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Was ist der Gesprächsgarten?

Der Gesprächsgarten ist ein neues Format der Wissenschaftskommunikation: In einer Open-Air-Audio-Ausstellung im Alten Botanischen Garten Marburg sind Besucher/innen eingeladen, sich entschleunigt im Diskurs zur Corona-Krise zu bewegen. Der Garten ist unterteilt in vier Bereiche: "sich orientieren", "erzählen", "argumentieren", "verhandeln". Aus sprechwissenschaftlicher Perspektive kommt so zunächst in den Blick, wie wir uns als sprechende, kooperierende Menschen verständigen. Auf vier Wandertafeln, zehn Pulten, und über QR-Codes an Bäumen sind Hörstücke zugänglich.  Seit dem Frühjahr 2021 sind die ersten Hörstücke online, hier der direkte Link zu den Hörstücken auf der Ilias-Plattform der Universität. Das Projekt wächst stetig über das Jahr 2021.

Aktuelles: Das Gespräch ist ausgesät! Seit dem Frühjahr 2021 finden Sie im Alten Botanischen Garten Marburg Wandertafeln und die Pulte, die sich nun mit Inhalten füllen. Entdecken Sie auch die Fragen, die aufgehängt sind und zum Gespräch einladen, z.B. "Welche Worte kannten wir vor 2020 nicht?" "Wie und was werden wir uns in 20 Jahren über die Jahr 2020/2021 erzählen?"  Wer will, kann unter der Nummer 06421 - 28 28 028 seine Gedanken teilen (die dann auch als Audio hinter einem QR Code zu finden) veröffentlicht werden. Wir laden zur individuellen Erkundung ein! Es funktioniert etwas technisch nicht? Wir bitten um Nachsicht - es ist ja wie im echten Leben: Wir lernen mit dem Projekt ständig dazu.

Einen ganz besonderen Dank möchten wir an dieser Stelle dem Gärtnerei-Team vom Alten Botanischen Garten, den Werkstätten der Universität und der Verwaltung für die tatkräftige und freundliche Unterstützung aussprechen!!!

Zum Hintergrund: Das Projekt erprobt ein neues Format der (künstlerischen) Wissenschaftskommunikation.
Es entstand dank einer Förderung des „Kleinen Faches“ Sprechwissenschaft im Rahmen des Wettbewerbs "Kleine Fächer: sichtbar innovativ!" der Stiftung der Hochschulrektorenkonferenz. Die Sprechwissenschaft forscht u.a. zu Rhetorik, sie fragt nach gelingenden Gesprächen und betrachtet die Körperlichkeit des Sprechens. Anlass für uns danach zu fragen, was der Beitrag der Sprechwissenschaft für die Gesellschaft in den sichtbaren Herausforderungen für Kommunikation in der Corona-Krise sein könnte.

Diesen Impuls hat auch die Stadt Marburg mit einer kleinen Projektförderung aus dem Programm "Dialog und Vielfalt" aufgegriffen und beteiligt sich insbesondere mit Vermittlungsformaten und dem Thema "demokratisch kommunizieren".

Erfahren Sie hier Details zum Konzept - zu den Audioinhalten gelangen Sie über den Link oben. Am besten ist es natürlich, direkt den Alten Botanischen Garten in Marburg zu besuchen und mal auszuprobieren, durch eine Mind-Map des Diskurses (besser: der vielen Diskurse) zu gehen. Naja, eine Mind-Map oder visuelle Argumentationsanalyse begehbar zu machen wäre ein großes Ziel. Verständigung gelingt besser, wenn die Dinge verständlich werden. Das ist eine lohnenswerte Herausforderung! Wir bieten hier einen ersten Ansatz, indem wir die Tätigkeiten sprechender Menschen unterteilen in "erzählen", "argumentieren", "sich orientieren" und "verhandeln".

Willkommen im Gesprächsgarten!

Wir laden ein zum Lauschen, Verweilen und Mitreden – zum Thema, das derzeit alles dominiert: der Corona-Krise. Kleine Hörstücke, die Sie frei wählen können, geben Zwischentönen Raum und helfen, den Diskurs zu ordnen.

