23.07.2025 Vom Ruder-Anfängerkurs zu den World University Games in 15 Wochen

Studienheim Edersee, 06.04.2025, 20:00 Uhr:
„Morgen früh starten wir um 6:00 Uhr mit der ersten Trainingseinheit!“. Die Kennenlern-Gespräche verstummen, ungläubige Blicke richten sich zum Trainer-Team. Kurzzeitig scheint eine Meuterei in der Luft zu liegen, bevor klar wird, dass diese Ansage ernst gemeint ist.

Knapp 20 Studierende der Uni Marburg haben sich in der vorlesungsfreien Zeit am Edersee zusammengefunden, um einen Ruder-Intensivkurs zu belegen. Organisiert durch das Zentrum für Hochschulsport und das Marburger Uni-Team, soll der (nach subjektivem Empfinden) „schönste Sport der Welt“ beigebracht werden. Das Uni-Team hat Bootsmaterial aus Marburg zum Sport- und Studienheim der Uni gebracht, Essenspläne für die insgesamt knapp 30-köpfige Gruppe erstellt und sich einen Trainingsplan überlegt, um in nur einer Woche die Grundlagen des leistungsorientierten Ruderns zu vermitteln.
Das Marburger Hochschulrudern kümmert sich seit über 20 Jahren darum, Studierenden an der Universität das Rudern beizubringen. Gemeinsam mit Anfängern und Fortgeschrittenen trainiert das Uni-Team Jahr für Jahr für die Deutsche Hochschulmeisterschaft. Dort finden nicht nur Meisterschaftsrennen statt, die Anfängerinnen und Anfänger – genannt „Novizen“ – bekommen dort die Chance, in geschützten Wettkämpfen deutschlandweit gegen andere Universitäten anzutreten.

Edersee, 07.04.2025, 6:00 Uhr
bei 2°C blickt das Trainer-Team in müde und verfrorene Gesichter. Gemeinsam werden die Gig-Boote zu Wasser gelassen und Skulls eingelegt. Am Vortag wurden die technischen Grundlagen erklärt, die trotz der frühen Stunde bereits erinnert und umgesetzt werden. „Mannschaft fertig zum Ablegen – legt ab!“ Nach 90 Minuten Training sind die Gesichter zwar immer noch verfroren, aber die Augen sind wach und zufrieden. Im Gemeinschaftsraum duftet es nach Kaffee und Brötchen. Bis zum Abend stehen noch zwei weitere Rudereinheiten auf dem Plan. Beim gemeinsamen Abendessen um 20:00 Uhr wird der Plan für den nächsten Tag verkündet: die erste Rudereinheit startet um 6:00 Uhr…

