06.06.2025 So können Erwartungen den Behandlungserfolg verbessern
Forschende des SFBs „Treatment Expectation“ geben vier Empfehlungen für medizinisches Fachpersonal
Die Behandlungserwartungen von Patienten und Patientinnen beeinflussen den Erfolg einer Therapie: Positive Erwartungen erhöhen die Chancen für einen besseren Therapieerfolg, negative Erwartungen vermögen den Erfolg zu mindern und erhöhen das Auftreten von Nebenwirkungen. Das Autor*innenteam aus Hamburg, Marburg und Potsdam empfiehlt in der aktuellen Ausgabe des renommierten Medizin-Journals JAMA (Journal of the American Medical Association) vier evidenzbasierte Kommunikationsstrategien, wie Behandler die positiven Erwartungseffekte konkret fördern können.
Die vier Empfehlungen an Mediziner*innen:
- Sprechen Sie über die Behandlungserwartungen der Patienten
- Stärken Sie die Arzt-Patienten-Beziehung
- Fördern Sie positive Erwartungen
- Reduzieren Sie die Angst vor Nebenwirkungen
Die Psychologen Prof. Meike Shedden-Mora (Medical School Hamburg), Prof. Winfried Rief (Klinische Psychologie und Psychotherapie, Philipps-Universität Marburg) und Prof. Johannes Laferton (Health and Medical University, Potsdam) haben die entscheidenden Faktoren aus unterschiedlichen Studien über Placeboeffekte extrahiert. Wesentliche Impulse zu dieser Arbeit kamen von dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Transregio-Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“. Prof. Shedden-Mora und Prof. Rief sind Mitglieder des interdisziplinären Wissenschaftsteams an den Universitäten Duisburg- Essen, Marburg und Hamburg, das den Mechanismus erforscht, wie die Erwartung von Patienten und Patientinnen die Wirksamkeit medizinischer Behandlungen beeinflusst.
Erfahrungen und Erwartungen verstehen
Positive und negative Erwartungen, aber auch die Angst vor Nebenwirkungen, können unabhängig voneinander den Behandlungserfolg beeinflussen, wie eine umfangreiche Analyse von sechs Studien mit insgesamt 748 Teilnehmenden zeigt. Auch wenn man sich viel Nutzen von der Behandlung verspricht, kann gleichzeitig die Besorgnis, Nebenwirkungen zu erleben, groß sein. Behandler*innen sollten gezielt nach Vorerfahrungen („Erzählen Sie mir von Ihren bisherigen Behandlungserfahrungen“), Erwartungen („Was glauben Sie, wie sehr wird ihnen die Behandlung helfen?“) und Befürchtungen („Haben Sie Angst vor Nebenwirkungen?“) fragen. „Wir ermutigen jeden, der im Kontakt mit Patienten ist, diese Fragen zu stellen, denn nur so können eine individuelle Therapie und unterstützende Kommunikation zugeschnitten auf die persönlichen Ängste und Bedürfnisse erfolgversprechend eingesetzt werden“, rät die Psychologin und Psychotherapeutin Prof. Shedden-Mora.
Arzt-Patienten-Beziehung stärken
Zeigen Ärzt*innen Kompetenz und verhalten sich empathisch, dann beeinflusst auch dies den Behandlungserfolg. Nonverbale Signale wie Augenkontakt oder ein bestätigendes Nicken sowie eine gut strukturierte verständliche Kommunikation („Wenn Sie sich Sorgen um Nebenwirkungen machen, lassen Sie uns gemeinsam überlegen, was wir bei auftretenden Nebenwirkungen tun können.“) schaffen Vertrauen. Eine Studie mit 262 Patienten mit Reizdarmsyndrom konnte zeigen, dass deutlich mehr Patienten von einer (Placebo-)Akupunktur-Behandlung profitierten, wenn Arzt oder Ärztin Wärme und Empathie ausstrahlte, als wenn der Kontakt eher sachlich-distanziert gestaltet war.
„Offene Fragen stellen, zuhören und seine eigene Erfahrung als Arzt betonen“ können ein wichtiger Faktor beim Therapieerfolg sein. Jeder Arzt und jede Ärztin sowie jeder Psycho- oder Physiotherapeut sollten sich der Wirkung ihrer Kommunikation bewusst sein“, betont der Psychologe und Psychotherapeut Prof. Winfried Rief.
Positive Erwartungen fördern
Jeder Patient und jede Patientin hat Erwartungen an seine Behandlung. Positive Annahmen und eine zuversichtliche Perspektive werden unterstützt, wenn Behandler realistisch die persönlichen Ziele eines Patienten bestärken („Nach der Operation möchten Sie wieder mit Ihrer Familie Bergwandern. Ich bin zuversichtlich, dass Sie in den ersten sechs Wochen schon kurze Spaziergänge unternehmen und nach drei Monaten bereits wieder moderate Wanderungen bewältigen können.“) Dass ein persönlicher Genesungsfahrplan das Gesundwerden fördert, zeigen Studien an Patienten mit Herzoperationen und operativen Eingriffen im Bauchraum. Sie konnten nach Eingriffen am Herzen bis zu 4,5 Tage früher aus dem Krankenhaus entlassen werden, und nahmen nach Bauch-OPs etwa fünf Tage früher ihre normalen Alltagsaktivitäten wieder auf. „Beim Entwickeln solch eines Genesungsfahrplans mit Hilfe einer psychologischen Intervention ist es wichtig, dass die Ziele realistisch sind und eine persönliche Bedeutung haben, zum Beispiel nach der Bypass-Operation wieder mit dem Hund Gassi gehen können“, bestätigt der Psychologe und Psychotherapeut Prof. Johannes Laferton.
