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Herrschermemoria und politische Norm in der Frühen Neuzeit

Konzeption und Ziele

Leitbegriffe und Normen, die das Handeln der politisch Verantwortlichen in frühneuzeitlichen Gemeinwesen bestimmt haben, sind in den letzten Jahren verstärkt ins Blickfeld der historischen Forschung gerückt. Diese Perspektive ermöglicht einerseits einen vertieften Einblick in die Wertvorstellungen der Zeitgenossen und erweitert andererseits das Verständnis politischer Handlungsmaßstäbe. In diesem Sinne fragt das geplante Forschungsprojekt nach politischen Normen und Leitbegriffen, die im Prozeß politischer Kommunikation formuliert und vermittelt, aber auch von der Herrschaft gezielt eingesetzt und funktionalisiert wurden. Aufgegriffen wird ein besonders aussagekräftiger Aspekt, der bisher bemerkenswert wenig Beachtung gefunden hat: die Erinnerung an einen verstorbenen Herrscher, der im Rahmen solcher Vermittlungsvorgänge eine zentrale Bedeutung zukam.

Im Zentrum des Forschungsprojektes steht daher die breite Funeralliteratur (Leichenpredigten, Nachrufe, Gedenkreden), die in der Frühen Neuzeit im Zusammenhang mit dem Tod eines Herrschers publiziert worden ist. Es gibt deutliche Hinweise, daß es eine wichtige Funktion dieser Funeralliteratur war, zur Entstehung, Vermittlung und Verfestigung politischer Normen, Konzepte und Leitbegriffe beizutragen, indem spezielle Tugenden und Handlungen des verstorbenen Herrschers als besonders vorbildlich dargestellt wurden. Gleichwohl fehlt bislang eine Analyse dieses Schrifttums, die diesen Vorgang übergreifend-vergleichend in den Blick nimmt.

Das Forschungsprojekt untersucht, auf welche Weise die im Zusammenhang mit dem Tod eines Herrschers in weiterer Folge publizierten Memorialschriften politische Normen generierten, vermittelten und verfestigten. Zu den Leitfragen der Untersuchung gehört, wie die durch die Funeralschriften vermittelten normativen Gehalte Eingang in die Historiographie gefunden haben und wie die so entstandene Herrschermemoria im politischen Tagesdiskurs eingesetzt wurde, auch im Sinne von Legitimierung und Kritik gegenwärtiger politischer Handlungsweisen. Dies geschieht exemplarisch auf der Basis von drei Teilprojekten: Erstens wird die Wirkung und Funktionalisierung der Memoria Elisabeths I. und Jakobs I. von England in den kontroversen und sich zunehmend radikalisierenden politischen Diskursen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts untersucht (Kerstin Weiand). Zweitens wird politische Normsetzung unter dem Aspekt kameralistischer Staats- und Wirtschaftslehren am Beispiel des Gedenkwerks für Ernst den Frommen von Sachsen-Gotha-Altenburg analysiert (Dr. Hartmut Peter/Dr. Eva Bender). Drittens wird der Frage nach Kontinuität und Wandel von Rezeptionsweisen und Formen politischer Funktionalisierung der Herrschermemoria im Kontext der Aufklärung anhand der Funeralliteratur Wilhelms III. von England und Ludwigs XIV. von Frankreich nachgegangen (Dr. Ulrich Niggemann).

Das Projekt liefert somit einen zentralen Beitrag zur Geschichte der politischen Kommunikation Mittel- und Westeuropas in der Frühen Neuzeit.

