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WE 6: Wahrnehmung und Produktion reduzierter Silben in L2 Deutsch: Zur Interaktion von lautlichem und grammatischem Lernen

Ziel des Projekts ist es, die Sensibilität erwachsener Deutschlernender mit L1 Italienisch, Französisch und Türkisch für unterschiedliche Typen reduzierter Silben, die [ə], [ɐ] oder einen silbischen Konsonanten beinhalten, im Gegensatz zu Vollvokalen zu untersuchen. Dabei soll ermittelt werden, ob die Lernenden Reduktionsvokale zielsprachlich verwenden, um grammatische Bedeutungen morphologischer Paradigmen zu kodieren bzw. zu dekodieren. Im Rahmen der Prosodischen Morphologie wird angenommen, dass dem kanonischen Trochäus “σ(stark)σ(reduziert)” eine zentrale Rolle bei der Bildung deutscher Pluralformen wie in Beet [ˈbeːt] – Beete [ˈbeːtə] zukommt (Wiese 2009). Ob die Sensibilität für Reduktionssilben eine Voraussetzung für den Erwerb der Pluralmorphologie des Deutschen ist, wird an Lernenden getestet, deren L1 systematisch von der Zielsprache abweicht: (1) Italienisch, das trochäische Muster, aber keine Reduktionsvokale aufweist, (2) Französisch, das nicht trochäisch ist, dessen Lautsystem aber Schwa enthält, und (3) Türkisch, das weder trochäische Muster noch Reduktionsvokale kennt. Erforscht werden soll, wie die Lernenden [ə] und [ɐ] im Gegensatz zu Vollvokalen kategorisieren und ob sie in der Lage sind, bei der Pluralbildung finale Reduktionssilben zu produzieren und zu interpretieren.

Um die Sensibilität der Lernenden für Reduktionssilben und deren Funktion in deutschen Pluralformen zu untersuchen, werden Produktionsdaten erhoben und zwei elektrophysiologische Wahrnehmungsstudien durchgeführt. Dabei wird untersucht, (1) ob Kontraste zwischen den Reduktionsvokalen [ə] und [ɐ] einerseits und zwischen Reduktionsvokalen und vollen Vokalen andererseits produziert und diskriminiert werden und (2) inwieweit die Produktion und Bewertung von Pluralformen prosodisch determiniert ist. Hierzu werden die akustischen Eigenschaften der intendierten Produktionen reduzierter Silben im Gegensatz zu Vollvokalen in gelesenen, elizitierten und halbspontanen Sprachdaten analysiert. Darüber hinaus wird der Grad der Zielsprachlichkeit der Lerneraussprache im Rahmen eines Rating-Experiments durch Personen mit L1 Deutsch bewertet. Um die Diskriminierungsfähigkeit für Reduktionsvokale zu testen, werden zunächst verschiedene Vokalpaare dargeboten, die entweder reduzierte und Vollvokale oder [ə] und [ɐ] kontrastieren. Weiterhin werden korrekte und falsche Pluralformen präsentiert, um die Sensibilität für die prosodische Restriktion bei der Pluralbildung zu testen. Schließlich wird die Wahrnehmbarkeit reduzierter Silben mit der Fähigkeit korreliert, diese zu produzieren und für prosodische Beschränkungen in der Morphologie zu nutzen. Dies ermöglicht, Vorhersagen der Prosodic Licensing Hypothese (Demuth 2019) zu prüfen. Insgesamt wird das Projekt die komplexen Zusammenhänge zwischen Phonologie und Morphologie auf unterschiedlichen Ebenen des Erwerbsprozesses, von der Lautkategorisierung bis zur Anwendung in der Morphologie, untersuchen.