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Forensische Phonetik

Foto: Mathias Scharinger

Forensische Phonetik ist die Wissenschaft von der Produktion, Transmission und Rezeption eines Schallereignisses in einem gerichtlichen Kontext - strafrechtlich oder zivilrechtlich. Auditive und technische Verfahren werden zur Analyse der aufgezeichneten Audio-Aufnahmen angewendet. 

Hauptbereiche der forensischen Phonetik:

  • Stimmenvergleich (Voice comparison)

    Hierbei handelt es sich um einen Vergleich von zwei oder mehreren Sprachaufzeichnungen. Aufnahmen eines unbekannten Sprechers/einer unbekannten Sprecherin (z.B. im Fall von Bedrohung, Erpressung, Entführung) werden phonetisch analysiert und mit Sprachaufnahmen eines oder mehrerer Verdächtigen/r verglichen. Bei der Beurteilung von Gemeinsamkeiten in verschiedenen Aufnahmen muss einerseits die Konsistenz, mit der Merkmale produziert werden, andererseits die Spezifität solcher Merkmale beachtet werden. Konsistenz deutet auf die Ähnlichkeit der Merkmale hin. Die Spezifität eines Merkmals definiert deren Einzigartigkeit/Besonderheit. Vergleich und Bewertung sprecherspezifischer Merkmale von Stimme, Sprache und Sprechweise in Hinsicht auf Identität oder Nicht-Identität der Sprecher ist die Hauptaufgabe innerhalb der forensischen Phonetik.

  • Sprecherprofil (Speaker profiling)

    Wenn eine Aufzeichnung der Täter existiert, die Polizei aber noch keinen Verdächtigen identifiziert hat, kann anhand der aufgezeichneten Stimme ein Profil erstellt werden. Hinweise bezüglich Geschlecht, Alter, Akzent und möglicher Herkunft, Bildungsgrad und sprechertypischer sprachlicher oder auch nicht-sprachlicher Angewohnheiten etc. sind für Ermittler wichtige Hilfsmittel bei der Suche nach Verdächtigen.

  • Transkription und/oder Textanalyse (Transcription)

    Hierbei handelt es sich um die einfache Verschriftlichung von Sprachmaterial oder um die Durchführung einer phonetischen und/oder linguistischen Analyse, falls eine Aufnahme schwer verständliche Sprachpassagen enthält (z.B. wegen schlechter Aufnahmebedingungen). Sprachliche und auch nicht-sprachliche Inhalte werden detailliert transkribiert.

  • Akustische Gegenüberstellung (Voice Lineup)

    Falls ein Zeuge die Stimme des Täters gehört, aber das Gesicht des Täters nicht gesehen hat oder identifizieren kann, wird eine akustische Gegenüberstellung durchgeführt. Um eine „gerechte“ Gegenüberstellung gewährleisten zu können, ist die phonetische Beratung bei der Vorbereitung und Durchführung äußerst wichtig.

Wichtig:

  • Übereinstimmungen in phonetischen Stimmanalysen sind nicht mit Übereinstimmungen von Fingerabdrücken oder DNA zu vergleichen, denn eine Stimme ist nicht einzigartig und ein Sprecher kann seine Stimme variieren (Nolan 1997: plasticity).
  • Externe Faktoren wie eine Erkältung (gesundheitlich) oder eine schlechte Telefonverbindung (technisch) können die Stimme zusätzlich beeinflussen. Ein Stimmvergleich kann deshalb nie mit 100%-iger Wahrscheinlichkeit zu einer Identifizierung eines Sprechers führen.
  • Wir orientieren uns an den internationalen Leitlinien forensischer Praxis, beschrieben in „The Code of Practice“ der International Association for Forensic Phonetics and Acoustics.

Forensische Phonetik in Marburg:

Die Abteilung der forensischen Phonetik hat viele Verbindungen zu anderen AGs/Fachbereichen/Instituten, z.B. zum Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas (eine der ältesten sprachwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen der Welt, die sich traditionell mit der Dialektologie, heute mit allen Bereichen der Sprachvariations- und Sprachdynamikforschung befasst; Ansprechpartner: Prof. Roland Kehrein), zu Neurolinguistik, Sprechwissenschaft, Klinische Linguistik, Deutsch als Fremdsprache (DaF). Darüber hinaus bestehen auf nationaler Ebene gute Kontakte zum Bundeskriminalamt (BKA, Wiesbaden), zum Bayerischen Landeskriminalamt (München) sowie zu den Universitäten Mainz und Frankfurt. 

Kontakt: Forensische Stimmanalyse / Beratung zum Studium der forensischen Phonetik:

Dr. Gea de Jong-Lendle
Institut für Germanistische Sprachwissenschaft AG Phonetik,
Philipps-Universität Marburg Pilgrimstein 16, Raum 217
D-35032 Marburg, Deutschland
Tel.  +49 (0)6421 28 24603
Email: gea.dejong@staff.uni-marburg.de