13.06.2019 Kleine Fächer sichtbarer machen

Goethe-Universität Frankfurt, Justus-Liebig-Universität Gießen und Philipps-Universität Marburg zeigen im kommenden Wintersemester Exzellenz Kleiner Fächer

Steinerne Löwen zu beiden Seiten eines Weges blicken Betrachter an, im Hintergrund Horizont
Foto: Nils Heeßel
Das Foto zeigt den äußeren Eingang des sogenannten Löwentors in der ehemaligen hethitischen Hauptstadt Ḫattuša in der Türkei (heute: Boğazköy), das im 14. Jh. v. Chr. errichtet wurde und das Teil der Forschung im "Kleinen Fach" Altorientalistik an der Philipps-Universität ist.

Schön, aber nutzlos – ein Vorwurf, dem sich die sogenannten Kleinen Fächer häufig stellen müssen. Doch die ‚Kleinheit‘ der Kleinen Fächer ist eher ein Resultat institutioneller Traditionen, nicht – wie die Metapher vom „Orchideenfach“ suggeriert – der Abgelegenheit ihrer Gegenstände: Fächer wie Keltologie, Slavistik oder Afrikanistik arbeiten an gesellschaftlich hochrelevanten Themen, erweitern unser Wissen über ganze Weltregionen und bewahren unser kulturelles Erbe. Im kommenden Wintersemester werden die Goethe-Universität Frankfurt, die Justus-Liebig-Universität Gießen und die Philipps-Universität Marburg mit den „Kleine Fächer-Wochen“ Disziplinen in den Fokus rücken, deren Exzellenz in Forschung und Lehre außerhalb der Fachcommunity zumeist wenig Beachtung findet. In Ausstellungen, Filmvorführungen, Podiumsgesprächen, Lesungen, Theateraufführungen und anderen Veranstaltungsformaten soll so die Vielgestaltigkeit der hessischen Fächerlandschaft sichtbarer gemacht werden. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) fördert die drei Universitäten dabei mit jeweils etwa 50.000 Euro.

Mit dem Begriff „Kleine Fächer“ werden wissenschaftliche Disziplinen bezeichnet, die nur an einzelnen deutschen Hochschulstandorten angeboten und von vergleichsweise wenigen Professuren vertreten werden. In der Lehre heben sie sich durch ihre Studierendenzahlen von anderen Disziplinen ab. Um die zahlenmäßig kleinen Disziplinen zu stärken, wurden einige von ihnen auf Initiative der hessischen Landesregierung vor gut zehn Jahren in regionalwissenschaftlichen Zentren in Frankfurt (Ostasien), Gießen (Osteuropa) und Marburg (Naher und Mittlerer Osten) gebündelt. Kleine Fächer sind besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften verortet, finden sich aber auch unter den Natur-, Gesundheits-, Wirtschafts- oder Ingenieurwissenschaften. Sie sind unverzichtbare Partner in Forschungsverbünden und Lehrkooperationen, liefern einen wesentlichen Beitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Diskursen, bieten vielfältige Studienmöglichkeiten und ein breites Feld beruflicher Perspektiven. Mit den „Kleine Fächer-Wochen“ erhalten sie Gelegenheit, aus dem Schatten der Massenfächer herauszutreten und sich der Hochschulöffentlichkeit, interessierten Bürgerinnen und Bürgern sowie Studieninteressierten zu präsentieren und sich untereinander noch stärker zu vernetzen.

Die Goethe-Universität Frankfurt ist fest in der Metropolregion Rhein-Main verankert. Sie begreift sich als Bürgeruniversität, die Wissenschaft mit und für die Gesellschaft betreibt – eine Gesellschaft, die in Frankfurt durch Internationalität und kulturelle Vielfalt geprägt ist. Die geistes-, sprach- und kulturwissenschaftlichen Kleinen Fächer der Goethe-Universität leisten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis dieser Vielfalt. Durch Kooperationen mit regionalen, nationalen und internationalen Partnern und Einrichtungen aus allen gesellschaftlichen Teilbereichen tragen sie zur Stärkung des gesellschaftlichen Bezugs der Wissenschaft, zu transkulturellem Austausch und internationalem Wissenstransfer bei. „Die forschungsstarken Kleinen Fächer der Goethe-Universität besitzen eine hohe Innovationskraft“, führt Professor Dr. Thomas Betzwieser, Dekan des Fachbereichs Sprach- und Kulturwissenschaften, aus. „Das soll während der „Kleinen Fächer-Woche“ für eine breite Öffentlichkeit sicht- und erlebbar werden.“ Unter dem Motto „Großes Potential! Die Kleinen Fächer der Goethe-Universität“ erhalten Interessierte in Workshops und Vorträgen, Werkstattgesprächen und Podiumsdiskussionen Einblick in die Arbeitsgebiete der kleinen geisteswissenschaftlichen Fächer. Geplant ist außerdem eine „Lange Nacht der Kleinen Fächer“, in der sich Abiturientinnen und Abiturienten, Studierende, Hochschulangehörige und interessierte Bürgerinnen und Bürger bis zum frühen Morgen über Forschungsthemen, Studienangebote und Berufsperspektiven informieren können. „Die Goethe-Universität hat mit ihren vielen Kleinen Fächern ein Pfund, mit dem sie wuchern kann“, betont die Skandinavistin Dr. Julia Zernack, Professorin am Fachbereich Neuere Philologien. „Mit den „Kleine Fächer-Wochen“ wollen wir ihr Potential in Forschung und Lehre innerhalb wie außerhalb der Universität noch deutlicher herausstellen und damit zugleich eine intensivere Zusammenarbeit der Kleinen Fächer untereinander anstoßen.“

An der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beteiligen sich das Gießener Zentrum Östliches Europa (GiZo) und acht kulturwissenschaftliche Fächer zusammen mit dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung an den „Kleine-Fächer-Wochen“. Unter dem Titel „Europa – EinBlick von den Rändern“ sollen unter der Federführung von Prof. Dr. Monika Wingender (Institut für Slavistik, Geschäftsführende Direktorin des GiZo) häufig als peripher wahrgenommene Phänomene betont und die Leistungsfähigkeit kleiner Fächer jenseits ihrer engeren Fachzuständigkeit herausgestellt werden. Die am Fachbereich 04 – Geschichts- und Kulturwissenschaften und Fachbereich 05 – Sprache, Literatur, Kultur angesiedelten kulturwissenschaftlichen Fächer Alte Geschichte, Gräzistik, Islamische Theologie, Klassische Archäologie, Latinistik, Osteuropäische Geschichte, Slavistik sind für die historische und aktuelle Diskussion um Europa besonders relevant. „Alle Fächer gemeinsam sind für eine moderne Diskussion über europäische Traditionen und Werte sowie für Zukunftsperspektiven unentbehrlich“, unterstreicht Prof. Wingender, die sich sehr auf das Vorhaben freut, die kleinen Fächer gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen sichtbarer zu machen. Geplant sind unter anderem ein Film mit Alumni, Lesungen mit bekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, öffentliche Diskussionsveranstaltungen und eine Theateraufführung. Dass die JLU sich mit ihrem Antrag durchsetzen konnte, ist für JLU-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee ein weiterer Beleg für die Erfolgsgeschichte der Zentrenbildung in Hessen. „Die Gründung des GiZo und seine strategische Zusammenarbeit mit dem Herder-Institut in Marburg haben eine einmalige osteuropabezogene Forschungslandschaft geschaffen“, sagte Prof. Mukherjee. „In Verbindung mit weiteren kulturwissenschaftlichen kleinen Fächern verfügen wir hier über ein wichtiges Forschungsnetzwerk mit vielfältigen nationalen und internationalen Partnern.“

Als traditionsreichste der hessischen Hochschulen verfügt die Philipps-Universität Marburg (UMR) über die größte Gruppe an Kleinen Fächer, so forschen und lehren derzeit in 28 überwiegend geisteswissenschaftlichen Kleinen Fächern 34 Professorinnen und Professoren sowie zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Lehrbeauftragte aus den Fachgruppen der außereuropäischen und europäischen Literatur- und Sprachwissenschaften, der angewandten Sprachwissenschaften, der Geschichtswissenschaften und der Archäologien sowie der Film- und Religionswissenschaft. Unter dem Motto „Die weite Welt vor Ort. Der Beitrag der Kleinen Fächer zur Internationalisierung der Universität“ veranstaltet die UMR ein breitgefächertes Aktionsprogramm mit öffentlichen und wissenschaftlichen Veranstaltungen. „In den Kleinen Fächern ist eine internationale Perspektive oft selbstverständlich, da für die Zusammenarbeit mit Fachkolleginnen weite Wege zu gehen sind. Damit bringen sie besondere Perspektiven mit an ihre Universitäten“, sagt Prof. Dr. Kati Hannken-Illjes vom Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität, unter deren Federführung die „Kleine Fächer-Wochen“ in Marburg stattfinden. Einen Höhepunkt der „Kleine Fächer-Wochen“ in Marburg bildet ein zweiwöchiges gemeinsames Ausstellungsforum aller beteiligten Fächer von Altorientalistik bis Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der zweiten Novemberhälfte 2019.

Eine wöchentliche Vortragsreihe unter Beteiligung von Alumni aus unterschiedlichen und renommierten Berufsfeldern beleuchtet die Kompetenzen und Chancen der Kleinen Fächer für den internationalen Arbeitsmarkt. Parallel dazu präsentieren sich die Kleinen Fächer unter anderem mit einer Dokumentarfilmreihe zum Arabischen Frühling, mit Podiumsgesprächen über „Internationale Kooperationen in politisch bewegten Zeiten“ oder „Latein und Griechisch im 21. Jahrhundert“ sowie mit einem interaktivem, experimentreichen Messetag zum Thema „Sprache/Sprechen“. „In sehr kurzer Zeit haben sich die Fachvertreterinnen und Fachvertreter so vieler und höchst verschiedener Fächer auf ein spannendes Programm mit Ausstrahlung in die Universität und die Stadt verständigt. Das beweist einmal mehr, dass Kleine Fächer international in ihrer Disziplin verankert und vor Ort überaus anschlussfähig sind“, sagt Prof. Dr. Katharina Krause, Präsidentin der Philipps-Universität.

Hintergrund „Kleine Fächer-Wochen“

Die HRK-Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs, Transfer und Kooperation, Prof. Dr. Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität, sagte: „Die Kleinen Fächer haben aus HRK-Sicht mehr Beachtung verdient, weil sie sich wie zum Beispiel die Arabistik oder Afrikanistik oft wissenschaftlich mit Regionen und „großen“ Themen befassen, die für die künftige globale Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind. Ihre Deutungen und internationalen Kooperationen helfen uns dabei, die Welt in ihrer Komplexität besser zu verstehen und auch Herausforderungen wie die Digitalisierung besser meistern zu können. Die „Kleine Fächer-Wochen“ sollen diese lebendige Wissenschaftskultur besser sichtbar machen und neugierig machen auf eine Begegnung.“ Die HRK engagiert sich seit vielen Jahren für die Stärkung der Kleinen Fächer und ihre Vernetzung auf nationaler und europäischer Ebene. Für das Förderprogramm antragsberechtigt waren deutsche Hochschulen.