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Siegfried Heinrich

Foto: Tim. R. Schneider

Siegfried Heinrich studierte an der Musikhochschule Frankfurt als Stipendiat des Landes Hessen. Er erhielt seine Ausbildung in der Orgelklasse bei Prof. Helmut Walcha, in der Chorleiterklasse bei Philipp Reich, in Komposition bei Prof. Kurt Hessenberg und in der Cembalo-Soloklasse der Professoren Helmut Walcha und Maria Jäger-Jung. In der  Klavierklasse erteilten ihm Prof. Karl Weiß und in der Dirigentenklasse GMD Karl Maria Zwißler Unterricht. 

Heinrich war in Kassel von 1961-1977 Dozent an der Musikakademie, danach an der Gesamthochschule Kassel. Dort hatte er die Leitung der Dirigenten- und Cembaloklasse sowie des Chores und Orchesters der Akademie inne.

In Bad Hersfeld war er von 1961 - 2000 Kirchenmusikdirektor an der Evangelischen Stadtkirche.

Folgende Neugründungen gehen auf die Initiative Siegfried Heinrichs zurück: 

  • Hessisches Kammerorchester Frankfurt (1957)
  • Studio für Alte Musik in Frankfurt (1957)
  • Bad Hersfelder Festspiel- und Saisonkonzerte (unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, jährlich seit 1961)
  • Bachtage, heute „Internationale Bachtage in Hessen und Thüringen“ (jährlich um Ostern seit 1974)
  • Opernfestspiele in der Stiftsruine Bad Hersfeld (unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, jährlich seit 1980)
  • Bachinstitut und -Chor Frankfurt/M. e.V. (seit 2000)

Heinrich leitete unter anderem die Erstaufführung von Pendereckis Lukas-Passion in München (1967), Frankfurt/ M., Marburg, Bad Hersfeld, Kassel und Hannover.

 

Fünf Fragen an Prof. Siegfried Heinrich:

Ein Interview von Tim R. Schneider am 8. Mai 2008 in Bad Hersfeld

Herr Prof. Heinrich, Sie sind nun seit mehr als 4 Dekaden der künstlerische Leiter der Bad Hersfelder Festspielkonzerte, und 2010 werden 30 Jahre seit der ersten szenischen Umsetzung von Monteverdis L'Orfeo in der Stiftsruine, dem Beginn der Opernfestspiele, vergangen sein. Wenn Sie sich zurückerinnern - aus welcher Motivation heraus haben Sie 1961 die Bad Hersfelder Festspielkonzerte gegründet?

Der überwältigende Raum Hersfelder Stiftsruine, die größte romanische Kirchenruine diesseits der Alpen, zeichnet sich durch eine phänomenale Akustik aus: eine Laute, im Chorraum gespielt, ist noch in der letzten Reihe hörbar.
Bereits 1951 wurde der Raum für Schauspielaufführungen entdeckt. 1961 waren es Landrat Zerbe und Bürgermeister Jansen, die eine Bereicherung der Festspiele durch Festspielkonzerte und Oper wünschten und mich um den Aufbau einer Festspiel-Konzertreihe baten. Die Musikprogramme reichten von Musik des Mittelalters bis zur Gegenwart, etwa von der Gregorianik bis zu Pendereckis Lukas-Passion, die als deutsche Erstaufführung mit dem Hersfelder Festspielchor auch in München, Frankfurt, Marburg, Kassel und Hannover erklang. Nachdem die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) über die konzertanten Aufführungen der drei Monteverdi-Opern L’Orfeo, Die Krönung der Poppea und Die Heimkehr des Odysseus in der Hersfelder Stiftsruine geschrieben hatte, diese Interpretation schreie geradezu nach der Szene, wagten wir 1980, anlässlich des 20-jährigen Jubiläums, Opern szenisch aufzuführen. Dies war zunächst als einmaliges Angebot für das Jubiläumsjahr gedacht. Aber die Begeisterung der Hörer war derart, dass die Opernfestspiele inzwischen seit 29 Jahren existieren.

