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Singen

Foto: Colourbox.de / Studio Lucky

Von Uwe Henkhaus

„Singen als elementare Ausdrucksform menschlichen Daseins zu erhalten, zu för­dern und weiter zu entwickeln – das allein schon ist eine kulturpolitische Aufgabe,“ die sich so etwa der Deutsche Chorverband auf seine Fahnen geschrieben hat.

Fachleute sind sich einig, dass der natürliche Kontakt mit dem Singen am besten pränatal erfolgen und kontinuierlich fortgesetzt werden sollte. Das geschieht heute im Allgemeinen aber weder in der Familie, noch im Kindergarten oder der Schule. Und wenn gesungen wird, dann meist von Frauen. Kein Wunder, das Jungen Singen als unmännlich und „uncool“ empfinden. Hier entsteht ein Teufelskreis, aus dem zu entrinnen nur schwer möglich ist.

Foto: Walter Dickhaut
Spinnstube in Arnshain um 1930

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Singen noch einen ganz anderen Stellenwert, insbesondere in der dörflichen Gesellschaft. Es war kein Medium für die Freizeit, die die meisten ohnehin kaum hatten, son­dern gehörte selbstver­ständlich zum Leben. Die Palette der Singgelegenheiten war reich: Wann immer heute Radio, CD- oder Mp3-Player angestellt werden, sang man früher selbst. Nicht vom Liedkon­sum, son­dern von der aktiven Teilnahme am Singen war der Umgang mit Musik geprägt. Bei den meisten Sängern war dies die einzige Form musikali­scher Äuße­rung. Gesungen wurde alles, was gefiel. Die ästhetische Qua­lität spielte nur eine unter­geordnete Rolle. Die Lieder waren einfach, die Sänger ungeschult: "Es lebt kein Bauer auf der Erde so grob, der nicht ein Sänger sein will", heißt es in einer bäuerli­chen Redensart. Die Lieder waren nicht nur einfach, weil ihre Überlieferung meist mündlich erfolgte, sondern sie mussten sowohl im Melodieverlauf als auch in der Überschaubarkeit der Texte so einfach sein, dass sie die Mög­lichkeiten von normal begabten Menschen, die sie ohne besondere musikalisch-literarische Vorbildung sangen, nicht überstiegen.

Während Singen zum Alltag gehörte, gab es Instrumentalmusik jahrhun­dertelang in den weniger begüterten Schichten nur in Ausnahmesituationen: im Gottesdienst, zum Tanzvergnügen, bei reichen Leuten zu Hause, im Theater oder Konzert. Heute ist solche Musiklosigkeit kaum mehr vorstellbar.