22.05.2025 Marburg feiert Doppelerfolg in der Exzellenzstrategie
Zwei Cluster erhalten Förderung im wichtigsten deutschen Forschungswettbewerb
Können Mikroben ein Game-Changer beim Klimawandel werden? Und wie funktionieren menschliche Wahrnehmung und Verhalten? Mit Forschung zu diesen beiden Themenkomplexen feiert Marburg einen Doppelerfolg in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder und trägt sich damit weit vorn auf der Landkarte der Forschungs-Exzellenz in Deutschland ein.
Im wichtigsten Wettbewerb in der deutschen Forschungsförderung werden das Marburger Exzellenzcluster „Microbes for Climate“ (M4C) der Universität und des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie sowie das Cluster „The Adaptive Mind“ (TAM) in der Zusammenarbeit der Universitäten Gießen, Marburg und Darmstadt ab 1. Januar 2026 für sieben Jahre gefördert. Eine Verlängerung um weitere sieben Jahre ist möglich.
„Die Leuchtturmprojekte sind das Ergebnis der strategischen Fokussierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf wichtige Forschungsthemen. Die Exzellenzcluster eröffnen den Forschungsteams die Möglichkeit, grundlegende Antworten auf große Fragen der Menschheit zu suchen und belohnen die Anstrengungen in vielen Bereichen der Universität über die letzten Jahre. Herzlichen Dank an alle, die dazu beigetragen haben, insbesondere in der Wissenschaft, in der Verwaltung und im hessischen Wissenschaftsministerium“, erklärt der Marburger Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss.
Der Vizepräsident für Forschung, Prof. Dr. Gert Bange, erklärt: „Gemeinsam ist es uns gelungen, die wissenschaftliche Exzellenz an der Philipps-Universität Marburg gezielt auszubauen und gleichzeitig die Synergien in der synthetischen Mikrobiologie mit unseren Partnern am Max-Planck-Institut und im Forschungscampus Mittelhessen wirkungsvoll zu nutzen.“
Prof. Dr. Helge Bode, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie, betont: „Ich freue mich sehr, dass die langjährige und konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Universität Marburg und dem Max-Planck-Institut im Bereich der Mikrobiologie nun eine so herausragende Anerkennung erfährt.“
Bange ergänzt: „Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war und ist zudem die enge Kooperation mit unserer Partneruniversität in Gießen. Durch diese Zusammenarbeit konnten wir unsere Stärken bündeln und innovative Forschungsansätze entwickeln, die weit über die Region hinausstrahlen. Die Exzellenzcluster belegen eindrucksvoll die strategische Weiterentwicklung der Universität Marburg und ihre führende Rolle in der Wissenschaftsregion Mittelhessen.“
Das Exzellenzcluster „Microbes for Climate“ (M4C)
Grund der Klimakrise ist im Wesentlichen ein menschengemachtes Ungleichgewicht im weltweiten Kohlenstoffkreislauf. Mikroorganismen stehen im Zentrum dieses Geschehens, weil sie jährlich Milliarden Tonnen der Treibhausgase Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan (CH4) bilden und umsetzen. Gleichzeitig bieten sie auch Möglichkeiten, diese Treibhausgase in klimaunschädliche Moleküle umzuwandeln. Ihre Rolle in natürlichen Ökosystemen, Landwirtschaft und Biotechnologien macht sie zu einem Teil der Klimakrise und gleichzeitig zu einem möglichen Schlüssel zu ihrer Lösung.
Im Exzellenzcluster „Microbes for Climate“ (M4C) wollen die Forschenden die Wissensgrundlage für einen zukünftig ausgeglichenen Kohlenstoffkreislauf schaffen, um der weiteren Erderwärmung entgegenzuwirken.
„In M4C entschlüsseln wir die grundlegenden Mechanismen der mikrobiellen Beiträge im Kohlenstoffkreislauf und entwickeln mithilfe synthetischer Biologie effizientere Wege zur nachhaltigen Umwandlung von CO2. Nur, wenn wir genau verstehen, wie diese Mechanismen von den mikrobiellen Zellen betrieben und von der Umwelt beeinflusst werden, können wir leistungsfähigere Alternativen entwickeln. Die synthetische Biologie ermöglicht uns, Wege zu testen, die die Natur bisher noch nicht hervorgebracht hat oder die heute nicht mehr existieren. Das Exzellenzcluster gibt uns mit mindestens sieben Jahren Laufzeit große Flexibilität, diese Forschung dynamisch voranzutreiben. Das sehen wir als großen Vertrauensvorschuss“, erklärt Prof. Dr. Anke Becker. Die Geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO) ist eine Sprecherin des Clusters.