Bad Hersfeld liegt geographisch sehr nahe an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Welchen Einfluss hat der Standort bei der Gestaltung des Programms bzw. dem Engagement der Künstlerinnen und Künstler gehabt?

Die Lage Bad Hersfelds an der einstigen innerdeutschen Grenze, die zum Glück Vergangenheit ist, hatte Einfluss auf die Programm- und Künstlerauswahl. Im Vordergrund sollten natürlich Zeugen der gesamtdeutschen Theater- und Musikkultur stehen, allerdings Werke, in denen sich geistige und religiöse Werte der Bundesrepublik Deutschland widerspiegeln.
Ein zweiter wesentlicher Gedanke war, dass Musik Brücken schlagen und zur Aussöhnung beitragen kann. Die seit 1961 unter schwierigen Umständen aufgebauten Kontakte in die damalige Tschechoslowakei, nach Polen und Ungarn, die von den Kultusministerien dieser Länder eher behindert als gefördert wurden, bestehen bis heute. Die künstlerischen und menschlichen Kontakte haben sich etwa mit dem Prager Rundfunkorchester oder dem Polnischen Nationalorchester Kattowitz derart vertieft, dass die Musikerinnen und Musiker dieser Orchester von Bad Hersfeld liebevoll als der „Zweiten Heimat“ sprechen. Aber auch Gegeneinladungen nach Tschechien, Polen und Ungarn erfolgten, so dass wir dankbar sagen können, durch alljährlich wochenlange Zusammenarbeit ist eine wertvolle und herzliche Kooperation entstanden, die bis heute andauert.
Das gilt auch für Westeuropa und die westliche Welt, denn auch Rundfunk-Orchester aus Frankreich und Belgien sowie Solisten aus England, Japan, Korea und den USA waren und sind bei uns zu Gast.

1980 gründeten Sie die Opernfestspiele in der Stiftsruine. Können Sie kurz skizzieren, wie es von der Idee bis zur ersten Umsetzung, zu L’Orfeo von Monteverdi kam?

Wie eingangs erwähnt, waren konzertante Aufführungen der drei berühmten Monteverdi-Opern L’Orfeo, Die Krönung der Poppea und Die Heimkehr des Odysseus Ausgangspunkte für die nunmehr beständige Opernarbeit in der Hersfelder Stiftsruine. Diese Werke habe ich nach den Autographen eingerichtet.

Die Aufführungen erfolgten mit alten Instrumenten. Es bleibt das große Verdienst des Regisseurs Gustav Rudolf Sellner, in die Stiftsruine eine Orfeo-Inszenierung gezaubert zu haben, von der man heute noch spricht. Mit Monteverdi gab es anlässlich der Einweihung der Semperoper in Dresden und der Alten Oper in Frankfurt, aber auch zu zahlreichen Musikfestivals wie Helsinki, Warschau, Wroclav, Prag und in westeuropäische Länder wie Frankreich, Luxemburg, Niederlande und der Schweiz Einladungen, die den Ruf der Hersfelder Opernfestspiele mehrten.
Nach Monteverdi folgten die Zyklen der großen Mozart- und Verdi-Opern sowie Beethovens Fidelio, Webers Der Freischütz, Lortzings Zar und Zimmermann, Wagners Der fliegende Holländer, Smetanas Die verkaufte Braut, Bizets Carmen, Puccinis Tosca, Strauss´ Salome, Orffs Die Kluge.
In diesem Jahr schließen sich Humperdincks Hänsel und Gretel und Verdis La Traviata an.

Gibt es denn noch eine Wunschoper, die sie in der Atmosphäre der roman(t)ischen Steingemäuer aufführen möchten?

Verdis Othello, aber auch bewegende Opern des 20. Jahrhunderts, etwa von Janáček und Penderecki, fänden in der Hersfelder Stiftsruine eine ideale Spielstätte. Die Produktions- und die enormen Material- und Tantiemenkosten stehen bisher der Verwirklichung manch kühner Pläne entgegen.

