19.12.2025 Lehramtsstudierende im Einsatz an Hessens Schulen
Hessenweite Studie LABORA-HE zeigt: Die Hälfte der befragten Lehramtsstudierenden arbeitet bereits während des Studiums an Schulen
Die Hälfte von rund 5.000 befragten Lehramtsstudierenden in Hessen steht bereits während des Studiums regelmäßig im Klassenraum – und übernimmt dort auch Aufgaben, die in die Zuständigkeit vollständig ausgebildeter Lehrkräfte gehören. Das zeigt die neue hessenweite Studie LABORA-HE („Lehramtsstudierende in Arbeit und Beruf: Organisation, Ressourcen, Aufgaben in Hessen“), die im Wintersemester 2024/25 von den sechs lehrkräftebildenden Hochschulen des Landes durchgeführt wurde und die derzeit die größte Erhebung zum Thema in Deutschland ist.
Insgesamt 50 % der befragten Studierenden gaben an, neben dem Studium entweder ausschließlich an einer Schule (33 %) oder sowohl an einer Schule als auch in einem anderen Bereich (17 %) tätig zu sein. Besonders häufig tun dies Studierende für die Lehrämter für Förderpädagogik (58 %) und an Grundschulen (56 %). Im Schnitt arbeiten die Studierenden an Schulen rund neun Stunden pro Woche, wobei mit fortschreitendem Studium der Umfang der Tätigkeit an Schulen steigt. Dabei arbeiten bereits 33 % der Studierenden im ersten Studienjahr an Schulen.
Breite Verantwortung in Unterricht und Schulen
Die meisten der befragten Studierenden übernehmen schon früh im Studium anspruchsvolle Aufgaben: 90 % unterrichten eigenständig im Klassenverband, 60 % erstellen Unterrichtsmaterialien, über 50 % führen Pausenaufsichten oder Förderunterricht durch. Selbst Notenvergabe, Klassenleitung oder Zeugniserstellung liegen bei bis zu 20 % der Studierenden in eigener Verantwortung und dies teils schon im ersten Studienjahr.
Hoher Anteil fachfremden Unterrichts
Nur 58 % der befragten Studierenden werden laut Studie passend zu ihrem Studienprofil eingesetzt und unterrichten damit mindestens eines ihrer Studienfächer in einer Schulform, für die sie im passenden Studiengang eingeschrieben sind. Bei 42 % der Studierenden trifft dies nicht zu. Besonders deutlich wird dies daran, dass in 24 von 26 Fächern die Mehrheit der Studierenden fachfremd unterrichtet – nur in Deutsch und Mathematik stimmen studiertes und unterrichtetes Fach meist überein. Damit zeigt sich, dass Studierende vielerorts oft jenseits ihrer angestrebten Qualifikation Lücken in der Unterrichtsversorgung schließen.
Zwischen Praxiserfahrung und Überforderung
Studierende, die an Schulen arbeiten, schätzen sich selbst bereits in den ersten Semestern als kompetenter und beruflich gefestigter ein als ihre Kommiliton:innen ohne diese Schulpraxis. Dabei lässt sich aufgrund der Querschnittsdaten der Studie nicht feststellen, ob die Tätigkeit an der Schule zu dieser Selbstscheinschätzung der Studierenden führt oder ob sich ohnehin sicherere Lehramtsstudierende eher für eine Erwerbstätigkeit an Schulen entscheiden. Gleichzeitig bewerten die an Schulen arbeitenden Studierenden die wissenschaftlichen Inhalte ihres Studiums teilweise als weniger relevant. Zudem erleben sie häufiger Terminüberschneidungen zwischen Studium und Unterrichtspraxis. Eine institutionalisierte Begleitung über Mentor:innen oder dezidierte Reflexionsangebote fehlen in der Regel sowohl an den Schulen als auch an den Universitäten. Stattdessen findet der Austausch überwiegend privat oder informell statt.
Bedeutung für die Lehrkräftebildung und Unterrichtsqualität
Für die beteiligten Forschenden verweisen die Ergebnisse auf das Spannungsfeld der unbegleiteten Praxis im komplexen Berufsfeld Unterricht und Schule. Die Ergebnisse der Studie zeigen zwar, dass viele der befragten Studierenden sich in ihrem Berufsziel bestätigt fühlen. Gleichzeitig besteht aber deutlich das Risiko der De-Professionalisierung, da sich ohne professionelle Begleitung bereits früh im Studium aufgrund einer unreflektierten Praxis wenig tragfähige Haltungen verfestigen können. Zudem muss aufgrund der Befunde der Unterrichtsforschung davon ausgegangen werden, dass die Unterrichtsqualität aufgrund des breiten Einsatzes von fachfremd unterrichtenden Lehramtsstudierenden nicht unerheblich leidet. Das ist angesichts jüngster Befunde zu basalen Kompetenzen in der Grund- und Sekundarstufe besorgniserregend.
Kooperation der hessischen Hochschulen
LABORA-HE entstand aus dem vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur geförderten Projekt PraxisFlex an der Philipps-Universität Marburg und wurde in enger Zusammenarbeit mit den lehrkräftebildenden Hochschulen – Justus-Liebig-Universität Gießen, Technische Universität Darmstadt, Goethe-Universität Frankfurt, Universität Kassel und Hochschule Fulda – umgesetzt. Mit einer Rücklaufquote von 27 % aller hessischen Lehramtsstudierenden bietet sie eine solide empirische Grundlage für künftige Diskussionen über die Rolle von Studierenden in der Absicherung schulischen Unterrichts und des Ganztags.
Weitere Informationen
Zentrale Ergebnisse sowie deren Diskussion und Einordnung können im Ergebnisbericht zur Studie LABORA-HE eingesehen werden: https://doi.org/10.17192/openumr/342
Kontakt
Dr. Manuel Hermes und Annette Huppert
Mail: zfl@uni-marburg.de
Zentrum für Lehrkräftebildung
Philipps-Universität Marburg