Die Herausforderung: Meinungen, Einschätzungen, Unsicherheiten, Fake und Framing – die Corona-Krise zeigt, dass gute Kommunikation keine Selbstverständlichkeit ist, sei es im privaten Bereich, in der Politik und für die Wissenschaften. Wie können wir differenziert mit der Komplexität, mit Wissensdifferenzen und Unwissen, Emotionen und Bedürfnissen umgehen und dabei Demokratie leben? Wie kann man gelingend im Gespräch bleiben und sich über Werte, gemeinsame Handlungen verständigen – auch unter existenziellem (Zeit)Druck?

Die Idee: Mit diesem Gesprächsgarten möchten wir einen Zugang zur Komplexität des Diskurses geben, in dem wir ihn ganz grundsätzlich nach den Tätigkeiten ordnen, die wir als sprechende Menschen ausführen: sich orientieren, erzählen, argumentieren, verhandeln. Der Alte Botanische Garten ist unterteilt in diese vier großen Bereiche. An verschiedenen Stationen finden Sie Audioangebote. Damit Sie wissen, was Sie inhaltlich und stilistisch erwartet, haben wir diese nach Kategorien geordnet, wie z.B. „Wissenswertes“ oder „Zuhören“. Zugänglich über die QR-Codes hören Sie z.B. Auszüge aus ca. 40 Gesprächen, die wir im Zeitraum 09/2020 - 03/2021 geführt haben – weitere kommen über den Sommer hinzu. Und auch Sie sind eingeladen, sich zu Wort zu melden. Es sind Stimmen aus der Marburger Stadtgesellschaft und Wissenschaft zu Erfahrungen und besonderen Perspektiven. Hinzu kommen weitere Stimmen von Wissenschaftler*innen zu den Themen des Gesprächsgartens.

Bereich "sich orientieren"

Überfordert von der Informationsflut, verloren zwischen Wissen, Vagheit, Ambivalenzen und vielen Meinungen? So mag sich manch eine/r zurzeit fühlen. Wie kann man sich da orientieren? Bevor wir uns sprechend zu Wort melden, schätzen wir – für uns selbst meist unbemerkt – die Situation ein, wir orientieren uns: Worum geht es? Wer spricht? Ist es angebracht sich zu äußern? Welche Motivation und welche Dringlichkeit habe ich, mich zu äußern? Als sprechende Menschen begeben wir uns in eine soziale Situation und sind Teil eines Diskurses. Diskurs (lat. ursprünglich ‚umherlaufen‘) ist die sprachliche erzeugte Realität und umfasst auch die Aspekte Geschichte, Subjekt (der/die Einzelne) und Macht. Manche Theorien betonen, dass Diskurse eng an Argumentation gebunden sind und damit eine kommunikative Rationalität beschreiben. Andere fragen, wie bei einer Unmöglichkeit zwischen verschiedenen Diskursen zu argumentieren, trotzdem Verständigung erreicht werden kann. Im Orientieren vergewissern wir uns, wo wir stehen und richten uns aus für die Frage, wo und wie es weitergehen soll. Es ist ein Innehalten.

Im Bereich „sich orientieren“ finden Sie zwei feste Stationen. Pult 5 behandelt die Frage „Wem Gehör schenken?“ – denn wir schreiben Macht auch durch Anerkennung im Zuhören zu. Pult 4 behandelt die Frage „Wie bewältigen Gesellschaften Krisen?“ Was wissen verschiedene Wissenschaften mit Perspektive auf vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Gesellschaften über deren Umgang mit Krisen? Zu Gast ist hier ein weiteres durch die HRK gefördertes Projekt des Wettbewerbs „Kleine Fächer: sichtbar innovativ!“, der „Interdisziplinäre Krisengipfel“ – aus dem Fachbereich 10 (Theresa Roth).