Obwohl Mikroorganismen die Hälfte des weltweit vorhandenen CO2 umsetzen und damit einen gewaltigen Einfluss auf das Weltklima haben, sind sie in der Forschung unterrepräsentiert. In M4C sollen sie sichtbar gemacht, die Grundlagen ihres Beitrags zum Kohlenstoffkreislauf besser verstanden und ihr Potenzial erschlossen und mit Hilfe der synthetischen Biologie erweitert werden.
„Wir stehen hier vor einer großen Chance. Mikroben haben den globalen Kohlenstoffkreislauf im Lauf der Evolution mehrfach drastisch verändert. Die Geschichte dieser dramatischen Ereignisse ist bis heute in den Sequenzen der mikrobiellen Enzyme zu finden“, sagt Prof. Dr. Tobias Erb, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie und ebenfalls Sprecher des Clusters. „Neue computergestützte Verfahren ermöglichen uns, in die genetische Vergangenheit der Mikroben zurückzureisen und längst ausgestorbene mikrobielle Enzyme im Labor wiederherzustellen. Auf diese Weise erhoffen wir uns, entscheidende Fragen zu klären: Wie entwickelten sich die CO2-umwandelnden Enzyme und Stoffwechselwege? Was ermöglichte den Erfolg bestimmter Prozesse, was verhinderte die Entwicklung eines alternativen Kohlenstoffstoffwechsels in einer bestimmten Umwelt? Außerdem suchen wir in extremen Lebensräumen nach noch unentdeckten mikrobiellen Lösungen der CO2-Umwandlung oder entwickeln in der synthetischen Biologie ganz neue Wege, um das Treibhausgas CO2 einzufangen“, erläutert Erb.
Getragen wird M4C von der Philipps-Universität Marburg und dem Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie mit ihren gemeinsamen Zentren, dem Zentrum für Synthetische Mikrobiologie SYNMIKRO und dem Zentrum Mikrokosmos Erde (MEC). Zudem sind Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Universität Münster beteiligt. Aus dem hessischen Exzellenzprogramm LOEWE (Landesoffensive zur Entwicklung wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz) wird das Cluster mit zwei LOEWE-Spitzenprofessuren an der UMR sowie zwei LOEWE-Schwerpunkten, Tree-M und RobuCop, unterstützt. Auch SYNMIKRO wurde als LOEWE-Zentrum gegründet.
Antragstellende Institutionen: Philipps-Universität Marburg (UMR), Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie (MPI)
Sprecher*innen: Prof. Dr. Anke Becker, UMR, Zentrum für Synthetische Mikrobiologie (SYNMIKRO); Prof. Dr. Tobias Erb, Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie
Weitere Beteiligte: Justus-Liebig-Universität Gießen, Universität Münster
Das Exzellenzcluster „The Adaptive Mind“ (TAM)
Die Fähigkeit, Verhalten situationsgerecht anzupassen, ist eine elementar wichtige Eigenschaft des Menschen. Eine Störung dieser Fähigkeit kann zu psychischen Erkrankungen führen. Trotz ihrer zentralen Bedeutung für das tägliche Leben sind die Mechanismen, die menschliche Anpassungsfähigkeit erlauben und steuern, bislang unverstanden. Selbst neuesten Systemen der Künstlichen Intelligenz und Robotik mangelt es an dieser Anpassungsfähigkeit. Die Zusammenarbeit zwischen der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), der Philipps-Universität Marburg und der TU Darmstadt im Exzellenzcluster „The Adaptive Mind“ vereint Forschende aus der Psychologie, den Kognitions- und den Neurowissenschaften mit Expertinnen und Experten für Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Robotik, um universelle Prinzipien der menschlichen Anpassungsfähigkeit zu entschlüsseln. So wollen die Forschenden langfristig zu Verbesserungen im Bereich der psychischen Gesundheit, aber auch zu der Entwicklung robusterer Robotik- und KI-Systeme beitragen.
