31.10.2019 Insektenrückgang schreitet schneller voran als gedacht

Internationales Konsortium erforschte die Ursachen für Insektensterben und Artenschwund

Beerenwanze
Foto: Dr. Sebastian Seibold, TUM
Die Beerenwanze (Dolycoris baccarum) ist eine der wenigen Arten, die bisher kaum zurückgegangen sind. Andere Arten sind im untersuchten Zeitraum auf einzelnen Flächen schon ganz verschwunden.

Auf vielen Flächen tummeln sich heute etwa ein Drittel weniger Insektenarten als noch vor einem Jahrzehnt – dies geht aus Untersuchungen eines internationalen Forschungsteams hervor, an dem Umweltinformatiker der Philipps-Universität Marburg beteiligt sind. Vom Artenschwund betroffen sind vor allem Wiesen, die sich in einer stark landwirtschaftlich genutzten Umgebung befinden – aber auch Wald- und Schutzgebiete.

Dass es auf deutschen Wiesen weniger zirpt, summt, kreucht und fleucht als noch vor 25 Jahren, haben bereits mehrere Studien gezeigt. Diese konzentrierten sich aber entweder ausschließlich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen. Dass tatsächlich ein Großteil aller Insektengruppen betroffen ist, war bisher nicht klar.

Im Rahmen einer breit angelegten Biodiversitätsstudie hat nun ein Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM) zwischen 2008 und 2017 eine Vielzahl von Insektengruppen in Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg erfasst. Die Marburger Arbeitsgruppe um den Geographen Professor Dr. Thomas Nauss erstellte und analysierte hierfür Klimadaten von 150 Messstationen. Die Auswertung der Studienergebnisse stellt das Team nun in der Fachzeitschrift „Nature“ vor.

Die Forscherinnen und Forscher sammelten auf 300 Flächen über eine Million Insekten und wiesen nach, dass viele der fast 2.700 untersuchten Arten rückläufig sind. Einige seltenere Arten wurden in den letzten Jahren in manchen der beobachteten Regionen gar nicht mehr gefunden.

„Dass solch ein Rückgang über nur ein Jahrzehnt festgestellt werden kann, haben wir nicht erwartet – das ist erschreckend, passt aber in das Bild, das immer mehr Studien zeichnen“, sagt Wolfgang Weisser, Professor für Terrestrische Ökologie an der TUM und einer der Initiatoren des Verbundprojekts.

Betroffen sind alle untersuchten Wald- und Wiesenflächen: Schafweiden, Wiesen, die drei bis viermal jährlich gemäht und gedüngt wurden, forstwirtschaftlich geprägte Nadelwälder und sogar ungenutzte Wälder in Schutzgebieten. Den größten Schwund stellten die Forscherinnen und Forscher auf den Grünlandflächen fest, die in besonderem Maße von Ackerland umgeben sind. Dort litten vor allem die Arten, die nicht in der Lage sind, große Distanzen zu überwinden.  Im Wald hingegen schwanden vorwiegend jene Insektengruppen, die weitere Strecken zurücklegen.

Die Studie wurde in einem deutschlandweiten Verbundprojekt, den Biodiversitäts-Exploratorien, durchgeführt. Die offene Forschungsplattform wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. Beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Bern, Darmstadt, Düzce (Türkei), Freiburg, Göttingen, Marburg, Salzburg, TU München und Würzburg sowie des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie  in Jena und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL (Birmensdorf, Schweiz).

Forschungsgegenstand ist unter anderem, welche Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Komponenten der Biodiversität bestehen – etwa zwischen der Pflanzenvielfalt und der Vielfalt der Insekten. Außerdem wird in diesem Projekt erforscht, welche Auswirkungen unterschiedliche Formen der Landnutzung auf die Biodiversität und die Prozesse innerhalb eines Ökosystems haben. Mehr Informationen zu den Biodiversitäts-Exploratorien: https://www.biodiversity-exploratories.de/

(Pressetext: Dr. Andreas Battenberg, TUM)

Originalpublikation: Sebastian Seibold & al.: Arthropod decline in grasslands and forests is associated with drivers at landscape level, Nature 2019, DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-019-1684-3