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WE 7: Das Schreiben schwacher Silben
Das Schreiben eines Wortes ausgehend von seiner Lautform, z.B. beim Schreiben nach Diktat, wäre häufig nicht erfolgreich, wenn einfach nur eine Sequenz von Phonemen in eine Sequenz von Graphemen übersetzt würde (Phonem-Graphem-Konversion). Eine Schwierigkeit entsteht z.B. bei mehrsilbigen Wörtern: Die verschiedenen Silben sind unterschiedlich betont. So klingt der Vokal in der ersten (betonten) Silbe des Wortes <eher> anders als in der zweiten (unbetonten bzw. schwachen) Silbe, wird aber durch das gleiche Graphem verschriftlicht. Besonders herausfordernd sind dabei Wörter, bei denen der zweite Vokal typischerweise gar nicht gesprochen wird, aber trotzdem ein <e> geschrieben werden muss, wie in <Segel>. Wir gehen davon aus, dass ein kompetentes Schreiben mehrsilbiger Wörter (implizites) grapho-prosodisches Wissen erfordert, also z.B. Wissen darüber, dass im Deutschen der kanonische trochäische Fuß mit einer Abfolge einer betonten Silbe und einer Reduktionssilbe besonders typisch ist und die Reduktionssilbe, obwohl sie unterschiedlich ausgesprochen werden kann, immer mit <e> geschrieben wird (z.B. <Lade, Leder, Laden>).
Über welches grapho-prosodische Wissen verfügen Menschen mit unterschiedlicher Schreibkompetenz? In diesem Projekt soll untersucht werden, wie schwache graphematische Silben bei der Phonem-Graphem-Konversion repräsentiert werden. Dazu sollen bei Menschen verschiedener Kompetenzstufen (Kinder der Klassenstufen 2, 3 und 4 sowie Erwachsene) Schreibfehler analysiert werden, wie z.B. Auslassungen und Ersetzungen des Vokalgraphems in schwachen Silben. Wir gehen davon aus, dass Auslassungen von <e> für frühe Stadien grapho-prosodischen Wissens charakteristisch sind, während Substitutionen unbetonter Vollvokale durch ein <e> eine fortgeschrittenere Entwicklungsstufe im Verständnis prosodischer Strukturen des Deutschen zeigen, die aber im weiteren Verlauf auch überwunden wird, so dass kompetente Erwachsene solche Fehler kaum noch machen.
Darüber hinaus sollen kinematische Analysen durchgeführt werden, um die graphetischen Auswirkungen unterschiedlicher prosodischer Strukturen auf die Bewegungsausführung beim Schreiben mit der Hand zu untersuchen. Zentrale Annahmen des Projekts gehen davon aus, dass graphetische Reduktionen schwacher Schreibsilben (also z.B. kleinere Striche, weniger Schreibdruck) mit steigender Schreibkompetenz zunehmen und auch strategisch eingesetzt werden können, um begrenzte feinmotorische Ressourcen optimal einzusetzen, z.B. unter Zeitdruck oder bei motorischen Störungen im Rahmen einer Parkinsonerkrankung.
Die Ergebnisse des Projekts sollen die Modellierung der Prozesse bei der Phonem-Graphem-Konversion um prosodische Strukturen erweitern und den Einfluss dieser Strukturen auf den Schriftspracherwerb und das kompetente Schreiben herausarbeiten. Zudem sollen Zusammenhänge beim Einsatz grapho-prosodischen Wissens beim Schreiben und Lesen und der Einfluss prosodischer Verarbeitung in der Lautsprache untersucht werden.