01.11.2023 Biografie gewährt Einblick in Emil von Behrings Netzwerke

Medizinhistorikerin Ulrike Enke präsentiert die Summe ihrer jahrelangen Forschungen über den Medizinpionier

Sein Nachlass umfasst viele Briefe und Dokumente, die in die neue Biografie eingeflossen sind: Emil von Behring auf einem Gemälde von Friedrich Klein-Chevaliers (1903).
Portrait: Friedrich Klein-Chevaliers (1903)
Sein Nachlass umfasst viele Briefe und Dokumente, die in die neue Biografie eingeflossen sind: Emil von Behring auf einem Gemälde von Friedrich Klein-Chevaliers (1903).

Der „Retter der Kinder“, endlich wird er auch als Mensch fassbar: Emil von Behring war nicht nur Medizinpionier, Firmengründer und Nobelpreisträger, er war auch ein geschickter Netzwerker. Eine neue Biografie befreit den Marburger Jahrhundertwissenschaftler von den Auslassungen und Fehldeutungen der Naziideologie, die ihn für sich zu vereinnahmen versuchte: Ulrike Enke: Emil von Behring 1854 – 1917. Immunologe – Unternehmer – Nobelpreisträger, ISBN 978-3-8353-5501-9, Göttingen (Wallstein) 2023, 596 Seiten, 34 Euro.

Der Immunologe Emil von Behring (1854-1917) lehrte von 1895 bis zu seinem Tod an der Marburger Universität das Fach Hygiene. In Robert Kochs Institut für Infektionskrankheiten in Berlin hatte er zuvor die körpereigene Immunabwehr entdeckt und die Grundlagen für die Serumtherapie von Diphtherie und Tetanus gelegt. Im Jahr 1901 erhielt Behring den ersten Nobelpreis für Medizin oder Physiologie. In Marburg gründete der Wissenschaftler wenig später sein Unternehmen für die Produktion von Impfstoffen, die Behringwerke, die in veränderter Gestalt die Stadt bis heute prägen.

Sie nannte ihren Aufzug „furchtbar verrückt“, aber „Emil fand mich großartig“: Die zeitgenössische Fotografie zeigt Emil von Behring und seine Frau Else im Reisekostüm. (Foto: Behring-Archiv Marburg, EvB /L 1 /15)
Foto: Behring-Archiv Marburg, EvB /L 1 /15
Sie nannte ihren Aufzug „furchtbar verrückt“, aber „Emil fand mich großartig“: Die zeitgenössische Fotografie zeigt Emil von Behring und seine Frau Else im Reisekostüm.

„Behring war nicht der Einzelkämpfer, als der er meist dargestellt wurde“, erklärt seine Biografin Dr. Ulrike Enke. In ihrem materialreichen Werk zeigt die promovierte Literaturwissenschaftlerin die Netzwerke auf, die Behring knüpfte. „Ich habe einen Gegenentwurf zur ersten Behring-Biografie aus dem Jahr 1941 geschrieben, deren Hauptautor bekennender Nationalsozialist war“, erläutert Enke. So sei Behrings Familie in dem Buch so gut wie nicht vorgekommen – denn Behrings Ehefrau Else, eine geborene Spinola, hatte jüdische Vorfahren.

Neu zugängliche Familienbriefe lassen Behring in einem anderen Licht erscheinen. „Wir lernen nun einen herzlichen Familienmenschen und fürsorglichen Vater kennen“, sagt Enke. Die Briefe ermöglichen Einblicke in den Alltag einer Marburger Professorenfamilie, bei der Wissenschaft und Privatleben aufs Engste verwoben waren. „Behring war ein sozialer Aufsteiger, dem es als Dorfschullehrerkind gelang, dank hoher Intelligenz und Durchsetzungsvermögens bis in die höchsten Kreise Europas aufzusteigen“, erzählt die Medizinhistorikerin; „sein wissenschaftliches Wirken ist eingebettet in die Medizin- und Sozialgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts; durch den in den Medien äußerst präsenten Behring verbreitete sich das in Labor, Tierstall und Klinik erarbeitete neue Wissen“.

Ulrike Enke begann im Jahr 2009, den Nachlass Emil von Behrings zu sichten, der in der Philipps-Universität aufbewahrt wird. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt bereitete sie den persönlichen Nachlass des Nobelpreisträgers für die Publikation auf, zunächst für eine online-Datenbank. „Bei dieser Arbeit habe ich sämtliche Dokumente in Händen gehalten und gelesen“, bekundet Enke. Die Biografie fasst nun die Ergebnisse der Forschungsarbeit zu einem facettenreichen Bild des Menschen und Forschers Behring zusammen.

Die Von Behring-Röntgen-Stiftung hat die Arbeit an der Biografie in den Jahren 2020 – 2022 mit 150.000 Euro gefördert und auch die Drucklegung finanziell unterstützt; weitere Hilfen kamen vom Fachbereich Medizin der Philipps-Universität sowie von den Unternehmen am Standort Behringwerke Marburg.

Am Mittwoch, den 15. November 2023 um 18:15 Uhr findet eine Lesung mit Buchpräsentation im Großen Hörsaal des Gebäudes Bahnhofstraße 7 in Marburg statt.

Die Philipps-Universität Marburg verleiht am Donnerstag, 2. November 2023 den Emil von Behring-Preis 2023 an die US-amerikanische Virenforscherin Elizabeth Campbell.

Verlagsseite zur Publikation: www.wallstein-verlag.de