20.07.2022 Bakterienforschung: Elektronen-Highway für Wasserstoff- und Kohlendioxid-Speicherung entdeckt

Internationales Forschungsteam klärte die atomare Struktur eines Wasserstoff- und Kohlendioxid-speichernden Bakterienproteins auf

Wie ein Zopf umeinander gewunden sind die Filamente des bakteriellen Enzyms HDCR, das aus gasförmigem 2 und CO2 Ameisensäure herstellt. Abbildung: Verena Resch - https://luminous-lab.com/
Abbildung: Verena Resch - https://luminous-lab.com
Wie ein Zopf umeinander gewunden sind die Filamente des bakteriellen Enzyms HDCR, das Ameisensäure aus gasförmigem H2 und CO2 herstellt.

Eine Forschungsgruppe des Marburger Zentrums SYNMIKRO hat zusammen mit Kollegen aus Frankfurt am Main und Basel die Struktur eines Enzyms aufgeklärt, das aus molekularem Wasserstoff (H2) und Kohlendioxid (CO2) Ameisensäure bildet. Die jetzt erstmals atomgenau beschriebene, fadenförmige Struktur des Enzyms wirkt wie ein Nanodraht und ist offenbar für die extrem effiziente Umwandlung der beiden Gase verantwortlich, berichtet das Team im Wissenschaftsmagazin „Nature“.

Das wärmeliebende Bakterium Thermoanaerobacter kuvui lebt fern vom Sauerstoff zum Beispiel in der Tiefsee und nutzt CO2 und Wasserstoff zur Energiegewinnung. Der Mikroorganismus besitzt ein außergewöhnliches Enzym: die Wasserstoff-abhängige CO2-Reduktase HDCR. „Sie stellt aus gasförmigem Wasserstoff und Kohlendioxid Ameisensäure her, wobei der Wasserstoff Elektronen an das Kohlendioxid überträgt“, erläutert der Marburger Strukturbiologe Dr. Jan Schuller vom LOEWE Zentrum für Synthetische Mikrobiologie, einer der Leitautoren der aktuellen Studie. Damit ist die HDCR das erste bekannte Enzym, das direkt Wasserstoff nutzen kann.

Die HDCR von Thermoanaerobacter kuvui besteht aus vier Protein-Modulen: einem Wasserstoff-spaltenden und einem Ameisensäure-bildenden Modul – einer Formiat-Dehydrogenase – sowie zwei kleinen Eisen-Schwefel-haltigen Modulen. Erstaunlicherweise bildet das Enzym lange Fäden. „Wie wichtig diese Struktur war, konnten wir daran erkennen, dass die Fadenbildung die Enzymaktivität stark stimuliert“, erklärt der Frankfurter Mikrobiologe Professor Dr. Volker Müller, der das Enzym entdeckte.

Schullers Arbeitsgruppe fertigte eine molekulare Nahaufnahme des Enzyms an. Durch cryo-elektronenmikroskopische Analysen gelang Schullers Gruppe die Bestimmung der Raumstruktur in atomgenauer Auflösung. Damit wurden die Details der langen Filamente sichtbar, die das Enzym unter den experimentellen Bedingungen im Labor bildet: Das Rückgrat der Filamente besteht aus den beiden kleinen Untereinheiten der HDCR, die so zu einer Art Nanodraht mit Tausenden von Elektronen-leitenden Eisenatomen zusammengelagert sind. „Dies ist der bisher einzige enzymatisch dekorierte Nanodraht“, legt Schuller dar. „Auf diesem Draht sitzen das Hydrogenase-Modul und das Formiat-Dehydrogenasemodul wie Pilzköpfe auf einer Leitung.“

Helge Dietrich, Doktorand an der Goethe-Universität in der Gruppe von Volker Müller, testete eine genetische Modifikation der kleinen Module, die die Bildung der HDCR-Fäden verhinderte. Das Ergebnis: Die einzelnen Bausteine oder Monomere waren weit weniger aktiv als das Filament.

Auch in Bakterienzellen lagern sich Enzym-Monomere zu Fadenstrukturen zusammen. Diese Erkenntnis steuerten der Baseler Strukturbiologe Professor Dr. Ben Engel und sein Team durch cryo-tomographische Untersuchungen bei. Dabei entdeckten die Forscher eine Besonderheit: „Die Filamente sind mehrfach um sich gewunden zu Bündeln, ähnlich wie Haare, die man zu einem Zopf bindet“, führt Engel aus. Die Bündel sind offensichtlich in der inneren Membran der Bakterienzelle verankert und durchspannen fast die gesamte Breite der Zelle.

Mit der Struktur wird deutlich, woran es liegt, dass HDCR um Größenordnungen effizienter als alle chemischen Katalysatoren und deutlich besser als alle bekannten Enzyme Ameisensäure als „flüssigen Wasserstoffspeicher“ aus Wasserstoff und CO2 herstellen kann. „Die Wasserstoffkonzentrationen im Ökosystem dieser Bakterien sind gering, und darüber hinaus können die CO2- und H2 -Konzentrationen wechseln“, sagt Müller. „Die Bildung und darüber hinaus die Bündelung der Filamente schaffen nicht nur eine deutliche Erhöhung der Konzentration dieser Enzyme in der Zelle. Die Tausenden von Elektronen-leitenden Eisenatomen in diesem ‚Nanodraht‘ können auch die Elektronen aus der Wasserstoffoxidation zwischenspeichern, wenn gerade mal eine Wasserstoffblase an den Bakterien vorbeizieht.“

Durch die atomare Auflösung der Struktur sind die Rätsel der HDCR noch nicht alle gelöst, ist das Team überzeugt. Jan Schuller meint: „Wir wissen noch nicht, wie der Draht die Elektronen speichert, warum die enzymatische Aktivität durch die Filamentbildung so stark stimuliert wird und wie die Bündel in der Membran verankert sind. An diesen Forschungsfragen arbeiten wir.“ Doch die Zukunft der HDCR könnte sehr spannend werden, glaubt Volker Müller: „Vielleicht können wir einmal synthetische Nanodrähte herstellen, mit denen wir CO2 aus der Atmosphäre einfangen können. Auch die biologische Wasserstoffspeicherung jetzt ist einen Schritt näher gerückt.“
(Pressetext: Dr. Markus Bernards, Goethe-Universität Frankfurt am Main)

Originalpublikation: Helge M. Dietrich, Ricardo D. Righetto & al.: Membrane-anchored HDCR nanowires drive hydrogen-powered CO2 fixation, Nature 2022, DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-022-04971-z