Publikationen aus dem Projekt

  • Eva Bender, Ludwig Heinrich von Nassau-Dillenburg (1681-1710). Karrierestrategien für nachgeborene Prinzen, in: Leben in Leichenpredigten 6 (2010), URL: http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/ludwig-heinrich-von-nassau-dillenburg-1681-1710.html.
  • Eva Bender, Die wohlverdiente Ehren-Seule für Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha und Altenburg als Medium höfischer Kommunikation. In: Axel E. Walter (Hg.): Medien höfischer Kommunikation – Formen, Funktionen und Wandlungen am Beispiel des Gothaer Hofes (= Daphnis 42 (2013), Heft 2), Leiden-Boston 2013, S. 541-569.
  • Christoph Kampmann / Martin Papenheim (Hrsg.), Der Tod des Herrschers. Aspekte der zeremoniellen und literarischen Verarbeitung des Todes politischer Führungsfiguren, Marburg 2009, URL: http://archiv.ub.uni-marburg.de/es/2009/0009/pdf/kpht.pdf.
  • Christoph Kampmann, Herrschermemoria und politische Norm. Geschichtliche Persönlichkeiten als Leitbilder vom Mittelalter bis zur Moderne, in: Historisches Jahrbuch 129 (2009), S. 3-17.
  • Christoph Kampmann, Der Tod des Herrschers als Grenze und Übergang, in: Christine Roll/ Frank Pohle/ Matthias Myrczek (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse; 1), Köln/Weimar/Wien 2010, S. 261-270.
  • Christoph Kampmann, Der Friedländer als Kontrastfigur. Zur Sonderstellung Wallensteins in der protestantischen Historiographie des Alten Reichs, in: ders./Joachim Bahlcke (Hrsg.), Wallensteinbilder im Widerstreit. Eine historische Symbolfigur in Geschichtsschreibung und Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (Stuttgarter Historische Forschungen, 12), Köln/Weimar/Wien 2011, S. 27-50.
  • Ulrich Niggemann, Der Tod des Präsidenten. George Washington in der Funeralliteratur 1799 bis 1800, in: Christoph Kampmann / Martin Papenheim (Hrsg.), Der Tod des Herrschers. Aspekte der zeremoniellen und literarischen Verarbeitung des Todes politischer Führungsfiguren, Marburg 2009, S. 54-71 (URL: http://archiv.ub.uni-marburg.de/es/2009/0009/pdf/kpht.pdf).
  • Ulrich Niggemann, Normative Modelle für die amerikanische Präsidentschaft: George Washington in der Funeralliteratur von 1799 und 1800, in: Historisches Jahrbuch 129 (2009), S. 101-130.
  • Ulrich Niggemann, Wilhelm III. von Oranien (1650-1702). Protestantisches Kriegertum und Freiheit in den Debatten um die Glorious Revolution und den Spanischen Erbfolgekrieg, in: Leben in Leichenpredigten 09/2010, URL: http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/wilhelm-iii-von-oranien-1650-1702.html.
  • Ulrich Niggemann, Der mediale Umgang mit dem Tod eines umstrittenen Herrschers. Die Memoria Wilhelms III. zwischen "Glorious Revolution" und Hannoverscher Thronfolge, in: Christine Roll/Frank Pohle/Matthias Myrczek (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse, 1), Köln/Weimar/Wien 2010, S. 299-312.
  • Ulrich Niggemann, Ever Blessed Memory - Maria II. von England: Königin an der Seite Wilhelms III., in: Leben in Leichenpredigten 05/2011 (URL: http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/maria-ii-koenigin-von-england-1662-1694.html).
  • Ulrich Niggemann, Von einer Oppositionsfigur zum staatstragenden Modell: Cincinnatus in der anglo-amerikanischen Publizistik des 18. Jahrhunderts, in: Ulrich Niggemann/ Kai Ruffing (Hrsg.), Antike als Modell in Nordamerika? Konstruktion und Verargumentierung, 1763-1809 (Historische Zeitschrift; Beiheft 55), München 2011, S. 249-273.
  • Ulrich Niggemann, Divine Right, 'Courtly Reformation' or Contractarianism? Political and Theological Languages in the Funeral Sermons on King William III, in: Barok. Historia - Literatura - Sztuka 18,1 (35) (2011), S. 115-127.
  • Ulrich Niggemann, Herrschermemoria als Norm und Symbol: Zum Umgang mit der Erinnerung an Wilhelm III. im England des frühen 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 39 (2012), S. 1-36.
  • Kerstin Weiand, Der Tod des Kronprinzen. Eine politische Funktionsbestimmung der literarischen Reaktion auf den Tod Prince Henrys, 1612, in: Christoph Kampmann / Martin Papenheim (Hrsg.), Der Tod des Herrschers. Aspekte der zeremoniellen und literarischen Verarbeitung des Todes politischer Führungsfiguren, Marburg 2009, S. 54-71(URL: http://archiv.ub.uni-marburg.de/es/2009/0009/pdf/kpht.pdf).
  • Kerstin Weiand, Henry Frederick, Prince of Wales (1594-1612). »The Patterne of that Master-peece« - Der Tod des Thronfolgers und die Geburt eines Hoffnungsträgers, in: Leben in Leichenpredigten 08/2010, URL: http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/henry-frederick-prince-of-wales-1594-1612.html.
  • Kerstin Weiand, Der englische Regierungs- und Dynastiewechsel 1603 im Spiegel der Funeralschriften Elisabeths I., in: Christine Roll/Frank Pohle/Matthias Myrczek (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit-Impulse, 1), Köln/Weimar/Wien 2010, S. 271-290.
  • Kerstin Weiand, Elisabeth I. von England. Wandlungsprozesse eines ("Herrscher"-) Modells zwischen Integration und Polarisierung, in: Christoph Kampmann/Katharina Krause/Eva-Bettina Krems/Anuschka Tischer (Hrsg.), Neue Modelle im Alten Europa. Traditionsbruch und Innovation als Herausforderung in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 140-153.

 Publikationen aus dem Umfeld des Projekts: