnen; die Beschlüsse werden den Mitgliedern auf Wunsch bekanntgegeben. Die Protokolle werden auf der nächstfolgenden Mitgliederversammlung verlesen; erfolgt kein Einspruch, so gelten sie als genehmigt.
§ 7 Vorstand
  1. Der Vorstand besteht aus dem ersten Vorsitzenden, dem Schriftführer, der gleichzeitig der erste stellvertretende Vorsitzende ist, und dem Kassierer, der gleichzeitig der zweite stellvertretende Vorsitzende ist.
  2. Der Vorstand wird von der Mitgliederversammlung für ein Jahr gewählt. Wiederwahl und zwischenzeitliche Abwahl sind möglich; der Vorstand bleibt jedoch bis zur Neuwahl eines Vorstandes im Amt.
  3. Nur ordentliche Mitglieder des Vereins können Vorstandsmitglieder sein.
  4. Der Vorstand führt die Geschäfte, führt die Vereinsbeschlüsse durch und verwaltet das Vereinsvermögen.
  5. Aus den Reihen der Mitglieder kann ein geeignetes Mitglied mit der organisatorischen Geschäftsführung betraut werden, sofern der Umfang der Tätigkeiten dies erfordert. Der Geschäftsführer wird auf Vorschlag des Vorstandes durch die Mitgliederversammlung gewählt. Der Geschäftsführer, der an den Sitzungen des Vorstands und der Mitgliederversammlungen teilnimmt, leitet die Geschäftsstelle.
  6. Zur Entlastung des Vorstandes hinsichtlich der Kassenprüfung kann die Mitgliederversammlung einen oder zwei Mitglieder als Kassenprüfer wählen.
  7. Der Vorstand ist berechtigt, Vereinsmitglieder zur Vornahme von Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen jeder Art für den Verein zu ermächtigen.
  8. Der Kassierer verwaltet die Kasse des Vereins und erstattet der Mitgliederversammlung einen Rechenschaftsbericht.
  9. Der Vorstand ist verpflichtet, in alle namens des Vereins abzuschließenden Verträge die Bestimmung aufzunehmen, daß die Vereinsmitglieder nur mit dem Vereinsvermögen haften.
  10. Der erste Vorsitzende und seine beiden Stellvertreter erhalten keine Vergütung ihrer Tätigkeit.
§ 8 Finanzen
  1. Der Verein finanziert seine Tätigkeit aus den Beiträgen der Mitglieder, aus Spenden und sonstigen Zuwendungen, sowie aus etwaigen Erlösen seiner Veranstaltungs- und Publikationstätigkeit.
  2. Im Rahmen von Beschlüssen der Mitgliederversammlung können der ernannte Geschäftsführer und etwaige weitere zur Geschäftsführung nötige Fach- oder Hilfskräfte gemäß dem Umfang ihrer Tätigkeiten für den Verein in ortsüblicher Höhe entlohnt werden.
  3. Die Georg Büchner Gesellschaft ist selbstlos tätig; sie verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke. Mittel der Georg Büchner Gesellschaft dürfen nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Die Mitglieder erhalten keine Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft. Es darf keine Person durch Ausgaben, die dem Zweck der Georg Büchner Gesellschaft fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden.
§ 9 Auflösung des Vereins

Bei Auflösung der Georg Büchner Gesellschaft oder bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke fällt das Vermögen des Vereins an eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine andere steuerbegünstigte Körperschaft zwecks Verwendung für die Förderung von Wissenschaft und Forschung.

Marburg/Lahn, den 5. Mai 1979

(folgen Unterschriften)
(folgt Eintragung in das Vereinsregister unter Nr. 1072 durch das Amtsgericht Marburg am 4. Juli 1979)

(laut Beschluss der Mitgliederversammlung vom 23.10.2009 geändert in § 9; Tag der Eintragung: 01.02.2010)
(laut Beschluss der Mitgliederversammlung vom 30.10.2015 geändert in § 8,3 und in § 5; Tag der Eintragung: 25.02.2016)