Hauptinhalt

Volkslied

Foto: de.wikipedia.org
Johann Gottfried Herder, Gemälde von Anton Graff, 1785

In Anlehnung an die englische Bezeichnung 'popular song' prägte Johann Gottfried Herder den Begriff 'Volkslied'. Darunter ordnete er ebenso die mündlich überlieferten Dichtungen ein, weil er meinte, durch diese den Ursprung, die Entwicklung, die Mentalität und den Charakter der Völker und Nationen erforschen zu können.

1773 erschien die erste Sammlung mit dem Titel "Alte Volkslieder", die Texte ohne Melodien enthielt. Die Sammlungen von Herder regten viele Dichter und Komponisten an, unter anderem Goethe, Reichardt und Zelter. Herder beeinflusste die Romantiker Achim von Armin und Clemens Brentano, die auch Volkslieder sammelten, sowie die Brüder Grimm. 

Kennzeichnend für das Volkslied waren nach Herder erstens die ästhetische Qualität, wobei die Schönheit eines Liedes mehr in der Naivität und Unregelmäßigkeit lag, zweitens die Entstehung im Volk, das heißt, das Volkslied wurzelte nicht in den Kreisen der Gebildeten, und drittens ein hohes Alter.

Vor dem Hintergrund nationaler Bestrebungen wurden im 19. Jahrhundert viele Volksliedsammlungen staatlich angeregt und gefördert. So begann in Österreich ab 1811 eine intensive Sammel- und Befragungsaktion in den Ländern der Habsburger Monarchie. In Frankreich erließ Napoleon III. 1852 ein Dekret mit der Aufforderung, Volkslieder zu sammeln.

In vielen Sammlungen wurden die Texte und Melodien verändert, 'verbessert' und sogar neu komponiert, manchmal auch die 'zotigen' Strophen weggelassen. Diese Sammlungen waren zwar wissenschaftlich wertlos, aber erfolgreich, denn sie fanden weite Verbreitung. Das bedeutet, dass die aktuelle Situation des Volksliedes dieser Zeit nicht mit den von Herder geprägten Charakteristika des Volksliedes übereinstimmte.

Als erster systematischer Liedersammler gilt in der Volksliederforschung Ludwig Erk, dem es gelang, den Sprung vom Sammeln und Dokumentieren zum Publizieren zu schaffen. Die Erforschung des Volksliedes vollzieht sich bei Erk nach Ernst Schade ("Ludwig Erks kritische Liedersammlung und sein 'Volkslied'-Begriff") in drei Abschnitten:

  • Sammeln von Volksliedern und kritischer Vergleich verschiedener Fassungen,
  • Forschung nach dem Ursprung des Textes und der Melodie,
  • Historische Untersuchung über das Volkslied.

In Bezug auf die Charakteristika sollte das Volkslied bei Erk durch die mündliche Überlieferung weit verbreitet und durch mehrere Varianten gekennzeichnet sein.
Die Kriterien von Herder und Erk hinterlassen ihre Spuren in der Definition des Volksliedbegriffs bis in die heutige Zeit, obwohl in den letzten Jahrzehnten neben die Erforschung der älteren, historischen Lieder vor allem die der gegenwärtig gesungenen getreten ist. Der so genannten 'Singforschung' zufolge muss ein Volkslied nicht unbedingt ästhetisch wertvoll sein, auch nicht sehr alt und im ganzen Volk verbreitet. Das Gebiet der Singforschung ist somit viel komplexer und schwerer überschaubar als die alte Volksliedforschung.