Angst vor Nebenwirkungen mindern
Es ist gut belegt, dass Patient*innen das Risiko von unerwünschten Nebenwirkungen oft überbewerten und den Nutzen einer Therapie unterschätzen. Wie medizinisches Personal mögliche Nebenwirkungen erklärt, beeinflusst entscheidend die Häufigkeit von Nebenwirkungen. Die ausgewogene Aufklärung in einem positiven Rahmen, wo auch der Nutzen betont und erläutert wird, reduziert die Belastung durch Nebenwirkungen. So berichten in einer klinischen Studie Patienten, die Methotrexat für ihr entzündliches Rheuma erhielten, deutlich weniger Nebenwirkungen, wenn ihnen mögliche Nebenwirkungen als positives Zeichen, dass das Medikament im Körper wirkt, erklärt wurden. Patienten, die eine solche positive Erklärung für Nebenwirkungen erhielten, brachen die Behandlung deutlich seltener ab.
Die positive Rolle guter Kommunikation
„Dass JAMA diese Erkenntnisse und Ratschläge in der Serie Insights „Communicating Medicine“ veröffentlicht, freut uns sehr, da wir als Forschungsverbund schon seit vielen Jahren substantiell zu der Evidenz dieser Effekte beitragen. Die positive Bedeutung von Kommunikation im therapeutischen Bereich aller Disziplinen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gleichzeitig werden wir noch viele Erkenntnisse gewinnen müssen, die es uns erlauben personalisiert, kontextspezifisch und flächendeckend in der Praxis die Erwartungseffekte zum Wohl der Patienten zu nutzen“, erklärt die Neurologin und Leiterin der Schmerzmedizin an der Universitätsklinik Essen Prof. Ulrike Bingel. Sie ist Sprecherin des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“ und forscht seit Jahrzehnten intensiv im Bereich Placebo- und Noceboeffekte in der Medizin.
Originalpublikation: Johannes A.C. Laferton, Winfried Rief, Meike Shedden-Mora. Improving Patients´ Treatment Expectations. JAMA Online 04 June 2025, DOI: 10.1001/jama.2025.6261 https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2834861
Jama Podcast Clinical Reviews – Prof. Laferton im Gespräch
https://edhub.ama-assn.org/jn-learning/audio-player/18979152?resultClick=1&bypassSolrId=M_18979152
Was macht der Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“?
Der überregionale, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Sonderforschungsbereich (SFB/Transregio 289) „Treatment Expectation“ (Behandlungserwartung) untersucht seit dem Jahr 2020 mit einem interdisziplinären Team an den Universitäten Duisburg- Essen, Marburg und Hamburg den Einfluss der Erwartung von Patient*innen auf die Wirksamkeit medizinischer Behandlungen. Deutschland nimmt international eine Spitzenposition in der Erforschung von Placebo-und Noceboeffekten ein. Im Mai 2024 hat der SFB rund 15 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine weitere vierjährige Förderphase eingeworben. Das Ziel des interdisziplinären Verbunds ist, die äußerst komplexen Mechanismen von Erwartungseffekten von der molekularen bis zur systemischen Ebene mit modernsten wissenschaftlichen Methoden zu entschlüsseln, psychologische und neurobiologische Unterschiede zwischen einzelnen Patient*nnen und Erkrankungen so exakt wie möglich zu verstehen und zu prüfen, wie diese Effekte etablierte pharmakologische und andere Behandlungsansätze optimieren können. Hierzu erforscht ein Team von 26 exzellenten Forschenden aus den Bereichen Medizin, Psychologie und den Neurowissenschaften. Ziel der Forschung ist es, bestehende Medikamente verträglicher zu machen, ihre Wirksamkeit zu steigern und ihre Nebenwirkungen zu verringern, indem man die Effekte positiver Erwartung nutzt. Sprecherin des Forschungsverbundes ist Prof. Dr. Ulrike Bingel von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen: „Erwartungen von PatientInnen haben einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf von Erkrankungen und die Wirksamkeit von Behandlungen. Unser Ziel ist es das wissenschaftliche fundierte Wissen, dass Erwartung, Kontext und Kommunikation eine wichtige Rolle spielen, in die Schulmedizin zu integrieren.“
Weitere Informationen zur aktuellen Forschung sowie Ratschläge für Patienten sind auf der Webseite www.treatment-expectation.de nachzulesen.
Kontakt
Prof. Dr. Winfried Rief
Mail: rief@uni-marburg.de
Fachbereich Psychologie
Philipps-Universität Marburg