Die nächsten Tage sind abwechslungsreich mit Theorie und Praxis des Wettkampfruderns gefüllt: Mannschaftstraining in 4er Gig-Booten, erste Kleinbooteinheiten im Skiff und Technikoptimierung auf dem Ruderergometer – die Studierenden lernen das umfangreiche Portfolio des Ruderns kennen. Und das Glück mit dem Wetter beschert der Gruppe jeden Tag Rudern im Sonnenaufgang.
Edersee, 10.04.2025, 11:00 Uhr:
drei Gig-Boote liegen aufgereiht auf dem Edersee an einer virtuellen Startlinie, die Blicke sind konzentriert nach vorne gerichtet. „Zwei Minuten!“ schallt es über den See. „Achtung – LOS!“. Die Boote setzen sich in Bewegung, nach nur einer Woche Rudertraining rudern die Studierenden das erste Mal eine Strecke von 500 m auf Zeit. Die Distanz, die ein paar Monate später bei der Hochschulmeisterschaft auf dem Programm stehen wird.
Eine Woche Rudern haben Spuren bei den Studierenden hinterlassen: neben Blasen an den Händen und schmerzenden Muskeln haben die eingestreuten Geschichten von Hochschulmeisterschaften, Teamgeist und Freundschaften dazu geführt, dass der Abschluss des Kurses als Einstieg in das Marburger Uni-Team genutzt wird. „Wenn ihr euch dazu entscheidet, mit uns gemeinsam weiter zu rudern, fahren wir in 3 Monaten gemeinsam zur Hochschulmeisterschaft!“
„Der Intensivkurs hat Bock aufs Rudern gemacht. Im Vergleich zu z.B. Fußball ist das Rudern ein deutlicher Kontrast: wo sonst findet man eine Sportart mit einer gleichzeitig komplexen wie auch monotonen Bewegung? Hierdurch wird zwischendurch ein Flow-Zustand erreicht, den ich bei anderen Sportarten nicht erreicht habe. Zusätzlich sind Rückenverspannungen und Schulterschmerzen durch das Rudern komplett verschwunden. Mir gefällt es, dass es ein verletzungsarmer Sport ist, der viele Körperpartien beansprucht. Außerdem ist der Mix an Teamsport & Individualität toll. Das Hochschulrudern in Marburg ist niederschwellig und die Leute sind nett.“ (Bianca)
„Vor dem Ruderintensivkurs am Edersee wussten wir nicht, worauf wir uns da eigentlich eingelassen haben. Dass wir um 5:39 Uhr Aufstehen müssen, damit hatten wir nicht gerechnet. Nach dem ersten Tag war klar, dass wir uns für eine Zeit mit wenig Schlaf, schmerzenden und blutigen Händen, viel Anstrengung und Muskelkater angemeldet hatten. Damit einhergehend aber auch für Gemeinschaft, Spaß und viel Gelächter, Kochpartys, viele Doppelkekse und Erdnussmus und Sonnenaufgängen auf dem Wasser. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass die Anmeldung zu diesem Intensivkurs im Kennen- und Liebenlernen einer neuen Sportart und damit einer neuen Leidenschaft und vieler neuen toller Menschen mündet.“ (Jana & Sarah)
World University Games – ist das euer Ernst?
Der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (adh) organisiert das studentische Wettkampfrudern in Deutschland und damit u.a. die Deutsche Hochschulmeisterschaft (DHM). Durch die Förderung des wettkampforientierten Nachwuchsruderns wird jungen Studierende die Option eines Quereinstiegs ins professionelle Leistungsrudern aufgezeigt. In 2025 findet in Deutschland eines der größten weltweiten Multisportevents statt: die World University Games (letztlich die Olympiade für Studierende, WUG). Daher war es dem Team der Disziplin-Chefs Rudern des adh wichtig, die Bühne dieser internationalen Veranstaltung zu nutzen, um Werbung für das Novice-Rudern zu machen. Das Ergebnis: 12 Novice-Teams dürfen bei den Ruderwettkämpfen der studentischen Olympiade in Duisburg gegeneinander antreten. Qualifizieren werden sich die 12 schnellsten Mixed-Mannschaften bei der DHM in Krefeld.
Marburger Ruderverein, 28.05.2025, 19:00 Uhr:
Start ins zweite Trainingslager! Mit dabei: 12 Studierende, die erst vor 2 Monaten das Rudern gelernt haben. Sie sind mittlerweile fest im Marburger Uni-Team integriert. Sie sind begeistert vom Rudern und werden in etwa einem Monat bei der DHM 2025 an den Start gehen. Feste Boots-Besatzungen wurden festgelegt, im zweiten Trainingslager werden die Teams zusammengeschweißt und noch einmal intensiv trainiert.
Zwei Boote mit insgesamt 8 Studierenden sind vom Trainer-Team als Mixed-Mannschaften zusammengestellt worden. In einer Teambesprechung wird ihnen erklärt, was das in diesem Jahr bedeutet: „Wir trainieren hier, um euch bei der Hochschulmeisterschaft unter die schnellsten 12 Boote zu bringen – und dann fahren wir gemeinsam zur WUG!“
“Im ersten Moment dachten wir uns: wow, wie cool wäre das denn? Nach längerem drüber nachdenken kamen natürlich auch Zweifel. Wie gut sind die anderen Mannschaften? Reicht die Zeit? Sind wir gut genug? Wir haben in kurzer Zeit auf jeden Fall eine Achterbahn von Gefühlen durchlebt. Auf einem so großen Event vor großem internationalem Publikum antreten zu dürfen wäre einmalig! Wir waren gespannt, was die nächsten Wochen mit sich bringen, die Motivation und die Vorfreude waren auf alle Fälle riesig!“ (Johanna & Isa)
Vor zwei Monaten saßen die Studierenden zum ersten Mal in einem Ruderboot. Jetzt wird, wie selbstverständlich, am Marburger Ruderverein trainiert. Noch sind Hochschulmeisterschaft und World University Games eine aufregende Erzählung des Uni-Teams, die aber immer näher rückt.