„Wir stehen alle in den Startlöchern und können es kaum erwarten, unsere vielen Forschungsideen nun endlich in die Tat umzusetzen und die nächste Generation von jungen Forschenden auszubilden“, freut sich der Gießener Wahrnehmungspsychologe Prof. Dr. Roland Fleming, einer der Sprecher des neuen Clusters. „Das ist eine wunderbare Bestätigung für die immense Unterstützung, die wir vom Land Hessen, den Universitäten und unseren Forschenden über viele, viele Jahre hinweg erfahren haben.“ Seine JLU-Kollegin und Co-Sprecherin Prof. Dr. Katja Fiehler ergänzt: „Menschliches Verhalten zu verstehen, ist sicherlich eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen. Mit dem Exzellenzcluster werden wir die psychologische Forschung grundsätzlich verändern und Lehrbuchwissen neu schreiben. Wir werden endlich in der Lage sein, menschliches Verhalten und dessen enorme Anpassungsfähigkeit außerhalb künstlicher Laborbedingungen, in der realen Welt, zu erklären und vorherzusagen.“
Im Umgang mit Veränderungen sind Menschen unschlagbar: Das menschliche Auge kann sich an die Helligkeit der Umgebung anpassen, egal ob mittags am Strand oder in einer mondlosen Nacht. Menschen verlernen das Fahrradfahren nicht, obwohl sich ihre Körper im Laufe des Lebens stetig verändern. Und sie können mit verschiedenen Flüssigkeiten umgehen – vom Wasser bis zum Honig. Für Roboter dagegen ist eine solche Anpassungsfähigkeit bis heute außer Reichweite. Dabei reagieren Menschen auf solche Veränderungen der Umstände mal mit Stabilität und mal mit Anpassung. Dies erfordert mitunter enorme Flexibilität, um in einer dynamischen und unsicheren Welt zu bestehen.
„Doch wie entscheidet sich, wann das menschliche Gehirn zu welcher Strategie greift? Wie stehen Stabilität und Anpassung miteinander im Verhältnis? Und was passiert, wenn der Adaptionsprozess scheitert?“ Diese Fragen, so Prof. Dr. Frank Bremmer, Sprecher für die Philipps-Universität Marburg, untersuchen Forschende unterschiedlicher Disziplinen im künftigen Exzellenzcluster. Den Forschenden geht es darum, universelle Prinzipien der menschlichen Anpassungsfähigkeit zu entschlüsseln. Das Thema taucht nicht nur in den Kognitions- und Neurowissenschaften und der Psychologie auf, sondern auch bei lernenden Robotern oder beim Training neuronaler Netze. Die Federführung liegt bei der Justus-Liebig-Universität Gießen, Mitantragstellerinnen waren die TU Darmstadt und die Philipps-Universität Marburg. Beteiligt sind außerdem die Goethe-Universität Frankfurt und das Frankfurt Institute for Advanced Studies. . Aus dem hessischen Exzellenzprogramm LOEWE wird das Cluster mit LOEWE-Spitzen- und Startprofessuren an JLU, UMR und TUDa sowie den LOEWE-Zentren Dynamic und emergenCITY und den LOEWE-Schwerpunkten Flow for Life und WhiteBox unterstützt.
Antragstellende Institutionen: Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), Philipps-Universität Marburg (UMR), Technische Universität Darmstadt
Sprecher*innen: Prof. Roland Fleming Ph.D., JLU, Prof. Dr. Katja Fiehler, JLU, weitere Direktoren: Prof. Dr. Frank Bremmer (UMR), Prof. Dr. Constantin A. Rothkopf (TU Darmstadt)
Weitere Beteiligte: Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt Institute for Applied Science
Hintergrund: Exzellenzstrategie
Die Exzellenzstrategie ist eine Bund-Länder-Vereinbarung, die darauf abzielt, Spitzenforschung nachhaltig zu fördern und die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hochschulen zu stärken – und damit auch des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die erste Förderrunde in der Exzellenzstrategie begann 2019. Sie hat die 2005/2006 erstmals ausgerufene Exzellenzinitiative abgelöst. Ab 2026 beträgt das jährliche Gesamtbudget der Exzellenzstrategie 687 Millionen Euro.
Zentrales Ziel der Exzellenzstrategie ist es, die Forschungsexzellenz in international wettbewerbsfähigen Bereichen zu fördern, die deutschen Universitäten institutionell zu stärken und das deutsche Hochschulsystem weiterzuentwickeln. Zu diesem Zweck umfasst die Exzellenzstrategie zwei getrennte, aber miteinander verknüpfte Förderlinien: Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten. Um eine Förderung als Exzellenzuniversität beantragen zu können, müssen Universitäten an mindestens zwei und Universitätsverbünde an mindestens drei Exzellenzclustern als Antragssteller beteiligt sein.
Die Auswahl und Begutachtung der Exzellenzcluster geschieht auf Grundlage von wissenschaftlichen Auswahlverfahren. Diese Verfahren werden im Auftrag von Bund und Ländern von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Wissenschaftsrat durchgeführt. Ziel ist die Förderung international wettbewerbsfähiger Forschungsfelder an Universitäten und in Universitätsverbünden. In der zweiten Förderrunde ab 1. Januar 2026 werden 70 Cluster mit jeweils 3 bis 10 Millionen Euro pro Jahr gefördert. Für die erste Förderphase von zunächst sieben Jahren (Start 2019) wurden insgesamt 57 Exzellenzcluster ausgewählt.