02.10.2020 Versteinerte Tücher

Kunstmuseum Marburg zeigt Werkschau von Silvia Klara Breitwieser

Halbtotale mit Künstlerin vor Werk aus Eisen und dahinter Ölgemälde
Foto: Gabriele Neumann
Silvia Klara Breitwieser vor ihrem Werk „Adam und Eva/A + E“, das sie im Philipps-Raum des Kunstmuseums ausstellt. Direkt dahinter ist das Gemälde „Adam und Eva im Paradiesgarten“ von Ludovicus Finsonius aus dem Jahr 1610 in der Dauerausstellung zu sehen.

Unter dem Titel „Zu Boden gehen“ ist bis zum 17. Januar 2021 eine neue Sonderausstellung im Kunstmuseum Marburg zu sehen. Die Bildhauerin und Konzeptkünstlerin Silvia Klara Breitwieser aus Berlin gibt damit einen Überblick über fast fünf Jahrzehnte ihrer künstlerischen Arbeit. Die Retrospektive zeigt Werke aus Ton, Stein(zeug), Stoff, Torf und Metall, aber auch Photographien und Rauminstallationen.

Mit der Marburger Ausstellung kehrt die 1939 in Krefeld geborene Künstlerin an einen Ort zurück, an dem sie von 1969 bis 1979 lebte und 1975 ihre erste Einzelausstellung realisierte. Bereits während ihres Studiums der Bildhauerei an der Hochschule für bildende Künste in Kassel (1972 bis 1976) zeigte Breitwieser in Marburg mehrfach ihre Arbeiten aus Keramik. Die damals entstandenen – und auch jetzt gezeigten – „versteinerten Tücher“ aus gebranntem Ton rufen durch ihre Stofflichkeit und Stoffumwandlungen Irritationen hervor, die zu neuen Wahrnehmungen führen. Die Werkreihen der Tücher, Lappen sowie Mull- und Windel-Gewebe thematisieren die Welt der alltäglichen Arbeit und traditioneller Geschlechterrollen und schenken den unbeachteten Alltagsdingen kleine Denkmäler als „Versteinerungen“. Im Kunstmuseum trifft nun stoffliche Leichtigkeit auf erdige Schwere – in einem Spannungsbogen vom „Windeltuch bis zum Grabtuch“, einschließlich Breitwiesers neuen „Sarg-Projektes“, einem digitalisierten Künstlerarchiv als Work in Progress.

Seit den 1980er Jahren erweiterte die Bildhauerin die räumlichen und medialen Dimensionen ihres Werkes bis hin zu Interventionen und Installationen im öffentlichen Raum. Das pflanzliche Material Torf nutzte sie dabei vielfach für „vegetative Skulpturen“ und Objekte, unter anderem für das nun in Marburg ausgestellte Ensemble „Mein Anti-Bauhaus“. „In meinem photographischen Werk gehe ich von den Strukturen historischer Orte aus und verwandele sie zu neuen Bild- und Blickfeldern. Das Miteinander von Bild und Gebilde ist mir ebenso wichtig wie das Bauen mit Bildern“, sagt Silvia Klara Breitwieser. Ihre Interventionen im öffentlichen Raum erklärt die Künstlerin auch in begleitenden Videos zur Ausstellung.

„Silvia Klara Breitwiesers Werke diagnostizieren gesellschaftliche Zustände, bieten Impulse für eigene Reflexionen und wollen Energien für mutige Veränderungen freisetzen“, sagt Museumsdirektor Dr. Christoph Otterbeck, der mit der Werkschau die erste große Ausstellung während der Corona-Pandemie realisiert.

Die Künstlerin erhielt neben zahlreichen anderen Auszeichnungen und Preisen 1989 den Kunstpreis des Frauenmuseums Bonn. Bis heute realisiert sie von Berlin aus ihre Projekte und nationale wie internationale Ausstellungen. Die Marburger Schau bietet die Möglichkeit einer (Wieder-) Begegnung mit der großen Vielfalt ihres Schaffens.

Das Kunstmuseum Marburg, Biegenstraße 11, 35037 Marburg, ist montags, sowie mittwochs bis sonntags von 11-17 Uhr geöffnet.

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