10.10.2019 „Gender-Bashing“ löst keine gesellschaftlichen Probleme

Marburger Forschungsprojekt präsentiert Befunde zu Antifeminismus in Deutschland

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Foto: Christina Mühlenkamp
Das vom BMBF geförderte Projekt "REVERSE" präsentierte in einer Abschlusstagung die Ergebnisse von fünf Fallstudien zu Effekten antifeministischer Debatten.

Das Forschungsprojekt „REVERSE“ präsentierte in einer Abschlusstagung am 9. und 10. Oktober 2019 an der Philipps-Universität Marburg die Ergebnisse aus zwei Jahren Forschungsarbeit zum Thema „Krise der Geschlechterverhältnisse? Anti-Feminismus als Krisenphänomen mit gesellschaftsspaltendem Potenzial“. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt hat in fünf Fallstudien Effekte antifeministischer Debatten untersucht.

Denn während sich auf der einen Seite politische Entscheidungen und gesellschaftliche Diskurse zu Gleichstellung und geschlechtlicher Vielfalt liberalisiert haben, führen die Effekte dieser Entwicklung zu Verunsicherungen und Konflikten. Dazu gehören ein teilweise aggressiver Antifeminismus, der Feminismus und Gender zum Feindbild erklärt und der Geschlechterforschung (Gender Studies) die Wissenschaftlichkeit abspricht.

Im Projekt „REVERSE“ untersuchten fünf Fallstudien die Effekte antifeministischer Diskurse, und zwar in der Sexualpädagogik, anhand von Mutterbildern, in der Wissenschaft, am Beispiel der „Ehe für alle“ und in Verschränkung mit rassistischen Denkfiguren. Die Ergebnisse zeigen, dass der organisierte Antifeminismus einen kleinen Kreis von Akteurinnen und Akteuren umfasst. Diese agieren in allen untersuchten Feldern und arbeiten mit emotionsgeladenen Bedrohungsszenarien.

So ist etwa von der Bedrohung von Kindern durch eine angebliche „Frühsexualisierung“ die Rede, von der Bedrohung von Frauen durch eine als gewaltvoll und triebhaft charakterisierte „islamische Männlichkeit“, von der Bedrohung der Familie durch die Auflösung klarer Geschlechterrollen oder durch die „Reproduktionsschwäche“ deutscher Frauen, die auf den Feminismus zurückgeführt wird.

„Der organisierte Antifeminismus betreibt einen gezielten Kulturkampf, um das gesellschaftliche Klima im Sinne rückwärtsgewandter Vorstellungen von den Geschlechterverhältnissen zu beeinflussen“, sagt Prof. Dr. Annette Henninger, die Leiterin des Projekts. Diese Diffamierungsstrategie werde vor allem aus dem politisch rechten und christlich-fundamentalistischen Spektrum vorangetrieben, finde aber auch Zuspruch in anderen politischen Lagern.

„Inwieweit diese Strategie verfängt, hängt von ungelösten Problemen und Konflikten ab“, erklärt die Projektleiterin. Die Debatte über eine angebliche „Frühsexualisierung“ treffe auf Verunsicherung im Umgang mit kindlicher Sexualität angesichts von Missbrauchsskandalen. Die befragten Mütter empfänden die in Elternzeitschriften propagierten Selbstmanagement-Strategien zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Überforderung.

Da das Doppelverdiener-Modell im Alltag häufig zu hohen Belastungen bei beiden Elternteilen führe, könnten die vom Antifeminismus propagierten traditionellen Geschlechterrollen – Mann verdient Geld, Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt – durchaus attraktiv erscheinen. Das Doppelverdiener-Modell werde in Orientierungskursen auch Zugewanderten als Ideal bereits erreichter Gleichstellung vorgestellt. Diese hätten durchaus Interesse an Diskussionen über die Geschlechterverhältnisse in Deutschland. Ein geschöntes Bild der Realität helfe ihnen aber wenig bei der Alltagsbewältigung.

Versuche antifeministischer Mobilisierung gegen die „Ehe für alle“ blieben dagegen weitgehend erfolglos. Angesichts der Liberalisierung von Einstellungen zu Homosexualität finde die Öffnung der Ehe große gesellschaftliche Zustimmung.

Die Kritik an den Gender Studies sei deshalb so populär, weil hier ein Stellvertreterkonflikt um das Verständnis von Wissenschaft ausgetragen werde: Viele wünschten sich von der Wissenschaft Gewissheit in einer immer unübersichtlicheren Welt. Die Gender Studies gehen davon aus, dass die Welt mithilfe sozialer Konstruktionen wahrgenommen und auch verändert werden könne, wenn sich die Sicht auf die Dinge ändert. Daher werden sie unter Ideologieverdacht gestellt, und es wird ihnen vorgeworfen, den Wahrheitsanspruch von Wissenschaft zu untergraben. Die Annahme „ewiger Wahrheiten“ ist innerwissenschaftlich jedoch als veraltet: In der Wissenschaft gilt jede Annahme nur so lange, bis sie widerlegt ist.

„Gender-Bashing“, so Henninger, „ist eine ineffiziente Strategie, um gesellschaftliche Herausforderungen und Probleme zu lösen. Vielmehr braucht es gesellschaftliche Debatten über die zugrundeliegenden Fragen – und handfeste politische Lösungen“.