16.08.2021 Prof. Dr. Jürgen Hanneder: Reflexionen über den Begriff »Akademischer Nachwuchs«

Am 22.-24.7.2021 fand in Wien weitgehend per Video-Konferenz das International Indology Graduate Research Symposium statt, eine internationale Konferenz des indologischen Mittelbaus. Wie bei früheren Konferenzen dieser Organisation, es handelte sich um die zwölfte dieser Art, sollen die Beiträge in einem Band der Reihe Puṣpikā publiziert werden.

Da ich als Senior Speaker eingeladen war, dachte ich, daß eine Reflexion über den Begriff »Akademischer Nachwuchs« vielleicht ein sinnvoller Beitrag zu einem Thema wäre, welches viele Teilnehmer betrifft, und zu dem ich aus historischer Sicht, wie auch aus persönlicher Erfahrung etwas sagen könnte. Mein Beitrag löste Diskussionen aus und legte unbeabsichtigt einige Wunden offen. Da mir das Thema am Herzen liegt, möchte ich Teile dieser Diskussion hier kurz festhalten. (Mein Beitrag erscheint demnächst in den proceedings).

Zwei Reaktionen von Teilnehmern, von Vitus Angermeier und von Georgi Krastev, finden sich auf der Homepage von Vitus Angermeier: https://homepage.univie.ac.at/vitus.angermeier/website/articles/

Ich habe es sehr bedauert, daß wir die Diskussionen wegen des Videokonferenz-Formats nicht wie sonst üblich nach den Veranstaltungen weiterführen konnten. Die Schriftform ist hierfür nur ein schwacher Ersatz.

Den Akademikern in Deutschland ist das Thema sicher wohlbekannt, es gilt hier wohl als unlösbares Problem. Die Situation in vielen anderen Ländern dürfte vergleichbar sein, auch wenn die rechtlichen und andere Rahmenbedingungen sich sehr unterscheiden. Christina Pecchia wies auf die italienische Diskussion hin. Hier wird das italienische Pendant zur »Nacht der Wissenschaft« polemisch damit erklärt, daß die Wissenschaftler am Tag natürlich einer »Brotarbeit« nachgehen müssen. Man erkennt die Parallelen.

Spricht man die schlechten Aussichten des akademischen Nachwuchses hierzulande an, wird die Beweislast meist umgekehrt. Etwa: Wie sollen denn neue Generationen eine Chance bekommen, in den akademischen Arbeitsmarkt einzutreten, wenn die wenigen Stellen durch Entfristete blockiert sind. Aber bevor man akademisch defensiv in sich geht und zugibt, daß man auch keine Patentlösung bieten kann, man nur auf das Problem hinweisen wollte und dann alles beim Alten bleibt, möge man bitte folgendes bedenken:

In den Universitäten hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Reformkultur ausgebildet, die alle zur Beschäftigung mit ständig umgeworfenen Studienordnungen, Fachzuschnitten und vielem mehr gezwungen hat. Ein Heer von Experten und Beratern wurde angestellt, um den Lehrenden die neuen Strukturen näherzubringen, manchmal auch um aktuelle Moden einzelner Fächer den anderen aufzuzwingen, ich denke hier an die Sprachvereinheitlichung der Kompetenzorientierung, deren Kritik ebenso verbreitet wie tabuisiert ist. Solche Planungsstäbe gibt es auf der Ebene der Universitäten in den Präsidien, aber auch als größere Institutionen und Zentren für Hochschulplanung. Wir, die Lehrenden, sind hierbei Reform- und Studienobjekte, haben aber auch die Aufgabe, ständig erneuerte zentrale Vorgaben umzusetzen, und dann für die Umsetzung, den Erfolg oder Mißerfolg dieser Pläne geradezustehen. Die Machtstrukturen bewirken, daß die Urheber von, sagen wir »unglücklichen«, Reformen für ihre Planungen nicht verantwortlich gemacht werden, jedoch haben manche kleine Fächer die Reformorgien ohne eigene Schuld – die Planung erfolgt top-down, und ein Widerspruch ist nicht vorgesehen – mit ihrer Streichung bezahlen müssen.

Die finanziellen Kosten dieses Systemwechsels waren und sind erheblich, wurden aber nie hinterfragt. Auch die Umwidmung von Forschungskapazität in Verwaltungsarbeit, die allen Betroffenen schmerzlich bewußt ist und eine systematische Reduktion von Forschungsleistung bewirkt, ist ebenfalls kein Thema.

Ich finde es daher nicht unbillig, von den Planungsstäben dieser Republik bessere Konzepte für den akademischen Mittelbau zu fordern und die Frage der Kosten mit dem Hinweis darauf zu beantworten, daß die Lösung dieses Problems nach einigen Jahrhunderten überfällig und alternativlos ist.

J. Hanneder