Bereich "erzählen"

Wir sind erzählende Wesen: Im Erzählen teilen wir uns einander mit und geben Geschehnissen einen Sinn. Die Inhalte einer Erzählung lassen Gefühle und Perspektiven sichtbar werden. In diesem Bereich finden Sie Mitteilungen, Sinndeutungen und Perspektiven, die manchmal zu einer ganzen Erzählung werden.  Erzählen gibt Zugriff auf Vergangenes und Erlebtes und kann es denen vor Augen führen, die nicht dabei waren. Erzählen erzeugt aber nicht nur individuelle Identität, wenn die eigene Biographie gerahmt wird, sondern auch kollektive Identität, wenn wir uns unsere Geschichte erzählen oder in Gruppen die gleiche Geschichte immer wieder erzählt wird. Erzählen kann schließlich auch genutzt werden, um andere zu überzeugen. Jede Erzählung beinhaltet einen Anfang, eine Mitte und ein Ende und in jeder Erzählung findet eine Veränderung statt. Diese Veränderung kann klein oder radikal sein. Doch dadurch, dass sie erzählt wird, wird sie als bedeutsam markiert. So gilt es zunächst, das Bedeutsame herauszufinden. Welche Eindrücke, Erlebnisse und Perspektiven bietet uns das letzte Jahr?

Formen des Erzählens finden sich auf verschiedenen Ebenen: Als große abstrakte Erzählungen und kleine Erzählungen von Erlebnissen und Widerfahrnissen. Für den öffentlichen Diskurs spielen sowohl die großen als auch die kleinen Erzählungen eine Rolle. Wenn wir auch den kleinen zuhören, bietet sich vielleicht ein Zugang zum Erleben der anderen.

Unter dem Titel „Es war einmal ...es wird einmal gewesen sein“ sind an Pult 9 Episoden von Marburger*innen aus dem letzten Jahr zu hören, Pult 10 lädt unter dem Titel „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ ein, zuzuhören, wie andere die Corona-Krise wahrnehmen. Sie finden in diesem Bereich auch Gelegenheit Ihre Geschichte zu erzählen.

Bereich "argumentieren"

Gründe suchen, geben, nehmen, austauschen, abwägen, einfordern, prüfen, zurückziehen… Das alles tun wir, wenn wir argumentieren.

Argumentieren heißt, Gründe vorzubringen und auszutauschen, um (potenziell) Strittigem Geltung zu verschaffen. Jemand fragt „Warum?“ - dann muss eine Begründung formuliert werden. Oder aber man führt einen Grund an, um die Gültigkeit der eigenen Behauptung zu verstärken. Wer argumentiert stützt so eine Aussage durch eine andere. Dabei nutzt Argumentation aber auch immer das, was allgemein gilt, und bezieht sich auf einen common ground. So hat Argumentation immer mindestens zwei Funktionen: Dissens zu bearbeiten und Geltung herzustellen.  Argumentieren kann aber, je nach Situation, auch noch andere Funktionen haben: Probleme lösen, Konsens finden, Dissens schärfen, am eigenen oder dem Image der anderen arbeiten.

Argumentieren ist ein zentrales Mittel, um im gesellschaftlichen Miteinander zu Positionierungen und zu Entscheidungen zu kommen. Doch das ist nicht leicht: Zunächst sind konkrete Streitfragen zu identifizieren, die dann einer Pro- und Contra-Argumentation gestellt werden. Debatten werden schnell sehr komplex. Zudem ist Argumentation eines gesellschaftlichen Bereiches (z.B. Recht) nicht in einen anderen Bereich (z.B. Religion) überführbar. Dennoch: Eine Entscheidung muss begründbar sein und die Gründe müssen geprüft und abgewogen werden können. Grundlage dafür ist ein common ground, eine gemeinsame Basis, die vielleicht auch im Gespräch selbst entsteht.  In diesem Bereich finden Sie ab Mai Pult 2 zu Aspekten des Argumentierens sowie Pult 3 zu Debatten und ihren Visualisierungen. Pult 1 reflektiert allgemein „Das Wagnis Öffentlichkeit: zwischen Schweigen und Sprechen“.

Bereich "verhandeln"

Verhandeln, aushandeln, Lösungen finden. Wir verhandeln miteinander, was gelten soll, wie entschieden werden soll, aber auch wie wir miteinander sprechen wollen. Wer miteinander etwas verhandelt, hat zugleich unterschiedliche und gemeinsame Interessen. Einerseits will man Unterschiedliches - sonst gäbe es nichts, das verhandelt werden müsste, andererseits hat man gemeinsame Interessen, sonst würde keine Verhandlung notwendig sein und die Wege könnten sich trennen. Wer miteinander verhandelt, ist aller Unterschiede zum Trotz miteinander verbunden.

