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Tagungsbericht: Digitale Methoden und die Zukunft der Filmwissenschaft

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Organisation

DiCi-Hub, gefördert von der Volkswagen Stiftung

Marburg: Malte Hagener, Yvonne Zimmermann, Theresa Blaschke, Derya Tok

Mainz: Alexandra Schneider, Nicole Braida, Frauke Pirk

Frankfurt: Vinzenz Hediger, Katharina Kauth

Unterstützung

ehem. Teammitglieder: Josephine Diecke, Isadora Campregher Paiva 

Hilfskräfte: Allegra Banks, Lars Hadeler, Patrick Meckel, Jan Rahrbach, Julia Werthebach

Protokoll: Livia Weller

Veranstaltungsort Marburg, Vortragsraum, Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas
Veranstaltungszeitraum 11. – 13.04.2024

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Die Filmwissenschaft war relativ früh mit der digitalen Transformation ihres Gegenstands konfrontiert und hat diese auch ästhetisch und medienontologisch reflektiert. Weniger Aufmerksamkeit ist bislang der Methodenreflexion und deren Umsetzung in Forschung und Lehre zugekommen. In diesem Zusammenhang stellen sich eine Reihe von Fragen: Welche neuen methodologischen Perspektiven bietet und fordert die fortschreitende Digitalität von Filmproduktion und -distribution? Welche neuen Untersuchungsansätze, Kompetenzen und Theoriekenntnisse müssen sich Forschende und Studierende aneignen? Und welche strukturellen Konsequenzen hat diese Entwicklung für das Fach?

Diese und weitere Fragen standen im Fokus der von uns im April 2024 in Marburg veranstalteten Tagung „Digitale Methoden und die Zukunft der Filmwissenschaft“. Den Auftakt bildete dabei eine Vorstellung unseres eigenen Projekts „DiCi-Hub“. Anschließend haben Forschende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Rahmen von fünf verschiedenen Panels Einblicke in ihre aktuellen Projekte und damit Anlass zu anregenden Diskussionen gegeben.

Panel 1: Suchen und ordnen

Im Rahmen des Panels „Suchen und ordnen“ ging es vor allem um pragmatische Fragen beim Erstellen eigener Filmdatenbanken. Julia Eckel (Universität Paderborn) berichtete über den Prozess der Digitalisierung des dort vorhandenen Forschungs- und Lehrfilmarchivs im Schmalfilmformat, Simon Spiegel, Philipp Brunner und Martin Weiss (Universität Zürich) von ihren bisherigen Erfahrungen bei der Digitalisierung des dortigen DVD-Archivs im Rahmen des FiWi-ON Projekts. Sowohl in Paderborn als auch in Zürich musste sich dabei zum Beispiel mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vor Ort auseinandergesetzt werden, und in beiden Projekten wurde von Hindernissen bezüglich der Bestrebung erzählt, die eigenen digitalen Archive nachhaltig mit anderen Datenbanken und Sammlungen zu verknüpfen. Chris Wahl und Daniel Körling (Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF) stellten ein Programm vor, welches im Rahmen ihres Filmikonen Projekts entwickelt wird, über das systematisch Verknüpfungen zwischen verschiedenen Filmen erfasst und anschließend statistisch ausgewertet werden können. In ihrer abschließenden Respondenz ging Lisa Gotto (Universität Wien) wiederum auf gewisse Probleme bei der Speicherung digitaler Daten ein – wie unter anderem deren Langzeitpflege.

Panel 2: Analysieren

Im Panel „Analysieren“ wurden weitere laufende Projekte vorgestellt, wobei der Fokus auf verschiedenen Tools zur computergestützten Filmanalyse lag. Matthias Grotkopp (Freie Universität Berlin) gab genauere Einblicke in die AdA-Filmontologie, ein festes Analysevokabular zur semantischen Beschreibung von audiovisuellem Material, das in der Annotations-Software Advene verwendet werden kann. Erwin Feyersinger und Claudius Stemmler (Eberhard Karls Universität Tübingen) stellten ihr Projekt AniVision vor, in dessen Rahmen automatisierte Methoden genutzt werden, um eine vergleichende Stilanalyse innerhalb eines großen Korpus an Gebrauchsfilmen durchzuführen. Josephine Diecke (Universität Zürich) berichtete von ihren Erfahrungen bei der Arbeit mit VIAN, einem Tool zur Analyse von Filmfarben, das in Zukunft auf die Analyse von Sprache erweitert werden soll. In allen drei Vorträgen sowie der abschließenden Respondenz von Thomas Scherer (Freie Universität Berlin) ging es unter anderem um zentrale Herausforderungen bei der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Informatikern zur Erstellung entsprechender Programme sowie um die Grenzen und Potenziale der Tools für die Filmanalyse.

