23.02.2018 Hirnschrittmacher hilft Parkinsonkranken

Hirnstimulation verbessert Impulskontrolle nach Behandlung von Morbus Parkinson

Ob bei Spielsucht, Hypersexualität oder Fressattacken – Parkinsonkranke zeigen eine bessere Impulskontrolle, wenn die Therapie eine Hirnstimulation umfasst, als wenn sie sich auf reine Medikamenten-verabreichung  beschränkt. Zu diesem Ergebnis kommt ein deutsch-französisches Konsortium in einer umfangreichen Studie, an der auch ein Team der Philipps-Universität beteiligt ist. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten über die Ergebnisse der „EARLYSTIM“-Studie in der Märzausgabe der Fachzeitschrift „Lancet Neurology“.

Foto: UKGM Marburg
Der Marburger Neurologe Professor Dr. Lars Timmermann untersuchte gemeinsam mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa, wie Hirnstimulationen auf die Impulskontrolle von Parkinsonkranken wirken.

Mehr als vier Millionen Menschen weltweit leiden an der Parkinson-Krankheit, die damit eine der häufigsten neurologischen Störungen ist. „Aufgrund des zunehmenden Altersdurchschnitts ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Betroffenen sich bis zum Jahr 2030 auf weltweit 8,7 Millionen verdoppelt“, sagt der Marburger Neurologe Professor Dr. Lars Timmermann, der dem Steuerungskomitee für die Studie angehört.

„Durch moderne Medikamente sind die Symptome gut zu behandeln“, erläutert Timmermann. Die Arzneimittel bewirkten indes oftmals schwerwiegende Verhaltensstörungen, gerade bei jungen Patienten: Der Neurologe nennt Spielsucht, zu viel Lust auf Sex, Fressattacken und krankhaften Kaufrausch als Beispiele.

Typische Auswirkungen der Parkinson-Krankheit wie Zittern, verlangsamte Bewegung oder Muskelsteifigkeit beruhen auf einer veränderten Aktivität der Nervenzellen in tiefliegenden Regionen des Gehirns. Daher kann die Behandlung auch direkt an tiefen Hirnkernen ansetzen: Bei einer Hirnstimulation pflanzt man dem Patienten oder der Patientin dünne Elektroden ins Gehirn ein. Sie geben elektrische Impulse an die Zielregion ab, die dadurch deaktiviert oder stimuliert wird, je nach Stromfrequenz.

Ein solcher Hirnschrittmacher erlaubt es, die Medikamentenverabreichung erheblich zu reduzieren. „Wir wollten herausfinden, ob die tiefe Hirnstimulation auch Verhaltensstörungen verringert“, erläutert Koautorin Carmen Schade-Brittinger, die das Koordinierungszentrum für Klinische Studien der Philipps-Universität Marburg leitet.

Die EARLYSTIM-Studie schließt 251 Patientinnen und Patienten ein, die über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet wurden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren im Schnitt knapp acht Jahre lang an Parkinson erkrankt.

Schon vor fünf Jahren berichtete das Team der „EARLYSTIM“-Studie, dass sich die Lebensqualität von Parkinsonpatientinnen und -patienten verbessert, wenn sie zusätzlich zu Medikamenten frühzeitig Hirnstimulationen erhielten. Die Forschungsgruppe nahm sich die Daten nunmehr erneut vor. Um die Verhaltensänderungen der Patientinnen und Patienten zu messen, griff sie auf einen neu entwickelten psychiatrischen Bewertungsmaßstab zurück, den „Ardouin Scale of Behavior in Parkinson’s Disease“.

Die Ergebnisse sprechen für sich: Verhaltensauffälligkeiten der Patientinnen und Patienten verringern sich, ohne dass diese vermehrt das gegengerichtete Verhalten zeigen, etwa Apathie, Depression oder Ängstlichkeit.

„Unsere Befunde erlauben einen Kurswechsel in der Behandlung“, schlussfolgert Timmermann: Während bislang jede Form von Verhaltensstörung als Hindernis für chirurgische Eingriffe gegolten habe, sollte ein Kontrollverlust eher dazu führen, Parkinsonpatientinnen und -patienten eine Tiefenstimulation angedeihen zu lassen.

„Die Ergebnisse sind aufschlussreich, weil sie nahelegen, dass die tiefe Hirnstimulation des Subthalamus selbst nicht zu Verhaltensstörungen führt“, bestätigen die Neurowissenschaftler Angelo Antonini und Jose Obeso in einem Kommentar zu der Studie.

„Der Erfolg einer Hirnschrittmacher-Behandlung ist immer abhängig von einer optimalen Operation“, ergänzt Professor Dr. Christopher Nimsky, der die Marburger Neurochirurgie leitet, an der solche Eingriffe vorgenommen werden. Lars Timmermann gibt außerdem zu bedenken, dass die Studien-Ergebnisse bei Patienten unter 61 Jahren erzielt worden seien. „Ob die Resultate auf alle Altersgruppen zu übertragen sind, ist in künftigen Studien zu überprüfen.“

Für die Studie schlossen sich Arbeitsgruppen aus 18 europäischen Universitäten zusammen: Neben Marburg sind dies Berlin, Düsseldorf, Freiburg, Kassel, Kiel, Köln, Tübingen sowie Clermont-Ferrand, Grenoble, Lyon, Luxemburg, Marseilles, Nantes, Paris, Poitiers, Rouen und Toulouse.

Professor Dr. Lars Timmermann lehrt Neurologie an der Philipps-Universität Marburg und gehört der neu gegründeten neurowissenschaftlichen Einrichtung „Center for Mind, Brain and Behaviour“ des Forschungscampus Mittelhessen an. Seit Kurzem leitet er darüber hinaus auch das Marburger Zentrum für Notfallmedizin.

Das Koordinierungszentrum für Klinische Studien in Marburg ist ein akademisches Studienzentrum an der Philipps-Universität, das die komplette Studiendurchführung von der statistischen Planung über Koordination und Datenmanagement bis zur statistischen Auswertung übernommen hat.

Das Bundesforschungsministerium, die französische Förderlinie „Programme Hospitalier de Recherche Clinique National“ sowie der Medizintechnik-Konzern Medtronic förderten die Studie finanziell.

Originalpublikation: Eugénie Lhommée & al.: Behavioural outcomes of subthalamic stimulation and medical therapy versus medical therapy alone for Parkinson’s disease with early motor complications (EARLYSTIM trial): secondary analysis of an open-label randomised trial, Lancet Neurology 2018, DOI: https://doi.org/10.1016/S1474-4422(18)30035-8