20.09.2023 Klären, streiten, argumentieren auf akademischem Niveau

100 Jahre Sprechwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg

Studentin mit Kopfhörer vor einem Mikrofon und einem Laptop
Foto: Rolf K. Wegst
Sprechen als Mittel der Verständigung und Teilhabe nimmt die Sprechwissenschaft in Forschung, Lehre und Praxis in den Blick.

Die mündliche Kommunikation und ihre rhetorische Wirkung steht im Mittelpunkt des Studiengangs Sprechwissenschaft an der Universität Marburg, der im Oktober 2023 sein 100-jähriges Bestehen feiert. Bei der Fach-Tagung „Klären, Streiten, Argumentieren“ stehen aktuelle Perspektiven der Argumentationsforschung zur Debatte. Der öffentliche Festvortrag zum Jubiläum findet am Donnerstag, 5. Oktober 2023, von 19.30 bis 21 Uhr, in der Aula der Alten Universität, Lahntor 3, 35037 Marburg statt. Prof. Dr. Manfred Kienpointner von der Universität Innsbruck spricht unter dem Titel „Topoi der Freiheit. Argumentative Muster in Freiheitsdiskursen“ über eines der meistdiskutierten Konzepte des menschlichen Denkens. Wie unterschiedlich das Konzept der Freiheit verstanden und argumentativ genutzt wird, zeigt der renommierte Argumentationsforscher in seinem Festvortrag auf. Dabei erläutert er die diskursive Umsetzung unterschiedlicher Freiheitskonzepte in Reden von der Antike bis zur Gegenwart.

„Sprechen ist die Basis für Teilhabe und gesellschaftliche Interaktion. Das 100 Jahre alte Fach ist deshalb so zukunftsgewandt wie die Wissenschaft und Gesellschaft selbst“, betont Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss und gratuliert zum Jubiläum. „Wir sind stolz darauf, dass Marburg einer von zwei Universitätsstandorten in Deutschland ist, der zur Forschung und Lehre in diesem Fach beiträgt.“ Die Arbeitsgruppe Sprechwissenschaft am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität Marburg entwickelte sich aus dem Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde, dessen Anfänge bis ins Jahr 1920 zurückreichen. Die Schwerpunkte sind Rhetorik, Sprechkunst, Argumentations- und Gesprächsforschung. Das Fach nimmt damit einen zentralen Aspekt des öffentlichen und privaten Lebens in den Blick: Das Miteinander-Sprechen. Dabei geht es heute nicht mehr um die Schulung der Aussprache, vielmehr liegt der Fokus auf Verständigungsprozesse im Gespräch. Diese fachliche Ausrichtung bietet in alle gesellschaftlichen Bereich Anknüpfungspunkte.

„Sprechen scheint uns selbstverständlich, Verständigung im Miteinander-Sprechen ist es nicht. Unser Fach nimmt dies in Forschung, Lehre und Praxis in den Blick“, erklärt Prof. Dr. Kati Hannken-Illjes, seit 2013 Professorin für Sprechwissenschaft an der Philipps-Universität. Sie fasst das Fach unter die Begriffe „Mündlichkeit“ und „Stimmlichkeit“. Sprechwissenschaftler*innen in Marburger erforschen zum Beispiel, wie Beratungsgespräche in der Geburtshilfe verlaufen, was gutes Feedback auszeichnet oder wie Kindergartenkinder Gründe für ihr Handeln benennen und damit schon früh grundsätzliche Fähigkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe entwickeln. Formate für Wissenschaftskommunikation wie der Marburger Gesprächsgarten zeigen, welchen gesellschaftlichen Beitrag das Fach leisten kann.

Mit dem Masterstudiengang „Sprechwissenschaft und Phonetik“ werden die Studierenden Expert*innen für mündliche Rhetorik und Stimme. Neben dem forschenden Blick auf mündliche Rhetorik profitieren sie auch von der praxisnahen Vermittlung und Lehrtätigkeit. Das Fach hat aktuell rund 20 Studierende, die von der speziellen räumlichen Ausstattung profitieren: dem Seminarraum für Stimm- und Sprechtraining oder der Sprechkabine der Sprechwissenschaft für die Aufnahme von Podcasts. Schon die Studierenden sind mit ihrem Know-How gefragt: Sie vermitteln Schülerinnen und Schülern rhetorische Basiskompetenzen oder unterstützen als Sprechwissenschaftler*innen die Aussprachedatenbank der ARD, die Radio- und Fernsehjournalist*innen die richtige Betonung und Aussprache von Eigennamen und fremdsprachigen Begriffen zur Verfügung stellt. Absolventinnen und Absolventen führt ihr Karriereweg häufig in die Unternehmenskommunikation und ins Personalmanagement, in (Fort-)Bildungseinrichtungen, Moderationstätigkeiten, sie werden selbständige Kommunikationstrainer*innen, arbeiten an Schauspielschulen oder gehen in die Forschung.

Geschichte der Sprechwissenschaft in Marburg

Mit einem Lehrauftrag für Fritz Budde nahm alles seinen Anfang: im Wintersemester 1920 erhielt er einen Lehrauftrag als „Lektor für Vortragskunst“ woraus 1923 eine planmäßige Stelle wurde. In den 1930er Jahren folgte die Umbenennung der Stelle in „Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde“. Elisabeth Behagel übernahm 1945 die Lehrtätigkeit zu rhetorischen und sprechkünstlerischen Themen. Es folgte Christian Winkler, der 1950 das Lektorat übernahm und z.B. zur Intonation des Deutschen arbeitete. Sein Nachfolger Lothar Berger setzte ab 1969 neue Schwerpunkte und holte erstmals die Tagung der Fachgesellschaft DGSS (Deutsche Gesellschaft für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung) nach Marburg. 1972 wurde das Lektorat in „Abteilung für Sprechwissenschaft“ des Fachbereichs Allgemeine und Germanistische Linguistik und Philologie umbenannt. Christa Heilmann übernahm die Leitung die Abteilung Sprechwissenschaft 1990 und setzte Schwerpunkte in der Lehrkräftebildung und Gesprächsforschung. Seit 2013 vertritt Kati Hannken-Illjes als Professorin das Fach – im gleichen Jahr wurde die Abteilung in „Arbeitsgruppe Sprechwissenschaft“ umbenannt. Seit ihrer Wahl zur Vizepräsidentin für Bildung 2022 vertritt Cordula Schwarze die Professur.

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