Gießen, 07.06.2025:
„Marburg – zwei Minuten!“ schallt es aus den Schiedsrichterbooten auf der Gießener Pfingstregatta. Die Studierenden richten ihren Blick konzentriert nach vorne – der Puls ist jedoch deutlich höher als noch am Edersee. Auf ihrer ersten Regatta zeigen die Marburger Boote, was sie in kurzer Zeit gelernt haben. „Achtung – LOS!“ Es sind jetzt noch 4 Wochen bis zur Deutschen Hochschulmeisterschaft…

Krefeld, 06.07.2025, 8:03 Uhr:
beide Marburger Boote haben sich am Vorabend beim Start der DHM für das anstehende Viertelfinale qualifiziert. Die ersten drei Boote werden das Halbfinale erreichen und sind damit bei der WUG dabei. Am Uferrand steht das gesamte Marburger Team und wartet auf den Start. 6 Boote liegen aufgereiht am Start, neben Marburg warten die Unis aus Köln, Heidelberg, Kiel und Leipzig auf das Startsignal. „Achtung – LOS!“ Bug an Bug schieben sich die Boote auf dem Elfrather See in Richtung Ziel. Nach schnellen Startschlägen liegen die Marburger Boote im Mittelfeld und finden ihren Rhythmus. Nach 450 Metern liegen die beiden Teams aus Marburg gemeinsam mit Heidelberg und Kiel auf einer Höhe. Köln hat sich eine Luftkastenlänge nach vorne geschoben und wird das Rennen gewinnen. Vom Uferrand aus feuern die Teams ihre Boote lautstark an, die Steuerpersonen geben das Signal zum Endspurt. Es ertönt das Signal zur Zieldurchfahrt: 4-mal innerhalb von einer Sekunde. Vier Boote scheinen gleichzeitig durchs Ziel gefahren zu sein. Nach einer gefühlten Ewigkeit erscheinen die Live-Ergebnisse: aus dem Marburger Team ertönt ein Freudenschrei, der über den gesamten Regattaplatz zu vernehmen ist: Platz 2 und 3! Hundertstelsekunden haben letztendlich entschieden, dass nach der DHM die Saison noch nicht vorbei ist: Marburg fährt zu den World University Games!
„Es war so knapp – 7 Hundertstel Unterschied! Nach dem Rennen wusste niemand, ob es gereicht hatte. Aber wir hatten alles in dieses Rennen reingelegt und wurden belohnt. Das war ein überwältigendes Gefühl.“ (Hannah)

Vor 8 Jahren erschien zuletzt ein größerer Artikel über das Marburger Hochschulrudern. Das Motto damals wie heute: „In zwei Jahren zur Hochschulmeisterschaft“. In der kleinen Universitätsstadt an der Lahn werden jedes Jahr Studierende für das Rudern begeistert. Durch das Engagement der Marburger wurde bereits mehrere Male der Uni-Pokal für die Gesamtwertung des Nachwuchsruderns gewonnen. „Gute Leute muss man haben“. In diesem Jahr wurde ein neues Kapitel hinzugefügt: in einer Woche werden Studierende, die erst vor 3,5 Monaten das Rudern gelernt haben, bei den World University Games in Duisburg an den Start gehen. Eine unfassbare Geschichte, die selbst in dem bereits gut gefüllten Buch des Marburger Hochschulruderns so noch nicht geschrieben steht. Some people live their dreams…

„Nach dem knappen Rennen war zunächst nicht klar, ob wir uns für die WUG qualifiziert haben. Als uns dann am Steg die anderen entgegengerannt kamen und geschrien haben, wir wären qualifiziert, war ich sehr erleichtert. All das intensive Training der letzten Wochen hat sich gelohnt.“ (Anna)