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Hindemith über die Bemühungen der US-Militärregierung und seine eigene Kooperationsbereitschaft

Auf seine Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Militärregierung zurückblickend, äußerte sich Hindemith gegenüber deren »Erziehungsarbeit« sehr kritisch. Er bezeichnete die „von seiten der Besatzungsmacht geübte ausschließlich amtsmäßige, […] bürokratische Behandlung aller musikalischen Fragen“ (Quelle: „Hindemith in Germany“: Signatur 8/44-1/4 [OMGH E&CR/Theater and Music Branch] im Bestand der OMGUS-Akten, National Archives of the United States, Washington RG 260/OMGUS [auf Microfiche im Bestand des Hessischen Hauptstaatsarchivs, Wiesbaden/HHStAW; 649], S. 5) als störend, wenn sie auch im Hinblick auf Entnazifizierung, Lizenzvergabe und alle weiteren nicht unmittelbar zur Musikausübung gehörenden Angelegenheiten nötig gewesen sei. Durch die Instanzwege der US-Amerikaner wäre die für musikbezogene Entschlüsse so wichtige Unternehmungslust oft ausgebremst worden.

Foto: music.ed.ac.uk
Paul Hindemith und Benny Goodman 1947

Die Schwierigkeiten berücksichtigend, welche die Einstellung der Deutschen zur Musik bereitete, hob Hindemith das Engagement der Theater and Music Branch positiv hervor. Kritik übte der Komponist an der Tatsache, dass sowohl die US-Amerikaner als auch die Deutschen nur über mangelhafte Kenntnisse des jeweils anderen verfügten, was die deutschen Musiker und Musikfreunde einerseits und die hierarchischen US-amerikanischen Amtsstellen andererseits sowie die ihnen zuarbeitenden lokalen Musikreporter betreffe. Hindemith vermutete das eigentliche Problem nicht in den deutschen Ämtern der US-Militärregierung, sondern in Washington oder New York, da dort offensichtlich keine ausgeprägten Kenntnisse der deutschen Lebensverhältnisse und Denkweise vorhanden gewesen wären, und sich die betreffenden entscheidungsbefugten Personen scheinbar nach US-amerikanischen Gewohnheiten gerichtet hätten.

Über die Musikausbildung seines Heimatlandes sagte er, sie neige von jeher dazu, „die an der Musik Interessierten von der gottgewollten Überlegenheit aller deutschen Musikäußerungen zu überzeugen“. Musik anderer Nationen würde von vornherein nicht ernst genommen. Im Ausland tätige deutsche Musiker bezeichne man als »Unglückliche« oder »Abtrünnige«, die angeblich zurück nach Deutschland strebten. Nur ein fremdländisches »musikalisches Paradies« sei dazu im Stande, die Deutschen zu überzeugen; die USA wären allerdings von diesem »paradiesischen Zustand« weit entfernt. Die US-amerikanische Musik sei ganz einfach nicht alt genug, um im Sinne der Europäer mit deren Kulturgütern mithalten zu können.

Den psychologischen Grund für die Distanz zwischen den US-amerikanischen und den deutschen Wiederaufbaubestrebungen sah Hindemith darin begründet, dass die US-amerikanische Besatzungsmacht alle Möglichkeiten gehabt hatte, auf die Deutschen einzuwirken. Deutschland hätte zwar die volle Aktionsfreiheit für eigene Unternehmungen besessen, sei jedoch gegenüber den USA beinahe zur völligen Passivität verurteilt gewesen.

Die Auswahl US-amerikanischer Künstler, die für Konzerte nach Deutschland geschickt worden waren, fand allgemein Hindemiths Zustimmung. Als weniger positiv bewertete er dagegen die Propagierung US-amerikanischer Kompositionen, und dies trotz der nach dem Krieg eingerichteten Leihbibliothek, welche den deutschen Orchestern die Partituren US-amerikanischer Werke bereitstellte. Den Katalog der Leihbibliothek empfand er im Hinblick auf das US-amerikanische Musikleben als zu einseitig biographisch ausgerichtet. Anscheinend habe man das deutsche Publikum, welches zwischen »erhebender« und »unterhaltender Musik« unterscheide und für welches „ernste Musik ein Problem moralischer Anstrengung des Komponisten und ethischer Wirkung auf den Empfänger“ sei, unterschätzt. Wolle man die Deutschen beeindrucken, müsse man Stücke spielen, „die ihrer Art, Musik zu bewerten“ entgegenkämen, nicht aber solche, die gehobener, virtuoser Unterhaltung oder individualistischem Ausdruck zuzurechnen wären.

Nach Hindemiths Auffassung gab es in Deutschland „politisches Vorurteil, falschen Patriotismus, mißgeleitete Erziehung und kleinstaatliche Kurzsichtigkeit“, die der Einfuhr von US-amerikanischen Kulturgütern ablehnend gegenüber standen. Seine Aufmerksamkeit galt daher den jungen und jung gebliebenen Menschen, die Verständnis für kulturelle Austauschbestrebungen hatten und dazu bereit waren, aktiv an solchen teilzunehmen. Die Schulen nannte Hindemith als den idealen Ort »zur Entwicklung eines solchen kulturellen Austauschs«. Hindemith sprach sich jedoch gegen die weit verbreitete Form der kurzen Informationsreisen aus, da er diese als nicht geeignet hielt, um sich mit den Eigenarten eines Landes und seinen Erziehungsanstalten bekannt zu machen. Deshalb plädierte er hinsichtlich eines solchen Austausches für die Dauer von mindestens einem Studienjahr, gerade auch im Hinblick auf die Musik. Den deutschen Schulen dürften keine US-amerikanischen Methoden aufgezwungen werden. Dies gelte ebenso für die Überzeugung, dass die US-amerikanische Musik sowie die dafür zuständigen Institutionen und Lehrmethoden der deutschen Musik und ihren entsprechenden Einrichtungen und Ausbildungsformen überlegen seien. Die USA wären keineswegs besser, sondern einfach anders, da sie sich in einer anderen Umgebung entwickelt hätten.

Hindemith hielt Kritik und Verbesserungsvorschläge für angebracht, ohne deshalb die Bemühungen der US-Militärregierung abzulehnen. Ganz im Gegenteil: Er sprach den US-Amerikanern sein Lob aus, weil sie trotz vieler Enttäuschungen und häufiger Missdeutungen unvoreingenommen und unverdrossen an einer Aufgabe festgehalten hatten, die sie als richtig ansahen. Die Einstellung des »give him a chance« bezeichnete der Komponist als den Grundzug der gesamten US-amerikanischen Nation.

(Quelle: Paul Hindemith: "Bericht über meine Reise durch Deutschland". In: Aufsätze – Vorträge – Reden. hrsg. v. Giselher Schubert. Zürich; Mainz, 1994. S. 213-220)