30.11.2021 Seltene Reiseberichte aus Frankreich

Website ARCHITRAVE erlaubt Rückschlüsse auf den deutsch-französischen Kulturtransfer im 17. und 18. Jahrhundert

Abbildung einer Handschrift
Quelle: Universitätsbibliothek Rostock
Handschriften wie diese von Christian Friedrich Gottlieb von dem Knesebeck von seiner Reise von Braunschweig durch Holland nach Frankreich im 18. Jahrhundert sind nun online über ARCHITRAVE einsehbar.

Die Website ARCHITRAVE stellt mehrere, größtenteils bisher unbekannte Berichte deutscher Reisender nach Frankreich aus der Zeitspanne 1685 bis 1723 zur Verfügung. Sie trägt damit zur Präzisierung der Antwort auf die Frage bei, wie Kunst und Kultur in Frankreich und Deutschland im Zeitalter des Barock beurteilt und angeeignet wurden. „ARCHITRAVE: Kunst und Architektur in Paris und Versailles im Spiegel deutscher Reiseberichte des Barock“ ist das Ergebnis einer deutsch-französischen Zusammenarbeit unter Federführung des Kunsthistorischen Instituts der Philipps-Universität Marburg.

„Obwohl die zuvor skizzierten Stadthäuser keine Paläste sind, handelt es sich dennoch um treffliche Anlagen, mit ihren Einfahrten, Höfen, Wagenschuppen, Ställen und dergleichen Einrichtungen […]“, schreibt der deutsche Baumeister Christoph Pitzler sinngemäß im Juli 1685 während seiner Studienreise durch Europa und bemängelt im Anschluss die Qualität der Fensterrahmungen der Pariser Stadthäuser. Seine Schilderungen untermalt er mit entsprechenden Detailskizzen. „Reiseberichte wie diese sind sehr selten. Es gibt nur wenige aus der Spätphase der Herrschaft Ludwigs XIV., in denen so durchdachte und detailreiche Urteile und Ansichten zur französischen Architektur und Kunst geäußert werden“, sagt Prof. Dr. Hendrik Ziegler, geschäftsführender Direktor des Kunstgeschichtlichen Instituts der Philipps-Universität Marburg und Projektleiter von ARCHITRAVE. „Man muss sich klarmachen, dass diese Texte aus einer Epoche des Übergangs zwischen Spätbarock und Frühaufklärung stammen. Zu dieser Zeit war das Reisen aufgrund wiederholter bewaffneter Konflikte schwierig und manchmal auch unmöglich“, sagt Ziegler. Für Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker sind die Texte daher wertvolle Zeugnisse für eine kunstgeschichtliche, soziokulturelle und sprachgeschichtliche Untersuchung der Transferprozesse zwischen Deutschland und Frankreich.

Eintauchen in das Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts

Auf solche seltenen Reiseberichte können Interessierte nun unkompliziert über die Website ARCHITRAVE zugreifen und in das Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts eintauchen. Sechs Architekten und zum Teil adelige Diplomaten reisten zwischen 1685 und 1723 nach Frankreich: Christoph Pitzler, Ferdinand Bonaventura Graf von Harrach, Lambert Friedrich Corfey, Christian Friedrich Gottlieb von dem Knesebeck, Leonhard Christoph Sturm und Balthasar Neumann. Ihre Schriften, die insgesamt 821 Manuskriptseiten umfassen, sind über ARCHITRAVE nun digital zugänglich. Sie stammen aus deutschen und österreichischen Archiven und Bibliotheken und sind größtenteils noch kaum bekannt. „Drei von ihnen sind noch nie publiziert und keiner dieser Texte ist bislang vollständig ins Französische übersetzt worden“, sagt Ziegler.

In ihren Texten schildern die Autoren die von ihnen besuchten Orte und Bauwerke, insbesondere in Paris und Versailles, sowie die französische Kunst und Kultur. Ihre Eindrücke untermauern sie zum Teil mit Zeichnungen. ARCHITRAVE ermöglicht den einfachen Zugriff auf die digitalen Faksimiles, also die digitalen Abbildungen der Schriften, die Transkriptionen sowie die Übersetzungen. Darüber hinaus werden die Inhalte mit Kommentaren genauer erklärt und zum Teil wissenschaftlich eingeordnet. Über interaktive Karten von Europa und Paris können außerdem die Reiserouten der Reisenden nachvollzogen werden. „ARCHITRAVE ermöglicht mittels moderner, digitaler Erschließungsverfahren eine viel präzisere Beantwortung der Frage, wie Kunst und Kultur in Frankreich und Deutschland im Zeitalter des Barock beurteilt und in die eigene Gesellschaft transferiert wurden“, sagt Ziegler.

Einmalige deutsch-französische Zusammenarbeit

Die digitale Edition ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit von deutschen Forscherinnen und Forschern, Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern und französischen Fachübersetzerinnen und -übersetzern sowie Lektorinnen und Lektoren. „Diese Zusammenarbeit ist bislang einmalig und wir freuen uns sehr, dass wir gemeinsam eine kunsthistorisch sehr wertvolle und zugleich moderne, lesefreundliche Website erstellen konnten, um auch interessierten Laien einen Zugang zu diesen außergewöhnlichen Zeitzeugnissen zu ermöglichen“, sagt Ziegler.

Das Forschungsvorhaben „ARCHITRAVE: Kunst und Architektur in Paris und Versailles im Spiegel deutscher Reiseberichte des Barock“ wurde von vier Einrichtungen umgesetzt: Der Philipps-Universität Marburg (UMR), der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB Göttingen), dem Centre de recherche du château de Versailles (CRCV) und dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris (DFK Paris). Das Projekt wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Agence Nationale de la Recherche (ANR) mit insgesamt knapp 500.000 Euro von 2017 bis 2021 gefördert.

Weitere Informationen:

Website ARCHITRAVE: https://architrave.eu

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