22.10.2018 Schätze aus dem Marburger Lichtbildarchiv

Ein Grundstückstausch des Grafen Wilhelm II. von Jülich mit dem Kloster Füssenich
Marburg, LBA, Nr. 9409; Montage: Alexander Maul.
Graf Wilhelm II. von Jülich zeigt einen Tausch zwischen dem Kloster Füssenich und ihm selbst an; Bild: Marburg, LBA Nr. 9409.

Ein Grundstückstausch des Grafen Wilhelm II. von Jülich mit dem Kloster Füssenich

(von Yanick Strauch und Alexander Maul)

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Einleitung:

Während des Sommersemesters 2018 entstand am Institut für Mittelalterliche Geschichte die Idee, einzelne Urkundenabbildungen aus den Beständen des „Lichtbildarchivs älterer Originalurkunden bis 1250“ auf der Institutshomepage vorzustellen und zugleich darauf aufmerksam zu machen, welche Möglichkeiten diese einzigartige Sammlung bietet. Dieser Vorschlag wurde von Herrn PD Dr. Otfried Krafft sofort unterstützt, der im Rahmen seiner Professurvertretung auch die Leitung des Lichtbildarchivs innehat. In Zukunft sollen daher in unregelmäßigen Abständen „Schätze aus dem Marburger Lichtbildarchiv“ präsentiert und vorgestellt werden.

Den Auftakt bildet eine Urkunde des Grafen Wilhelm II. von Jülich († 1207) über einen Grundstückstausch mit dem Kloster Füssenich. Mit Wilhelm begann der Aufstieg der Grafen von Jülich, obgleich die Charakterisierung, die er durch Cäsarius von Heisterbach erfuhr, wenig schmeichelhaft erscheint (Dialogus Miraculorum 12,5): Demnach war Graf Wilhelm von gleicher Bosheit wie Kaiser Maxentius, weshalb sich beider Seelen gemeinsam in einem von schwefelgelben Flammen umgebenen Brunnen mit einem feurigen Deckel in der Hölle befänden. Wilhelm sei im Leben der Unzucht und Blutschande verfallen gewesen, habe seine Ehefrau eingesperrt und zu Zeiten des Thronstreits zwischen Staufern und Welfen Kirchengüter geplündert sowie Priester vertrieben und verstümmelt.

Dass die Wahl auf diese Urkunde fiel, ist zum Teil dem Zufall geschuldet. Ausgangspunkt war zunächst, dass ein Stück vorgestellt werden sollte, das bisher noch nicht gedruckt worden war. Erst im Verlauf der Arbeit zeigte sich, dass es bereits bei Thomas R. Kraus in seinen "Studien zur Entstehung der Landesherrschaft der Grafen von Jülich" ediert wurde, der Inhalt dort aber augenscheinlich nur wenig in die Ergebnisse einfloss. Unsere weitere Beschäftigung mit der Urkunde sowie die Vorstellung der Untersuchung resultieren nunmehr aus abweichenden Lesarten und einer intensiveren Bearbeitung des Stückes. Zugleich gilt es, darauf aufmerksam zu machen, dass das vorzustellende Stück eine der ältesten – vielleicht sogar die älteste – noch im Original erhaltene Urkunde eines Grafen von Jülich ist.

Edition:

Graf Wilhelm (II. ‚der Große‘) von Jülich zeigt einen Tausch zwischen dem Kloster Füssenich (Fusnich) und ihm selbst an; er übergibt (contradidi) ein Waldstück, das Hart genannt wird, das zwischen Thum (Tumba) und Froitzheim (Vrorzheim) gelegen ist, und erhält den Hof und die Wiese aus dem Besitz des Klosters Füssenich zu Bürvenich (Buruenich); er überträgt (concessi) weiterhin Land in der Nachbarschaft des Waldes an das Kloster zur Errichtung eines Walls (ualli), wobei sich der Graf die Vogteirechte vorbehält.

