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Teilprojekt C10 (vormals A07)
Zwischen Minderheitenschutz und Versicherheitlichung: Die Herausbildung der Roma-Minderheit in der modernen europäischen Geschichte

2. Förderphase (2018-2021)

Das Teilprojekt untersucht die sich historisch wandelnde soziale und politische Situation der europäischen Roma aus der Perspektive von Versicherheitlichung. Die erste Förderphase konzentrierte sich auf die gegenwärtige Situation der Roma-Minderheiten in ausgewählten Ländern Europas. Untersucht wurde, wie Roma in Europa nach 1989 als Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der sozialen Sicherungssysteme wahrgenommen wurden. Folgende zentrale Ergebnisse lassen sich festhalten:

(1) In jüngster Zeit wurden die Roma zugleich als „gefährdet“ und auch als „gefährlich“ beschrieben. In weitaus umfangreicherem Maße als bislang angenommen wurden und werden Roma-Minderheiten als „Problem“ und „Sicherheitsrisiko“ in der europäischen Öffentlichkeit dargestellt, was erhebliche Auswirkungen auf ihr tägliches Leben hat.

(2) Ebenso unerwartet trat die hochambivalente Rolle von Menschenrechten, Bürgerschaft und Entwicklungsprogrammen zutage, die eigentlich zur Integration von Roma-Minderheiten in die europäischen Gesellschaften beitragen sollen. Einerseits werden Menschenrechts- und Entwicklungsprogramme auf Roma-Minderheiten und die Verbesserung ihrer rechtlichen, sozioökonomischen und politischen Lage zugeschnitten. Andererseits werden Roma-Gruppen gerade dadurch trotz ihrer enormen Heterogenität vereinheitlicht und als Gruppe identifiziert, für die zunächst Bedingungen kreiert werden müssen, um Menschenrechte und Bürgerschaft überhaupt in Anspruch nehmen zu können.

(3) Schließlich wird aus diesen Ergebnissen erkennbar, dass eine Überwindung der Versicherheitlichung (eine „Entsicherheitlichung“) der Roma nicht einfach dadurch erreicht werden kann, dass ihre Situation nicht in Termini von „Sicherheit“, sondern eher in Begriffen von Menschen- und Minderheitenrechten, Entwicklung, sozialer Inklusion oder Teilhabe beschrieben wird. Gerade diese Beschreibungen, so konnte gezeigt werden, verstärken die Vorstellung der Roma als „problematische“ Bevölkerungsgruppe. Entsicherheitlichung kann, wenn überhaupt, nur als alltagsbezogene politische und selbstbestimmte Aktion Wirkung zeigen.

Aus diesen Ergebnissen leitet sich das Arbeitsprogramm für die zweite Förderphase des Teilprojektes C10 ab. Es baut auf die bisherigen Untersuchungen auf, wobei der Ausgangspunkt das bislang weitestgehend vernachlässigte Verhältnis zwischen Versicherheitlichung und Rassialisierung sein wird. Für ein umfassendes Verständnis jüngerer und gegenwärtiger Prozesse der Versicherheitlichung liegt es nahe, nicht nur den Zusammenhang zwischen Menschenrechten, Bürgerschaft und Entwicklungsprogrammen für die Roma zu analysieren, sondern auch die Bedingungen „rassischer“ Begrifflichkeiten in der modernen Geschichte Europas nachzuzeichnen.

Das Arbeitsprogramm des Teilprojektes besteht aus drei Unterprojekten, die sich aufeinander beziehen:

(A) Ein erstes Arbeitsvorhaben wird den Nexus zwischen Versicherheitlichung und Rassialisierung aus der Perspektive der Critical Security Studies in Kombination mit der Ideengeschichte politischer Theorie untersuchen. Hier steht im Vordergrund, wie in der Geschichte der politischen Philosophie von der Frührenaissance bis zur Gegenwart die Roma oder „Zigeuner“ als regierbar bzw. unregierbar dargestellt wurden und werden. Leitende Fragen betreffen Kenntnisse und Wissensformationen über Roma, die sich in einschlägigen klassischen Schriften zur politischen Philosophie und Theorie ausfindig machen lassen und die Vorschläge enthalten, wie Roma „regierbar“ gemacht werden könnten. Parallel dazu werden als integraler Bestandteil dieser Genealogie Gegennarrative identifziert, die bislang in der wissenschaftlichen Literatur so gut wie nicht beachtet wurden.

(B) Das zweite Arbeitsvorhaben analysiert ebenfalls die Verbindung von Versicherheitlichung und Rassialisierung, unternimmt dies allerdings aus der Perspektive der Visual Studies, der kulturellen Analyse und der Critical Security Studies. Die Studie wird den Zeitraum vom späten 19. Jahrhundert bis 1989 umfassen und die Rolle von „Regimen der Visualität“ für der Rassialisierung der Roma untersuchen. Damit wird das Ziel verfolgt, einerseits die Rolle von Bildern und anderem visuellen Material für Prozesse und Mechanismen der Ent- und Versicherheitlichung zu analysieren, und andererseits zu untersuchen, wie komplexe Regime des Visuellen unterschiedliche Sicherheitsrisiken kreieren.

(C) Auch ein drittes Arbeitsvorhaben setzt diesen Ansatz fort und verbindet Studien zur Gouvernementalität und zur kritischen Rassismusforschung. Hier sollen „rassische Gouvernementalitäten“ und Gegenerzählungen, die in der europäischen Ideengeschichte und politischen Theorie zu finden sind, mit Imaginationen und Widerstandsformen in verschiedenen Öffentlichkeiten konfrontiert werden. Der Schwerpunkt wird auf der jüngsten Geschichte (ab dem Jahr 2000) liegen und künstlerische und theoretische Gegennarrative im öffentlichen Raum, in der Literatur und der Theorie aufzeigen und analysieren.

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