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Die Geschichte der Marburger Indologie und Tibetologie

Poster Fachgeschichte der Marburger Indologie

Das Studium des Sanskrit und der indischen Kultur wurde zu Beginn des 19. Jhs. an verschiedenen deutschen Universitäten heimisch, zuerst in Jena (1817) und Bonn (1818). Die ehemaligen Bonner Studenten, die bei August Wilhelm SCHLEGEL (1767–1845) und Christian LASSEN (1800–1876) gehört hatten, wurden eine akademische Generation später auf Lehrstühle berufen. In Marburg wurde der erste Sanskritkurs im Wintersemester 1843/44 von dem Philosophen Franz VORLÄNDER angeboten, der in Bonn und Berlin studiert hatte.

 
Gildemeister

Johannes GILDEMEISTER (1812–1890)


Ein Jahr später, 1845, wurde Johannes GILDEMEISTER (1812–1890), ebenfalls ein Schüler SCHLEGELs, nach Marburg berufen. Der Grund war allerdings außerfachlich: GILDEMEISTER hatte noch in Bonn in einem Buch die katholische Reliquienverehrung angeprangert und erhielt aus diesem Grunde den Ruf an die Theologie der alten protestantischen Universität Marburg. Er unterrichtete Altes Testament, orientalische Sprachen, aber auch Sanskrit. Als Philologe der Bonner Schule vermittelte er den Studenten, oder dem einen Studenten, der sich zu ihm verirrte, die »exacte philologische Methode«, die »zum genauen Übersetzen und vollen Verständnis des Schriftstellers«, der gerade gelesen wurde, führen sollte.

 
Justi

Ferdinand JUSTI (1837–1907)


Nach der Rückberufung Johannes GILDEMEISTERs nach Bonn 1859 wurde in Marburg 1865 eine Professur für vergleichende Grammatik und germanische Philologie begründet, die aber vom Stelleninhaber Ferdinand JUSTI (1837–1907), der bei GILDEMEISTER studiert hatte, auch als orientalistische Professur realisiert wurde. JUSTIs Interessen lagen in der Iranistik, aber auch in der Indogermanistik und Germanistik. Die Indologie vertrat er ebenso regelmäßig in der Lehre.

 
Thumb

Albert THUMB (1865–1915)


Aus Ferdinand JUSTIs Ordinariat ging der Lehrstuhl für indogermanische Sprachwissenschaft hervor, der 1901 mit Albert THUMB (1865–1915), einem Schüler BRUGMANNs und OSTHOFFs, besetzt wurde. In seiner Marburger Zeit veröffentlichte THUMB sein Handbuch des Sanskrit, welches in mehreren Überarbeitungen immer noch zum Einstieg in das Altindische für Indogermanisten geeignet ist. 1909 folgte THUMB einem Ruf als Ordinarius an die Universität Straßburg.

 
Geldner

Karl Friedrich GELDNER (1852–1929)


Mit der Berufung des bereits 55-jährigen Karl Friedrich GELDNER (1852–1929) wurde in Marburg 1907 die Indologie auf höchstem Niveau etabliert. GELDNER legte den Grundstein für eine nennenswerte Bibliothek, nach Ablehnung des Rufes nach Kiel erbat er eine Sonderfinanzierung, die er dann unter den nunmehr drei Abteilungen (Indologie, Indogermanistik, Semitistik) aufteilte. Das Unterrichtsspektrum war stark erweitert und erfuhr durch den Privatdozenten Max LINDENAU (1885–1980) ab dem Wintersemester 1919/20 eine Verstärkung. Dieser verließ allerdings bald die Universität, als nach einer von ihm gehaltenen esoterisch-okkultistischen Vorlesung, die in Marburg für großes Aufsehen sorgte, Zweifel an seiner wissenschaftlichen Qualifikation aufkamen. GELDNER errang als Vedist trotz seiner Zurückgezogenheit weltweite Bekanntheit; die Glückwünsche zum 75. Geburtstag – eine Festschrift lehnte er ab – waren von allen bekannten Indologen der Zeit unterzeichnet. Das an die Unterzeichnenden gerichtete Anschreiben läßt keinen Zweifel daran, daß GELDNER bereits zu Lebzeiten als herausragender Indologe galt: »In der indischen Philologie, besonders aber auf seinem Spezialgebiet, der Vedaforschung, spielt Geldner eine führende Rolle, und sein Ruf als Lehrer und Gelehrter ist in Deutschland und im Ausland unbestritten.« In seinem Nachruf schrieb sein Kollege JACOBSOHN in den Mitteilungen des Marburger Universitätsbundes (1929), daß GELDNER in Indien und Amerika bekannter sei als in Marburg selbst.

