29.04.2020 „Nature“-Publikation: Ionenschleuse umklammert Wirkstoffe

Internationales Team klärte die räumliche Gestalt eines Ionenkanals auf, der Herzflimmern und Atemstillstand beeinflusst

Hier kommt keiner raus! Ein internationales Forschungsteam erkundete die exotische Welt der Ionenkanäle und stieß auf Moleküle, die den Durchgang verbarrikadieren.
Foto: Vision Concept Agency
Hier kommt keiner raus! Ein internationales Forschungsteam erkundete die exotische Welt der Ionenkanäle und stieß auf Moleküle, die den Durchgang verbarrikadieren.

Kein Entkommen: Wenn Ionenkanäle vom TASK-1-Typ durch Wirkstoffe blockiert werden, so liegt das an ihrer eigenen räumlichen Gestalt – sie halten die Hemmstoffe mit Molekülarmen fest. Dieser Mechanismus erklärt, warum TASK-1-Kanäle besonders gut auf Medikamente ansprechen, die gegen Herzflimmern und Atemstillstand helfen. Eine internationale Forschungsgruppe beschreibt die dreidimensionale Molekülstruktur von TASK-1 in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“.

Ob Herzrhythmusstörungen oder Atemstillstände während des Schlafs – ganz unterschiedliche Krankheitsbilder beruhen auf der fehlerhaften Funktion von Ionenkanälen. Sie sorgen normalerweise dafür, dass Zellen elektrisch erregbar bleiben, insbesondere Neuronen. „TASK-Kanäle gehören zu den Kanaltypen, die medikamentös am einfachsten zu steuern sind“, erklärt der Physiologe Professor Dr. Niels Decher von der Philipps-Universität, der die Studie zusammen mit der Biochemie-Professorin Dr. Elisabeth Carpenter von der Universität Oxford leitete.

Viele unserer Körperfunktionen beruhen auf elektrischen Signalen, etwa die Nerventätigkeit oder der Herzschlag. Die elektrischen Signale kommen dadurch zustande, dass sich im Inneren von Zellen andere elektrisch geladene Teilchen oder Ionen befinden als außerhalb. Durch die ungleiche Verteilung gelangen die Ionen entweder von einer Seite der Membran durch Kanäle auf die andere oder werden zurückgehalten; auf diese Weise baut sich ein elektrisches Potenzial über der Membran auf, die jede Zelle umhüllt.

Wenn Kanäle wie TASK-1 nicht richtig funktionieren – etwa zu wenige oder zu viele Ionen passieren lassen –, schaffen Hemmstoffe oder aktivierende Substanzen Abhilfe. Aber wie bringen es Hemmstoffe fertig, diese Ionenkanäle zu blockieren? Um das herauszufinden, tat sich Decher mit den Arbeitsgruppen von Elisabeth Carpenter aus Oxford sowie von Thomas Müller beim Pharmakonzern Bayer in Wuppertal zusammen, die ebenfalls über TASK-1 forschen. So stellte die Firma Bayer neuartige, sehr wirkungsvolle Hemmstoffe des TASK-Kanals zur Verfügung. Liz Carpenters Gruppe nutzte diese Substanzen, um die räumliche Gestalt von TASK-1 zu rekonstruieren; sie verwendete hierfür die Technik der Röntgenkristallografie, die Atom für Atom sichtbar macht.

Das Ergebnis der Untersuchung hielt eine Überraschung parat: Im Unterschied zu verwandten Kanaltypen weist TASK-1 eine Pforte auf, die den Zugang zum Kanal schließt, indem zwei vorgelagerte Molekülarme sich überkreuzen – ein „einzigartiger“ Mechanismus, wie die Forschungsgruppe schreibt; sie taufte die bislang unbekannte Struktur „X-Pforte“. „Interessanterweise wirken sich Mutationen in der X-Pforte und um sie herum sowohl auf die Öffnung der Schleuse aus, als auch auf den Effekt von Narkosemitteln“, hebt Dechers Mitarbeiter Dr. Aytuğ K. Kiper hervor, einer der Leitautoren der Publikation.

Wie geht die Blockade des Ionenkanals vor sich? Diese Frage beantwortete das Team, indem es Kristallstrukturen eines TASK-1-Kanals anfertigte, der gerade mit den neuartigen Hemmstoffen von Bayer interagiert. „Die X-Pforte hält die Hemmstoffe im Eingangsbereich gefangen“, berichtet Kiper. „Das erklärt, warum sie so schwer auszuwaschen sind.“

Die Existenz der X-Pforte liefere Erklärungen für viele Aspekte des ungewöhnlichen Verhaltens von TASK-Kanälen, ergänzt Decher; „unsere Erkenntnisse können bei der weiteren Entwicklung von Medikamenten helfen, die zur Behandlung von Herz- und Lungenerkrankungen sowie Schlafstörungen dienen.“

Niels Decher lehrt Physiologie an der Philipps-Universität. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Oxford, der Chinesischen Wissenschaftsakademie und des Pharmakonzerns Bayer an der Studie. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und weitere Geldgeber unterstützten die Forschungsarbeiten finanziell.

Originalveröffentlichung: Karin E. J. Rödström, Aytuğ K. Kiper & al.: A unique lower X-gate in TASK channels traps inhibitors within the vestibule, Nature 2020, DOI: 10.1038/s41586-020-2250-8

Pressemitteilung zur Forschung an TASK-Hemmstoffen (2019)