24.08.2020 „Venite!“ zur Computertomographie

Knochenscan eines römischen Offiziers sollte zeigen, ob Prostatakrebs bereits im Römischen Reich auftrat und bekannt war

Foto: Christina Mühlenkamp
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„Venite“ – im römischen Militär der Befehl, anzutreten. In diesem Fall richtete er sich an einen Offizier, der zwischen 300 und 400 nach Christus gelebt hatte und nach seinem Tod in Maisach-Gernlinden bei München begraben wurde. Robin Dürr, Doktorand an der Philipps-Universität, zitierte den Verstorbenen mit Namen GER-4730 zur Computertomographie (CT), da bei der anthropologischen Untersuchung eine Auffälligkeit an seinem Hüftbein beobachtet wurde. Die genaue medizinische Analyse des Fundes wurde von Radiologe Prof. Dr. Andreas H. Mahnken und Urologe Prof. Dr. Axel Hegele ermöglicht. Der Verdacht: GER-4730 hatte Prostatakrebs.

Robin Dürr ist Doktorand am Vorgeschichtlichen Seminar am Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps-Universität und gerade in den letzten Zügen seiner Dissertation. „Für mich von besonderem Interesse ist die spätrömische Epoche, welche den Übergang von der römischen Kaiserzeit zum Frühmittelalter bildet“, sagt Dürr. Besondere Einblicke in diese Zeit und die Lebenssituation der Menschen erhofft sich Dürr durch die Auswertung von 28 Gräbern einer ländlichen Nekropole, einer Begräbnisstätte, im Münchner Umland. „Die damalige Zeit war von Kontinuität und Wandel geprägt, was sich nicht zuletzt auch in den Gräbern wiederspiegelt“, ergänzt Dürr. Diese wurden bereits 2007 und 2012 ausgegraben. Ermöglicht wird die Arbeit unter anderem durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, das die Restaurierung der Funde durchführte und Dürr die naturwissenschaftliche Analyse der Gebeine zur Verfügung stellte. Anhand der bereitgestellten Daten konnte er wichtige Erkenntnisse für seine Doktorarbeit gewinnen. „In einem Grab fanden sich beispielsweise zwei Personen, bei welchen es sich um Vater und Sohn gehandelt haben könnte. Beide weisen zahlreiche, teils durch Schwerthiebe verursachte, Verletzungen auf, welche auf ein gewaltsames Ende hindeuten“, sagt Dürr.  

In einem weiteren Grab wurde GER-4730 bestattet. „Nach Ausweis der beigegebenen Objekte, wie einem spätrömischen Militärgürtel sowie anhand der anthropologischen Untersuchungen der Münchner Kollegen, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen römischen Offizier, der im Alter von ca. 50 bis 60 Jahren verstorben ist“, so Dürr. Bei der anthropologischen Befundung der 29 Bestatteten durch eine Anthropologin der Staatsammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München (SAPM) wurde ebenfalls eine blumenkohlartige Wulst an einem Stück des Hüftknochens von Patient GER-4730 festgestellt. „Es deutete Vieles darauf hin, dass es sich hier um ein Krebsgeschwulst gehandelt hat. Krebs befällt meistens Weichgewebe, aber es gibt auch Krebsarten, die auf den Knochen streuen können, darunter auch Prostatakrebs“, sagt Dürr. Um hier einen genaueren Befund stellen zu können, wurde weitere Expertise und Technik benötigt, deren Möglichkeiten über das übliche Equipment der Archäologie hinausgehen.

Daher wandte Dürr sich an Prof. Dr. Andreas H. Mahnken, Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Marburg und Professor für Radiologie am Fachbereich Medizin der Universität Marburg sowie Prof. Dr. Axel Hegele, Facharzt für Urologie am Urologischen Zentrum Mittelhessen, der bis Dezember 2019 als leitender Oberarzt in der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Marburg tätig war. Beide Ärzte fanden das Thema vor allem aus medizingeschichtlicher Sicht spannend. Die Aufzeichnungen zu Prostatakrebs beginnen nach derzeitigen Erkenntnissen erst im 19. Jahrhundert. Ob die Krankheit schon vorher auftrat, ist bislang nicht ausreichend belegt. Doch das Interesse an den archäologischen Befunden bewiesen die Mediziner schon zuvor: Beide Fachbereiche der Universität Marburg arbeiteten im Zuge des UMR2027-Projektes „Archäologie trifft Medizin: Mit medizinischer Bildgebung (CT) und 3D-Druck zur Rekonstruktion archäologischer Fundstücke“ erfolgreich zusammen.

Die Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie in München (SAPM), stellte die Knochen für einen CT-Scan im Universitätsklinikum Marburg zur Verfügung. Nach wenigen Minuten  lagen erste Ergebnisse vor. Durch den Scan wurde sichtbar, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um Prostatakrebs handelte. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Geschwulst am Hüftknochen von GER-4730 durch eine Verletzung zustande kam. Außerdem zeigte die CT einen alten verheilten Bruch des Wadenbeins. 

Auf die Frage, ob er nun enttäuscht sei, antwortet Dürr: „Eine in dieser Epoche so seltene Erkrankung wäre schon spannend gewesen, aber ich bin trotzdem nicht enttäuscht. Jedes Detail hilft uns, das Leben der damaligen Bevölkerung und insbesondere von Patient GER-4730 besser zu verstehen.  Außerdem freue ich mich wirklich sehr über die tolle Zusammenarbeit mit Professor Mahnken und Professor Hegele, die direkt Feuer und Flamme für die Fragestellung waren. Ich finde, genau so sollte interdisziplinäres Arbeiten und Forschen ablaufen – das ist doch das eigentliche tolle Ergebnis.“

Ansprechpersonen:

Robin Dürr
Vorgeschichtliches Seminar
Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften
Philipps-Universität Marburg
E-Mail:

Prof. Dr. Andreas H. Mahnken
Fachbereich Medizin
Philipps-Universität Marburg
E-Mail: