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Sprache - Biomedizin - Bioethik

Aktuelle Projekte:

DFG-Forschungsgruppe "Kontroverse Diskurse" - Teilprojekt "Mensch und Technologie" (Link zur Forschungsgruppe)

Öffentliche politische Diskurse sind ein wesentliches Element demokratischer Gesellschaften und werden mit sprachlichen Mitteln geführt, Sprache ist genaugenommen das zentrale Mittel politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Sprachgeschichte und Zeitgeschichte hängen somit eng zusammen.
Die von der DFG geförderte Forschungsgruppe "Kontroverse Diskurse" (Sprecher: Prof. Martin Wengeler, Universität Trier) hat sich zum Ziel gesetzt, zentrale politische Diskurse und Debatten seit 1990 zu untersuchen und in einer sprachgeschichtlichen Gesamtübersicht darzustellen. Insgesamt befassen sich in einer ersten Phase (eine zweite Forschungsphase ist geplant) vier thematische Projekte mit öffentlich relevanten Diskursen zu den thematischen Spannungsfeldern „Partizipation und Egalität“ (Teilprojekt 1, Zürich/Genf), „Mensch und Technologie“ (Teilprojekt 2 Marburg/Darmstadt), „Individuum und Gesellschaft“ (Teilprojekt 3 Darmstadt/Kiel), „Freiheit und Sicherheit“ (Teilprojekt 4 Trier/Magdeburg), ein weiteres Projekt befasst sich mit der Entwicklung der Methode der kollaborativen Diskursanalyse.
Das Teilprojekt "Mensch und Technologie", das in der AG Pragmalinguistik am IGS der Philipps-Universität Marburg bearbeitet wird, befasst sich mit gesellschaftlichen und politischen Debatten, die den Einfluss technologischer Entwicklungen auf den im Kontext biotechnologischer und (bio)medizinischer Entwicklungen seit 1990 zum Gegenstand haben. Das Teilprojekt verfolgt drei große Ziele: Zum einen soll eine linguistische Diskursgeschichte des Verhältnisses von Mensch und Technologie im Hinblick auf die genannten Diskurse seit 1990 vorgelegt werden; es werden die sprachlichen Konstruktionen der Technisierung der Lebenswelt im Hinblick auf biomedizinische Technologien und deren ethische Implikationen in den Blick genommen. Das zweite Ziel des Projekts besteht darin, einen Beitrag zur Entwicklung kollaborativer korpuslinguistischer Methoden im Gesamtprojekt zu leisten, wobei die Analyse der lexikalischen, argumentativen sowie der Ebene der Sprechhandlungen in die Analyse der diskursiven Ebene mündet.
Grundlage bildet ein Textkorpus aus verschiedenen Textsorten zentraler, meinungsbildender Medien einerseits und aus Stellungnahmen relevanter Verbände (Ethikrat, Ethikkommissionen etc.) und politischer Parteien, Berichten über Kommissionsarbeiten politischer Parteien, Transkriptionen von Talkshows, Texten des Deutsches Ärzteblatts, Stellungnahmen relevanter Referenzzentren (DRZE), Dossiers der Bundeszentrale für politische Bildung und spezifischen Ausgaben der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte zu biomedizinischen und bioethischen Diskursen andererseits. Insbesondere werden Diskurse um Reproduktionstechnologien und den Umgang mit Embryonen, um Präimplantationsdiagnostik, vorgeburtliche genetische Bluttests, Keimbahneingriffe/ Keimbahntherapien, Schwangerschaftsabbruch, Stammzellenforschung, Sterbehilfe und Palliativmedizin sowie Transplantationsmedizin und Organspende in den Blick genommen. Im Hinblick auf die interpretativen Analysekategorien wird kollaborativ im Austausch mit den anderen Teilprojekten ein Tagset erarbeitet, das dann auf das gesamte Textkorpus angewendet wird.
Zum dritten umfasst das Projekt auch ein drittes, aufklärerischen Ziel. Dieses besteht darin, durch korpuslinguistische Analyse sprachliche Strukturen und Mechanismen der Diskursivierung und des Bedeutungswandels in biomedizinischen und -ethischen Diskursen (Förderphase 1) und in Diskursen über Digitalisierung (Förderphase 2) im Hinblick auf das Verhältnis von Mensch und Technologie offenzulegen und so nachvollziehbar zu machen.
Die Forschungsgruppe „Kontroverse Diskurse. Sprachgeschichte als Zeitgeschichte seit 1990“ ist ausgelegt auf zwei Förderphasen, wobei die Projekte der ersten Förderphase jeweils mit einem Projekt der zweiten Förderphase intensiv zusammenarbeiten. Das Teilprojekt „Mensch und Technologie“ bearbeitet in einer ersten Phase Bioethik- und (Bio)Medizindiskurse, in einer zweiten Phase ist geplant, Diskurse über Digitalisierung in den Blick zu nehmen. Insgesamt werden somit die Universitäten Darmstadt, Genf, Kiel, Marburg, Magdeburg, Trier und Zürich eng miteinander kooperieren. Die Förderung durch die DFG erfolgt zunächst für die erste Phase für den Zeitraum von vier Jahren.