1200

Or. LAV NRW R, AA 0258 Füssenich, Urk. 8. (A)

Faks.: LBA Marburg 9409 [http://lba.hist.uni-marburg.de, am 5.6.2018]

Druck: Kraus, Jülich, Nr. I S. 258. (Kr.)

Das Original der fast quadratischen Urkunde misst ca. 250 mm x 230 mm (inklusive ca. 25mm Plica) und ist in 14 Zeilen von kräftiger Hand auf Pergament geschrieben. Die Gegenurkunde des Tausches, ausgestellt auf den Namen Abt Gottfrieds von Hamborn (Or.  LAV NRW R, AA 0258 Füssenich, Urk. 7), wurde durch denselben Schreiber mundiert. Bei der Schrift handelt es sich um eine Minuskel des ausgehenden 12. Jahrhunderts.

Dem Text ist in Anlehnung an zeitgenössische Diplome eine Invocatio vorangesetzt, was im 13. Jh. bei den Urkunden der Jülicher Grafen nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Eine Arenga fehlt. Gleiches gilt für eine Devotionsformel innerhalb der Intitulatio, welche vielleicht für Graf Wilhelm II. ‚den Großen‘ für das Ausstellungsjahr 1200 belegt sein könnte (siehe Kremer, Akademische Beiträge III, Nr. XLIII S. 67: Wilhelmus Dei gratia comes Juliacensis. Möglicherweise handelt es sich hier auch um Wilhelm III., da die fragliche Urkunde nur ungefähr in die Jahre 1200 bis 1218 datiert werden kann). In der Gegenurkunde findet sich dagegen eine ungewöhnliche Devotionsformel innerhalb der Intitulatio Abt Gottfrieds (dei paciencia); zugleich wird dem Titel Wilhelms ein auszeichnendes Epitheton angefügt: Wilhelmo nobili comite.

Die Datatio enthält die Angabe des Inkarnationsjahrs (1200) und einen Verweis auf den damaligen Kölner Erzbischof Adolf I. von Altena (1193‒1205, 1212‒1216), als dessen Parteigänger der Jülicher Graf gelten darf, dazu Kraus, Jülich, S. 61‒71. Die Angabe eines spezifischen Herrscherjahres fehlt. Im Jahr 1200 dürfte Wilhelm dem Lager des Welfen Otto angehangen haben, an dessen Krönung durch den genannten Erzbischof Adolf I. von Köln der Graf von Jülich am 12. Juli 1198 teilgenommen hatte. Nach den verschiedenen Rückschlägen Ottos IV. wechselte Graf Wilhelm II. von Jülich um den Jahresbeginn 1207 in das Lager des Staufers Philipp, bevor er am 1. November 1207 starb. Aufgrund seiner wechselnden Allianzen erschien Graf Wilhelm II. von Jülich als Zeuge innerhalb der Diplome Friedrich I., Heinrichs VI., Ottos IV. und Philipps von Schwaben.

Ein aufgedrücktes Siegel wird angekündigt, doch fehlt ein solches heute. Die Schnüre sind erhalten, die durch sechs Löcher in Urkunde und Plica gezogen sind. Die gleiche Siegelbefestigung findet sich analog in der Gegenurkunde.

Bei den genannten Orten handelt es sich um Thum, Froitzheim, Füssenich und Bürvenich, in den Gemeinden Kreuzau, Vettweiß und Zülpich. Das Hart genannte Waldstück, welches der Graf gegen den Hof zu Bürvenich eintauschte, dürfte sich, wenn man der Angabe folgt, es habe zwischen Thum und Froitzheim gelegen, etwa dort befunden haben, wo heute das südliche Ende der sogenannten Drover Heide gelegen ist. Der Besitz des Waldes Hart war Graf Wilhelm II. von Jülich wohl aus dem Erbe seines Schwiegervaters Graf Adalbert zugefallen, dazu Kraus, Jülich, 59f.