Wie sehen Sie die Bedeutung und die Zukunft der beiden Festivalangebote im Rahmen der hessischen Musik- und Kulturlandschaft?

Die Bedeutung der Festivalangebote wird wachsen, weil Kunst in der Zeit des oberflächlichen materiellen Denkens Lebensinhalt und Lebensqualität für Menschen aller Generationen (an)bietet. Eine noch größere Bedeutung kommt der Aufführung großer geistlicher Werke in dieser ehemaligen Klosterkirche zu, die die Hörerinnen und Hörer unmittelbar berühren und deren Aussagen geistlichen Gewinn bedeuten.
Die Institutionen Festspielkonzerte und Oper haben seit 2000 eine sichere Basis in einem Vertrag zwischen der Stadt, dem Land Hessen und dem Arbeitskreis für Musik e. V. als Träger der Festspielkonzerte und der Opernfestspiele in der Hersfelder Stiftsruine gefunden.

Zusätzlich hat der von Stadt und Land sowie der Musischen Bildungsstätte e. V. zu drei gleichen Teilen getragene Bau des Johann-Sebastian-Bach-Hauses Bad Hersfeld Planungssicherheit gegeben. Im Bach-Saal für 330 Personen, mit zwei Emporen, architektonisch und akustisch hervorragend geglückt, finden Konzerte statt, die auch der Funk mitgeschnitten hat. Dazu gibt es im zweiten Probensaal, dem Mozart-Saal, optimale Voraussetzungen für Simultanproben. Besonders erwähnenswert, wenn Sie mir die kleine Bemerkung am Rande erlauben, ist eine außerordentlich klangschöne Bachorgel, zweimanualig mit Pedal aus der Werkstatt Friedrich Tzschöckels (Althütte), die Fachleute und Publikum immer wieder erfreut und begeistert.

Die Gästehäuser der Musischen Bildungsstätte beherbergen während der Festspielzeit von April bis August Solisten, Chöre und Orchester. Außerhalb der Festspielzeit haben Orchester und Chöre von Musikhochschulen, Gymnasien und allgemeinen Schulen aus ganz Deutschland die idealen Probenbedingungen erkannt.
Fortbildungswochen enden mit Abschlusskonzerten, die als zusätzliches kulturelles Angebot der Hersfelder Bevölkerung, insbesondere Schülern bei freiem Eintritt, zugänglich sind.
Welche Bedeutung diesen nunmehr fast 50 Jahre bestehenden kulturellen Institutionen zukommt, lässt sich daran ablesen, dass eine nicht überschaubare Zahl von Jugendlichen und Erwachsenen im Hersfelder Festspielchor und im Bach-Haus-Kinderchor von dieser Arbeit profitierten und sich in beispielhaftem Maße ehrenamtlich zur Mitarbeit bereit erklärten. Besonders erfreulich ist, dass aus dieser Arbeit inzwischen über 100 hauptberufliche Musiker hervorgegangen sind.

Der "Hersfelder Opernpreis" für arrivierte und der "Orpheus-Preis für Nachwuchssänger" finden überregionale Beachtung und waren hilfreich für manche Sängerkarriere.
Intendanten und Dirigenten sind nicht selten hier zu Gast. Für manche Sängerinnen und Sänger war nach der Verpflichtung in Bad Hersfeld die nächste Station Salzburg oder Bayreuth.
Für die Nachwuchsförderung ist die Reihe „Oper für Kinder“ bedeutsam, die in den letzten beiden Jahren in Bad Hersfeld, Marburg, Frankfurt und Bad Salzungen über 4.000 Jugendliche an die klassische Oper heranführte.

Die kreative eigenschöpferische Arbeit, die Lebenssinn vermittelt, ist das Geheimnis, dass sich dieses Bemühen um Kultur mit nur 10% Förderung und 90% Eigenleistung über nunmehr fast 50 Jahre gehalten hat. Der Dank gilt nicht nur den mit viel Idealismus tätigen Mitarbeitern, sondern auch der Treue eines begeisterten Publikums, dessen Zahl sich stetig vergrößert.