Herausgabeprojekt zusammen mit Kati Hannken-Illjes: Themenheft der Zeitschrift OBST (Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie) 102:

Sprache – Wissen – Macht
Zur sprachlichen Konstitution (bio)medizinischer und bioethischer Kommunikation

Das Sprechen über (bio-)medizinische Zusammenhänge in Institutionen und im öffentlich-politischen Raum gehört zu den Alltagserfahrungen nahezu eines jeden Menschen. Bestimmt ist es durch die Bearbeitung von Wissensasymmetrien, ebenso wie die Aushandlung unterschiedlicher ethischer Bewertungen dieses Wissens.

Bei der Vermittlung von medizinischem Wissen, bei der Diskussion über biomedizinische Innovationen und bei der Entscheidungsfindung zu medizinischen Eingriffen und Therapien spielen neben medizinischen und naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten auch soziale, ethische, gesellschaftliche und politische Aspekte eine Rolle. Das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Akteur:innen mit ihren unterschiedlichen, teils auch kulturspezifisch geprägten Perspektiven stellt dadurch in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar: Zum einen treffen Ansprüche aus unterschiedlichen Wissensbereichen und -systemen aufeinander, so dass Wissensasymmetrien mehr oder weniger bewusst immer vorhanden sind und die Text- und Gesprächskonstitution bestimmen. Zum anderen treffen sehr unterschiedliche Wissensbereiche mit je unterschiedlichen Voraussetzungen, Vorannahmen und Grundüberzeugungen zusammen, so dass es aufgrund unterschiedlicher Interessenslagen und Machtkonstellationen zu Konflikten kommen kann.

Im Hinblick auf die Aushandlung von Wissen muss in verschiedene Formen von Wissen differenziert werden. Es stellt sich die Frage, welche Formen des Wissens in Gesprächen und in Diskursen relevant sind und bearbeitet werden und welche Wissensasymmetrien dabei zur Geltung kommen.  So haben die Gesprächsbeteiligten auf der Mikroebene oder die Diskursakteur:innen der Makroebene unterschiedlichen Zugriff und unterschiedliche Expertise in Bezug auf Wissen: Erkenntniswissen der Expert:innen und Erfahrungswissen der Betroffenen/Patient:innen (vgl. Graf / Spranz-Fogasy 2018, 425); deklaratives Wissen (knowing that) und prozedurales Wissen (knowing-how) bei Expert:innen und Betroffenen/Patient:innen sowie spezifisches Körperwissen bei Betroffenen/Patient:innen. Je nach Fokus sind diese Wissensformen mehr oder weniger stark institutionell gerahmt. Institutionelles Wissen liegt quer zu allen genannten Wissensformen und hat Auswirkungen auf die je spezifische Kommunikationssituation bei der Aushandlung von Wissen sowie der Bearbeitung von Wissensasymmetrien.

Die Aushandlung von Wissen und die Bearbeitung von Wissensasymmetrien wird u.a. durch das Einbringen von Geltungsansprüchen in interaktionalen Situationen auf der Mikroebene ebenso wie auf der Makroebene gesellschaftlicher oder politischer Diskurse realisiert, allerdings unter unterschiedlichen Bedingungen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Argumentieren. Zum einen werden mit dem Verfahren der Argumentation Gründe für strittige Sachverhalte ins Spiel gebracht, u.a. um zu überzeugen, um eine gemeinsame Wissensbasis herzustellen, aber auch um Divergenzen zu erzeugen oder hervorzuheben und Machtansprüche zu sichern. Während beispielsweise im öffentlich-politischen Raum unterschiedliche Interessen vor allem durch strittige Positionen zu (bio-)medizinischen Themen debattiert werden und damit ethische Aspekte in Form von expliziten Positionierungen sehr kontrovers verhandelt werden, werden auf der Mikroebene (beispielsweise im Arzt-Patient:innen Gespräch, in medizinischen Beratungsgesprächen) fachliche und ethische Positionen häufig als geteiltes Wissen vorausgesetzt und nur implizit behandelt, was insbesondere in der Arzt-Patienten-Kommunikation mit L2-Sprechern unterschiedlicher kultureller Herkunft und Sprachkenntnisse zu Verständnisproblemen führen kann. Wissensasymmetrien werden häufig implizit zur Geltung gebracht, es gibt aber auch Ansätze, vorhandene Wissensasymmetrien bewusst zu machen und Patient*innen in Entscheidungen mit einzubeziehen, indem über medizinische Sachverhalte und Zusammenhänge informiert und aufgeklärt wird.

Während die Linguistik auf einer Metaebene kommunikative Ereignisse, Diskurse und Situationen im Hinblick auf Gesprächsgestaltung, Bedeutungsaushandlung, Verständnissicherung, Argumentationsstrukturen, kommunikative Funktionen etc. beschreibt und dabei die verschiedenen sprachstrukturellen Ebenen in den Blick nimmt , stellt sich die Frage für die Ethik, die Medizin oder auch die Politik , wie in solchen Diskursen die Gesprächsziele erreicht, Interessen durchgesetzt oder zur Geltung gebracht werden und welche Rolle dabei ein bewusster Umgang mit Sprache und sprachlichen Herausforderungen spielt.

Das Themenheft möchte Sprache und Sprachgebrauch in verschiedenen (bio)medizinischen und bioethischen Kontexten ins Zentrum stellen, aus unterschiedlichen Perspektiven thematisieren und nach Möglichkeiten der interdisziplinären Bearbeitung von (bio)medizinischen und bioethischen Diskursen und Gesprächen  suchen. Dabei sollen auch kommunikative Gattungen in den Blick genommen werden, die bislang noch nicht so zahlreich untersucht worden sind wie z.B. die Schwangerenberatungsgespräche durch Hebammen, Gesundheitsforen und -blogs oder programmatische Texte von Interessensgruppen und Verbänden etc.

vergangene Veranstaltungen:

UMR-vernetzt Workshop ‚Sprache – (Bio)Medizin – Ethik‘ am 16.6.2021 

Der Arbeitsbereich Sprache – Biomedizin – Bioethik befasst sich mit dem Sprachgebrauch innerhalb biomedizinischer und bioethischer Diskurse, die in unserer Gesellschaft allgegenwärtig sind. Die gesellschaftliche und politische Thematisierung biomedizinischer Innovationen und der sich daran anschließenden ethischen Fragen finden dabei in einem Wechselspiel zwischen technologischer Innovation und gesellschaftlicher Legitimation statt. Das Wechselspiel manifestiert sich in sozialen Deutungsprozessen und zeitigt Auswirkungen auf die menschliche Selbstwahrnehmung einerseits und das menschliche Selbstverständnis andererseits.

Technologische Innovationen werden vor allem immer dann öffentlich relevant und brisant diskutiert, wenn sie grundlegende Fragen des menschlichen Daseins berühren, wenn sie gravierende Folgen für den Menschen haben oder wenn sie normative Fragen des Umgangs mit menschlichem Leben umfassen.  Solche Diskurse stellen zentrale Konfliktfelder im öffentlich-politischen Kommunikationsbereich dar, die nicht zuletzt aus unterschiedlichen lebensweltlichen Perspektiven resultieren. Technische Innovationen werden dabei mit Fortschritt bzw. einem Wandel zum Besseren oder mit Optimierung vorhandener Technologien, aber auch mit Gefahren und Grenzüberschreibungen in Verbindung gebracht.

Die Brisanz und Konfliktträchtigkeit der mit den technologischen Innovationen verbundenen ethischen Fragestellungen wird dabei in medialen Diskursen sprachlich verhandelt und konstruiert, was sich in der Verwendung verschiedener sprachlicher Strategien niederschlägt. So werden mit der Wahl bestimmter Ausdrücke moralische Urteile impliziert, Wertungen vollzogen und Positionierungen im Feld des Diskurses vorgenommen. Ob die befruchtete Eizelle als Embryo, menschliches Leben oder himbeerähnlicher Zellklumpen bezeichnet wird, wie der Lebensbeginn oder das Lebensende definiert werden, hängt somit mit der Position im Diskurs und der lebensweltlichen Verortung der Diskursakteur:innen eng zusammen.

Themen im Bereich Sprache – Biomedizin – Bioethik:

  • Umgang mit Embryonen
  • Reproduktionstechnologien (verschiedene Formen künstlicher Befruchtung)
  • Präimplantationsdiagnostik
  • Pränataldiagnostik
  • Keimbahneingriffe/Keimbahntherapie
  • vorgeburtliche genetische Bluttests
  • adulte und embryonale Stammzellforschung
  • Transplantationsmedizin und Organspende
  • Sterbehilfe und Pallativmedizin