Panel 3: Muster erkennen

Die Frage, welche computergestützten Methoden für welche Forschungsfragen besonders geeignet sind, war zentral für die drei Vorträge im Rahmen des Panels „Muster erkennen“. Hierin stellte Pauline Junginger (Philipps-Universität Marburg) ihr Dissertationsprojekt zu Frauen hinter der Kamera im frühen Kinofilm vor und erläuterte den Prozess der Methodenfindung im Wechselspiel zwischen technischen Möglichkeiten und der bestehenden Datengrundlage. Guido Kirsten (Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF) teilte seine Erfahrungen bei der Anwendung computergestützter Methoden – speziell der Optical Character Recognition (OCR) – zur Erforschung des Begriffs Découpage und dessen Verwendung im französischen und deutschen Sprachraum. Skadi Loist und Thomas Schick (Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF) stellten die ersten Ansätze ihres Forschungsprojekts vor, in welchem sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Lena Gieseke untersuchen, ob sich Veränderungen in Filmwerken Babelsberger Studierender im Zeitraum vor und nach der Wende erkennen lassen. Das Projekt ist Teil der Forschungsinitiative QUADRIGA zum Aufbau von Datenkompetenzzentren in Berlin und Brandenburg. Inspiriert auch von der anschließenden Respondenz von Kristina Köhler (Universität zu Köln), ging es in der abschließenden Diskussion vor allem um Fragen, wie klar zwischen Tool und Methode unterschieden werden kann, ob die Verwendung von Tools stets vom Gegenstand und der Forschungsfrage ausgehen muss, oder auch explorative Ansätze, beziehungsweise eine Verwendung gewisser Tools zum reinen Selbstzweck gerechtfertigt sein können.

Panel 4: Zusammenarbeiten

Im Panel „Zusammenarbeit“ ging es vor allem um den Erfahrungsaustausch bezüglich der interdisziplinären Zusammenarbeit in Teams mit verschiedenen fachlichen Hintergründen. Andrea Haller (Goethe-Universität Frankfurt am Main) tat dies am Beispiel des Projekts Visual Culture of Trauma, Obliteration and Reconstruction in Post-WW II Europe, in dessen Rahmen eine digitale Ausstellung zur Darstellung öffentlicher Plätze in nicht-fiktionalen Filmen der Nachkriegszeit erstellt wurde. Sarah-Mai Dang (Philipps-Universität Marburg) nahm ihr aktuelles Forschungsprojekt zur Datenvisualisierung in der digitalen Filmgeschichtsschreibung (DAVIF) zum Ausgangspunkt. Ein zentrales Fazit in beiden Reflexionen war, dass die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams häufig deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als antizipiert, da die Zusammenarbeit für alle Beteiligten gleichzeitig einen Lernprozess darstellt und es häufig dauert, bis eine gemeinsame Sprache gefunden wird. Aufgrund der Vielzahl nötiger Kompetenzen seien entsprechende Projekte allerdings ausschließlich in gemischten Teams möglich. In seiner Respondenz ging Manuel Burghardt (Universität Leipzig) daher besonders auf die zentrale Rolle von Data Managern beziehungsweise Data Stewards ein, die sowohl im Bereich der Geisteswissenschaften als auch der Informatik ausgebildet werden und somit als Brücke in der Kommunikation in interdisziplinären Teams fungieren können.

Panel 5: Vermitteln

Im letzten Panel der Tagung zum Thema „Vermitteln“ lag der Schwerpunkt auf verschiedenen Strategien und Methoden, um Studierende an das Feld der Digital Humanities heranzuführen. Franziska Heller (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) ging in ihrem Vortrag zur (Daten-)Quellenkritik unter anderem der Frage nach, welche Entscheidungen prägend dafür sind, welche Filmausschnitte in Seminaren und Vorträgen gezeigt werden. Elisa Linseisen (Universität Hamburg) stellte ein Lehrkonzept zum Thema Filmforschung mit Desktops vor und thematisierte, wie medien- und filmwissenschaftliches Wissen unter medienpraktischen und ästhetischen Einflüssen steht. Oliver Fahle und Felix Hasebrink (Ruhr-Universität Bochum) erläuterten anhand ihres Forschungsprojekts zu Infrastruktur als Motiv im Film, wie die systematische Erfassung der Darstellung der Interaktion von Körpern mit ihrer Umgebung zum Beispiel neue Erkenntnisse zu gewissen Diskursen vermitteln kann. In seiner abschließenden Respondenz griff Ömer Alkin (Hochschule Niederrhein) eine gewisse Skepsis gegenüber digitalen Objekten und Methoden auf und erinnerte an die Plastizität, Hybridität und Messiness des wissenschaftlichen Arbeitens im Bereich der Film- und Medienwissenschaft. Er plädierte für „Guerilla-Methoden“ und für flexible und kreative Ansätze in Forschung und Lehre, die auch Defizite der digitalen Grundbildung aufgreifen und ausgleichen können und sollen.

In der abschließenden Diskussion zur Tagung konnten mehrere Punkte als Fazit festgehalten werden: Erstens, dass eine Umstrukturierung des Fachs Filmwissenschaft entsprechend der neuen Potenziale digitaler Forschungsmethoden notwendig ist, aber gleichzeitig eine stetige Herausforderung darstellt. Zweitens, dass ein regelmäßiger Austausch zu gewissen Fragen und Herausforderungen im Bereich der computergestützten Filmforschung notwendig ist, um Erfahrungen zu teilen und Projekte sinnvoll zu vernetzen. Und drittens, dass die Projektförmigkeit vieler Initiativen leider häufig zu einem Wissensverlust führt und gerade im digitalen Bereich daher Bestrebungen für eine nachhaltige Zugänglichmachung von Tools und Forschungsergebnissen vermehrter Aufmerksamkeit bedarf.

Wir bedanken uns bei allen Vortragenden, Respondenten und Gästen für ihre Beiträge, Rückfragen und Anregungen. Wir hoffen, mit unserer Tagung einen Anstoß für einen weiteren produktiven Austausch gegeben zu haben.

Bericht von Katharina Kauth und Derya Tok

Veröffentlicht am 12.09.2024

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