Was bestimmt gutes, produktives Verhandeln? In fast allen Ansätzen werden zwei Aspekte als zentral bestimmt: Trennen Sie das Problem und die Person. Eine Verhandlung, die sich auf das Problem konzentriert, verändert den Blick: Alle Beteiligten können gemeinsam das Problem in den Blick nehmen und wahren ihre Integrität und die Integrität der anderen. Also keine Angriffe auf die Person, sondern Diskussion über das Problem und das klar und bestimmt.

Konzentrieren Sie sich auf die Interessen der Beteiligten, nicht auf die Positionen. Es mögen sehr unterschiedliche und gegenläufige Positionen bestehen, die interessanten Fragen sind aber: Woraus speisen sich diese Positionen, warum ist diese Position für das Gegenüber wichtig, mit welchem Interesse korrespondiert diese Position? Dazu müssen wir begründen, warum wir eine bestimmte Position vertreten und/ oder erzählen, wie wir zu der Position kommen. Überraschend häufig sind die Interessen von vermeintlichen Gegnern sehr ähnlich. Und allein diese Feststellung kann uns miteinander im Gespräch halten.

Sie finden in diesem Bereich Grundlegendes zu demokratischer Kommunikation (ab Mai: Pult 6), Einsichten aus Sprechwissenschaft und Rhetorik zur Frage „Wir müssen reden – aber wie?“ (Pult 7) sowie Einblick in die „Wissenschaftsrhetorik“ (Pult 8).

zwei besondere Pulte ...

Ist Ihnen aufgefallen, dass zwei Pulte mit allen Farben markiert sind? Es handelt sich um zwei übergreifende Themen. Dass Sie dort stehen, wo sie stehen, hat mit den besonderen Orten zu tun: Die individuelle Perspektive an Pult 1 - der Ort lädt zur intimen Besinnung ein zum "Wagnis Öffentlichkeit: zwischen sprechen und schweigen". An Pult 8 "Wissenschaftskommunikation/ Wissenschaftsrhetorik" kommt vorbei, wer aus Richtung der Uni-Bibliothek in den Garten geht, sinnbildlich geht man hier schon den Weg transdisziplinärer Vermittlung.

und noch zwei Fragen

Wenn nun im Alten Botanischen Garten "ein Gespräch ausgesät" wird und sozusagen vor Ort und virtuell ein Debattenraum abgebildet ist, in welchem das Gespräch über den Sommer wachsen darf - was liegt dann außerhalb? Was in der Mitte, was ist der Bereich des kleinen Sees? Fragen über Fragen! Genießen Sie einfach den wunderschönen Alten Botanischen Garten zur Frühlingszeit!

Mitmachen!

Seit dem 1. April finden Sie schon einige Fragen, die zum Mitmachen auffordern:

Wie und was werden wir uns in 20, 30, 40 Jahren über die Corona-Krise und die Jahre 2020/2021 erzählen?

Welche Worte kannten wir vor Anfang 2020 noch nicht?

und andere ...

Beteiligen Sie sich mit Ihrer Stimme am Gespräch! Teilen Sie Ihre Gedanken, diese werden dann - mit Ihrem Einveständnis - ebenso im Gesprächsgarten als Audio, das hinter einem QR Code zugänglich sein wird, veröffentlicht.

06421 - 28 28 028

Noch mehr Mitmachen!

Unter der Kategorie "Gastbeiträge" können Schulen, Initiativen und auch Einzelpersonen u.a. selbst Beiträge veröffentlichen. Ein Podcastprojekt des Stadtteilzentrums? Ein Chor, der auf diese Weise wieder auftreten möchte? Ein literarisches Werk zum Thema, das Sie hier zu Gehör bringen wollen? Reichen Sie Ihre Beiträge ein: eva.gauss@uni-marburg.de

Förderung

Das Projekt "Der Gesprächsgarten" wurde im Wettberwerb "Kleine Fächer: sichtbar innovativ!" der Stiftung der Hochschulrektorenkonferenz gefördert. Die Stadt Marburg engagiert sich mit eine PRojektförderung für die Pulte 3 "Debatte" und 6 "demokratische Kommunikation" sowie für die Vermittlungsarbeit / Partizipation in die Stadt hinein aus dem Programm Demokratie und Vielfalt. Unterstützung in der Startphase gab es aus dem Programm UMR2027.

Danke!