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WE 5: Schwache Elemente als Herausforderung beim Erwerb der Intonation in L3 Französisch: Evidenz von deutsch-türkischen Lernenden

Schwache Elemente wie die Reduktionssilbe in der zweiten Position des sog. kanonischen Trochäus und das darauf aufbauende Intonationssystem des Deutschen können zu Problemen beim Fremdsprachenerwerb führen. Dies gilt vor allem für die Zielsprache Französisch, deren Intonation nicht wort-, sondern phrasenbasiert ist. Anders als im Deutschen werden F0-Konturen hier nicht durch Wortakzentpositionen und die dort realisierten Tonhöhenakzente bestimmt, sondern durch die Grenzen prosodischer Phrasen, die durch eine obligatorische finale und eine fakultative initiale Prominenz markiert werden. Deutschsprachige Lernende übertragen den Wortakzent und v. a. das trochäische Muster “stark-schwach” ihrer Erstsprache (L1) oft auf das Französische und produzieren damit in der Zielsprache tendenziell zu viele prosodische Prominenzen. Das Türkische vereint Eigenschaften beider Sprachen: Im unmarkierten Fall weisen prosodische Wörter unabhängig von ihrer Länge finale Prominenzen auf, was der Endbetonung französischer Akzentphrasen entspricht. Allerdings kennt das Türkische auch eine wohl definierte Anzahl von Ausnahmen (Lehnwörter, Toponyme), die einen Wortakzent haben und damit dem System des Deutschen entsprechen. Der Erwerb der französischen Prosodie sollte türkischen Lernenden deshalb deshalb leichter fallen als deutschen. Auch für deutsch-türkisch bilinguale Lernende kann angenommen werden, dass sie von den beiden Betonungsstrategien ihrer Herkunftssprache profitieren und gegenüber monolingual deutschen Lernenden beim Erwerb der französischen Prosodie bevorteilt sind. Das Projekt geht diesen Überlegungen nach und untersucht den prosodischen Transfer im Französischerwerb. Ausgehend vom Deutschen scheint es der Fall zu sein, dass ein erfolgreicher Prosodieerwerb mit dem “Verlernen” der durch den Wortakzent gesteuerten Verteilung schwacher Elemente einhergeht. Das Projekt kombiniert Messungen der Sprachproduktion und -perzeption. Dabei werden Produktionsdaten von Lernenden phonetisch und phonologisch analysiert und mit französischen L1-Daten verglichen, bevor prosodische Abweichungen (durch die Realisierung einer wortbasierten Prosodie im Französischen) in der Wahrnehmung untersucht werden. Hier wird die Gehirnaktivität über das Elektroenzephalogramm gemessen; zudem werden Verhaltensdaten erhoben. Wir erwarten, dass sowohl die französische L1-Gruppe als auch die drei Lernergruppen Abweichungseffekte zeigen. Die stärksten Effekte sollten dabei bei der L1-Gruppe auftreten, die schwächsten bei den deutschen Lernenden. Eine Intervention zur Verbesserung des prosodischen Bewusstseins sollte diesen Effekt moderieren und zu einer Verbesserung sowohl der perzeptuellen Leistung als auch der Produktion in der Zielsprache beitragen. Das Projekt stellt die Themen der Forschungsgruppe damit in einen angewandten Rahmen und geht der Frage nach, inwieweit prosodische Muster der L1 beim Fremdspracherwerb “verlernt” werden müssen, um eine zielsprachliche Performanz zu erlangen.