Bei den Zeugen handelt es sich um Abt Gottfried von Füssenich, den dortigen Prior Heinrich sowie zwei Geistliche der dortigen Kirche. Anschließend folgen weltliche Zeugen, an deren Beginn Everard von Heimbach steht, welcher der Schwager Graf Wilhelms II. von Jülich war. Auf Everard folgen seine beiden Söhne Wilhelm und Dietrich. Bei dem erstgenannten handelt es sich um den späteren Grafen Wilhelm III. von Jülich (1207‒1219). Bei den weiteren Zeugen könnte es sich um Ministeriale des Grafen von Jülich handeln. So dürfte es sich bei Arnold von Aue (Ovve) um einen frühen Vertreter der „in die Ministerialität übergetretenen Herren von Aue“ handeln, die in Niederau und Kreuzau beheimatet waren, Kraus, Jülich, S. 88. Interessanter ist der Name Christian von Binsfeld (Binzefelt), da sich die Herren von Binsfeld laut Meyer, Untersuchungen, S. 152 erst ab dem Jahr 1227 im Gefolge der Grafen von Jülich nachweisen lassen. Mit Christian von Binsfeld findet sich somit in der vorliegenden Urkunde bereits eine Generation früher ein Vertreter dieses Ministerialgeschlechts in der Umgebung des Grafen.

Der Text folgt A. Zeilenwechsel werden durch angezeigt; u/v werden wie in A wiedergegeben.

Text:

In nomine sanctę et indiuiduę trinitatis. Ego Wilhelmus Iuliaci comes notum facio omnibus ‖ tam presentibus quam futuris concambium, quod factum est inter me et ęcclesiam de Fusnich. Siquidem ‖ de libera uoluntate mea contradidi eidem ęcclesię nemus, quod Hart uocatur, quodque legitima ‖ successione ac possessione mei iuris erat, situm quoque est inter Tumbam et Vrorzheim[1], pro curia ‖ et predio, quod ipsa ęcclesia in Buruenich quiete iam pluribus annis possederat. Insuper eciam commodo ‖ et utilitati fratrum ac sororum in Fusnich commanencium prouidens et consulens, animę quoque meę re‖medium in hoc uigilanter attendens, concessi eis de predio meo tantum terrę contiguę circa nemus ‖ ipsum, ut habeant liberam facultatem exstruendi ualli ad siluę munimen, aduocacia mihi ‖ retenta. Ut autem hec inconuulsa permaneant, placuit ea scripto mandare et sigilli nostri ‖ inpressione communire, nomina quoque testium annotare: Godefridus Hauenburnensis ab‖bas, Heinricus prior, Heinricus et Arnoldus sacerdotes, Euerardus de Hengebach, Wilhelmus et Theodericus fi‖lii eius, Bertramus de Aldenhouen, Godefridus de Kerpene, Petrus et Herimannus Otthyr, Godefridus ‖ Ulinbusch[2], Arnoldus de Ovve[3], Christianus de Binzefelt, Peregrinus, Ingerammus et omnes fratres et sorores ‖ de Fusnich. Acta sunt hec anno dominice incarnacionis millesimo ducentesimo sub Adolfo Coloniensi archiepiscopo. Amen.

[1] Vroezheim, Kr.
[2] Ulmbusch, Kr.
[3] Owe, Kr.

Quelle:

  • Caesarius von Heisterbach, Dialogus Miraculorum / Dialog über die Wunder, Bd. 5, eingeleitet von Horst Schneider, übersetzt und kommentiert von Nikolaus Nösges und Horst Schneider (= Fontes Christiani 86/5), Turnhout 2009.

Literatur:

  • Kraus, Thomas R., Jülich, Aachen und das Reich. Studien zur Entstehung der Landesherrschaft der Grafen von Jülich bis zum Jahre 1328 (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen 5), Aachen 1987.
  • Kremer, Christoph Jakob, Akademische Beiträge zur Gülch- und Bergischen Geschichte, Bd. 3, Mannheim 1781.
  • Meyer, Gisela, Untersuchungen zu Herrschaft und Stand in der Grafschaft Jülich im 13. Jahrhundert, in: Herrschaft und Stand. Untersuchungen zur Sozialgeschichte im 13. Jahrhundert, hg. von Josef Fleckenstein (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 51), Göttingen 1977, S. 137-156.