11.06.2019 Mitbestimmung stärkt Unternehmen

Firmen schnitten seit der jüngsten Wirtschaftskrise besser ab, wenn Beschäftigte im Aufsichtsrat vertreten sind

Copyright: Marc Steffen Rapp, UMR
Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Marc Steffen Rapp von der Philipps-Universität Marburg untersuchte, wie sich Mitbestimmung im Aufsichtsrat auf die Unternehmensführung auswirkt.

Unternehmen, bei denen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat mitbestimmen, haben sich während der großen Finanz- und Wirtschaftskrise sowie in den Jahren danach wirtschaftlich signifikant besser entwickelt als Firmen ohne Mitbestimmung. Zum Beispiel lag die kumulierte Aktienrendite mitbestimmter Unternehmen zwischen 2006 und 2011 um 25 bis 28 Prozentpunkte höher als bei vergleichbaren Firmen ohne Arbeitnehmerbeteiligung. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, die ein Forschungsteam aus der Wirtschaftswissen-schaft um Professor Dr. Marc Steffen Rapp von der Philipps-Universität Marburg und Professor Dr. Michael Wolff von der Universität Göttingen durchgeführt hat.

Die unternehmerische Mitbestimmung habe in der Krise „kurzfristiges Verhalten von Unternehmen verhindert“ und danach ein „schnelleres Umschalten in den Wachstumsmodus ermöglicht“, schreiben die beiden Autoren in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung. Nach Ansicht der Experten sind diese Befunde angesichts von fortschreitender Digitalisierung und Globalisierung auch für die Zukunft höchst bedeutsam: Die Arbeitnehmermit-bestimmung im Aufsichtsrat könne „als Element einer modernen Corporate Governance verstanden werden, welche vor dem Hintergrund immer volatiler werdender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen geeignet ist, mögliche Risiken von strategischen Transformationsprozessen abzufedern“, schreiben die Forscher.

Um die Wirkung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat aussagekräftig zu überprüfen, haben die Wirtschaftswissenschaftler 560 börsennotierte europäische Unternehmen untersucht. Darunter finden sich einerseits 280 deutsche Unternehmen. Da die deutschen Gesetze die Stärke der Mitbestimmung an Mindestschwellen bei der Beschäftigtenzahl koppeln, sind Vergleiche auf dieser Basis wegen des Größeneffekts jedoch nur eingeschränkt aussagekräftig. Daher haben die Forscher den Unternehmen aus Deutschland 280 passende Firmen aus anderen europäischen Ländern zugeordnet, die eine sehr ähnliche Größe haben, in derselben Branche aktiv und ähnlich stark diversifiziert sind – aber keine Mitbestimmung haben. So werden in der Studie beispielsweise Siemens und die Schweizer ABB verglichen oder Continental und Michelin.

Die wesentlichen Ergebnisse der Forscher:

·         Das Sinken der Umsatzrentabilität während der großen Wirtschaftskrise ab 2008 und unmittelbar danach wurde „mittels der Mitbestimmung reduziert und teils auch komplett kompensiert“, so dass Unternehmen mit Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat signifikant besser abschnitten, schreiben die Wirtschaftsprofessoren.

·         Bei der Kapitalmarktperformance verzeichnen mitbestimmte Unternehmen über den betrachteten Zeitraum höhere Renditen, weisen geringere Schwankungen auf und ihre Unternehmensbewertungen unterliegen einem weniger drastischen Verfall während der akuten Krise.

·         Mitbestimmte Firmen verzichteten meist auf größere Entlassungen, während Unternehmen ohne Arbeitnehmerbeteiligung kräftig Stellen strichen.

Stattdessen, so die Forscher, hätten Unternehmen mit Mitbestimmung schneller „das Arbeitsentgelt nach unten hin angepasst“. Anders als Unternehmen, die zahlreiche Mitarbeiter entlassen hatten, konnten mitbestimmte Unternehmen mit konstanten Beschäftigtenzahlen nach dem Abklingen der Krise schnell wieder ihre Produktion ausweiten.

·         Bereits für die Zeit vor der Krise gibt es laut der Studie einige Indizien dafür, dass mitbestimmte Unternehmen mehr investieren. „Für essentielle Zukunftsinvestitionen ist insgesamt zu konstatieren, dass mitbestimmte Unternehmen an diesen stärker in der Krise festhalten, was ein weiterer wichtiger Indikator sein könnte, warum es mitbestimmten Unternehmen in kürzerer Zeit gelingt, an die vorherige Performance anzuknüpfen“, führen die Wissenschaftler aus.

·         Vor der Krise haben die mitbestimmten Unternehmen vorsichtiger gehaushaltet. Sie haben beispielsweise weniger Geld für Aktienrückkäufe ausgegeben und sich im Vergleich bei Zukäufen stärker zurückgehalten. Zugleich hatten sie weniger Schulden. In der Krise beobachten die Wissenschaftler keine signifikanten Unterschiede beim Finanzgebaren – wohl, weil auch die übrigen Unternehmen zurücksteckten. Nach Ende der Krise sanken die Schuldenstände in mitbestimmten Firmen dann aber deutlich schneller.         

Unter dem Strich zeichnet die Studie damit im Kontext der zurückliegenden Finanz- und Wirtschaftskrise ein sehr positives Bild der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Die Autoren sprechen daher der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensspitze das Potenzial zu, eine dreifache „Win-Win-Situation“ zu erreichen: „In diesem Kontext kann die unternehmerische Mitbestimmung die Möglichkeit bieten, Risiken in Hinblick auf die Unternehmenssituation als auch auf die individuelle Situation von Arbeitnehmern besser abzufangen und damit auch die Volkswirtschaft als Ganzes zu schützen.“ Die Wissenschaftler ermutigen zu einem positiven Blick auf die Mitbestimmung: „Letztlich sollte die Partizipation von Mitarbeitern im Aufsichtsrat im Rahmen von zukünftigen Transformationsprozessen damit durchschnittlich nicht als Hindernis, sondern als Chance verstanden werden.“ (Pressetext: Rainer Jung, Hans-Böckler-Stiftung)

Originalveröffentlichung: Marc Steffen Rapp, Michael Wolff, Iuliia Udoieva, Jan C. Hennig: Wirkung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat auf die Unternehmensführung. Eine empirische Analyse vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise. Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 424, Düsseldorf 2019, ISBN: 978-3-86593-339-3, 88 Seiten

Ausführliche Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung