19.09.2022 Gerd Hardach gestorben

Mitte September ist der Sozial- und Wirtschaftshistoriker Gerd Hardach gestorben. Er gehörte dem Fachbereich Geschichte von 1972 bis 2006 an und war weit darüber hinaus publizistisch tätig. Noch in diesem Jahr hat er ein Manuskript zu einem Buch mit dem Titel "Gegenwartsgeschichte der deutschen Wirtschaft" abgeschlossen. Dabei geht es um eine deutsch-deutsche Wirtschaftsgeschichte, und als Erscheinungsdatum ist der Nationalfeiertag am 3. Oktober 2022 vorgesehen. Gerd Hardach, der am 29.9.2022 Geburtstag hat und 81 Jahre alt geworden wäre, kann nun das fertige Produkt leider nicht mehr persönlich in Augenschein nehmen.

Der in Münster geborene Gerd Hardach hatte in Münster, an der FU Berlin und an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris studiert und wurde im Jahr 1968, quasi auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung im Jahr 1968, in Berlin mit einer Arbeit über die französische Arbeiterschaft in der Frühindustrialisierung promoviert. In Marburg erlebte er die Nachwehen von 1968, nicht zuletzt in Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über das Ende der Weimarer Republik und den Aufstieg des Nationalsozialismus. Diese Themen wurden nach dem Weggang Ernst Noltes nach Berlin zu Beginn der 70er Jahre publizistisch eher von den Politologen der Abendroth-Schule, insbesondre von Reinhard Kühnl, besetzt, mit dem Gerd Hardach auch zusammen publizierte, was wiederum in der historischen Fakultät nicht gern gesehen war. Die Nähe zu DKP nahen Wissenschaftlern hielt Gerd Hardach aber nicht davon ab, wenige Jahre später (1978) als Gründungsmitglied des Dogmenhistorischen Ausschusses des alterhrwürdigen „Verein für Socialpolitik“ zu fungieren. Insofern verbietet sich auch eine simplifizierende wissenschaftliche oder gar politische Einordnung von Gerd Hardachs Werk, der  bis zum Schluß  darum bemüht war, innovative Beiträge zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu verfassen. Und bis zum Schluß hat er uns auch immer ein Belegexemplar für die UB zukommen lassen.

Es ist bezeichnend und spricht für ein leidenschaftliches Forscherleben, dass Gerd Hardach weit über seine Pensionierung hinaus Aufsätze und Bücher verfasst hat und auch in größere wirtschaftshistorische Projekte eingebunden war. So etwa im Rahmen der unabhängigen Geschichtskommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundeswirtschaftsministeriums, zu dessen Publikation im Jahr 2016 er einen Beitrag über Wettbewerbspolitik beisteuerte. Als 2014 zahlreiche wirtschaftshistorische Publikationen zum 100jährigen Gedenken an den Ersten Weltkrieg erschienen, war Hardach mit zahlreichen Texten vertreten. Er konnte dabei an sein Buch aus dem Jahr 1973 anknüpfen, als er in einer im dtv Verlag erschienen Reihe, zusammen mit international renommierten Kollegen wie Charles P. Kindleberger und Alan S. Milward, eine Wirtschaftsgeschichte des Ersten Weltkriegs verfasste. Das Buch wird noch heute, fast 50 Jahre nach seinem Erscheinen, zitiert, ebenso wie Hardachs Geschichte des Marshall-Plans. Die enorme Breite seines Oeuvres umfasste auch sozialhistorische Arbeiten, etwa zur Geschichte der Kindheit im 18. und 19.Jahrhundert, die er mit seiner Frau, der Soziologin Irene Hardach Pinke verfasste, ebenso wie wirtschaftshistorische Texte zur globalen Wirtschaftsgeschichte, zu Finanzgeschichte, zur Geschichte der Wettbewerbs- und Ordnungspolitik sowie auch zur Dogmengeschichte.

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