 
Oertel

Hanns OERTEL (1868–1952)


Bereits 1921 wurde Hanns OERTEL (1868–1952), der bei WHITNEY studiert und lange in Yale gelehrt hatte, als Nachfolger GELDNERs berufen. OERTEL paßte mit seinem Spezialgebiet der vedischen Studien sehr gut in das von GELDNER geprägte Profil, doch bereits nach drei Jahren wurde er nach München weiterberufen. Auf OERTEL folgte in Marburg nur für kurze Zeit, 1925–1927, Jakob Wilhelm HAUER (1881–1962), der als willkommener Partner des berühmten Marburger Theologen Rudolph OTTO sogar den fachlich weit überlegenen Mitbewerber Helmuth VON GLASENAPP ausstechen konnte. Als er 1927 auch den Ruf nach Tübingen erhielt, da sein Lehrer Richard GARBE für ihn intervenierte, verließ er Marburg. Im Jahre 1928 vertrat der Emeritus GELDNER für einige Zeit wieder allein die Indologie.

 
Nobel

Johannes NOBEL (1887–1960)


Am 26. März 1928 wurde Johannes NOBEL (1887–1960) auf den Lehrstuhl für Indologie berufen. NOBEL hatte u.a. bei PISCHEL, SCHULZE und SIEG studiert. Nach PISCHELs Tod wurde LÜDERS sein Lehrer, bei dem er im Dezember 1911 mit einer Arbeit über die indische Poetik promovierte. NOBEL wendete sich nach Studien zur indischen Poesie und Poetik der Buddhismuskunde zu. Tibetisch hatte er bereits in Berlin erlernt, nun brachte er sich noch Chinesisch und Japanisch im Selbststudium bei und verfaßte modellhafte Arbeiten in der Buddhismuskunde. Anders als sein Vorgänger HAUER biederte er sich dem NS-Regime nicht an, stand bei Auslandsreisen offenbar unter Beobachtung, konnte aber trotz allem die Kontinuität der Indologie in Marburg bewahren. NOBEL bestritt die Lehre in der Indologie längere Zeit im Alleingang, wobei er jedes Semester Veranstaltungen für Sanskrit, Chinesisch, Tibetisch und manchmal auch Japanisch abhielt. In den Jahren 1941–44 wurde er im ostasiatischen Bereich von Junyu KITAYAMA unterstützt. KITAYAMA war ein buddhistischer Mönch, der in Heidelberg bei Karl JASPERS promoviert hatte und in Marburg als Honorarprofessor auch religionsvergleichende Themen unterrichtete. NOBEL lehrte Indologie bis ins Jahr 1955. In Marburg sind seine wissenschaftliche Hauptwerke zum »Goldglanz-Sūtra« entstanden. Zuletzt vertrat sich NOBEL bis zur Berufung seines Nachfolgers für zwei Semester selbst.

 
Rau

Wilhelm RAU (1922–1999)


Wilhelm RAU (1922–1999) hatte bei WELLER in Leipzig, dann bei NOBEL in Marburg, schließlich zwei Jahre in Indien studiert. 1957 kam RAU als Nachfolger NOBELs nach Marburg, wo er bis 1988 lehrte. Mit ihm wurde wieder ein ausgewiesener Vedist, allerdings mit einem umfassenden Spektrum innerhalb der Indologie, berufen. Zu seinen weiteren Spezialgebieten zählten die einheimische indische Grammatik und die Realienkunde, auf denen RAU Grundlegendes geschaffen hat. Das Fach erfuhr noch eine Erweiterung durch den Privatdozenten Claus VOGEL (1933–2012), der von 1959 bis 1976 für das Tibetische zuständig war, und durch die Einrichtung eines neuindischen Lektorates, welches der indische Gelehrte Peri Sarveswara SHARMA (1926–2000) bis 1991 innehatte. Mit fast 20 erfolgreichen Dissertationen unter RAUs Ägide zeichnete sich das kleine Institut durch eine fachlich gediegene und anregende Atmosphäre aus.

Mit RAUs Nachfolger Michael HAHN (geb. 1941) wurde ein vor allem im Bereich der indischen Dichtung und der Tibetologie profilierter Gelehrter gewonnen, der die intensive akademische Atmosphäre weiterpflegen konnte. Eine Bereicherung für die Marburger Indologie und Tibetologie war ferner Bhikkhu PĀSĀDIKA (geb. 1939), der lange Jahre als Honorarprofessor tätig war. Um so größer war die Verwunderung, als bekannt wurde, daß das Marburger Institut trotz ausgezeichneter Leistungen in der Forschung nach der Emeritierung von HAHN im Jahre 2006 geschlossen werden sollte. Nach Protesten wurde der Studiengang von der Landesregierung wieder eingerichtet. Im Jahre 2007 wurde die Stelle mit Jürgen HANNEDER (geb. 1964) besetzt.

 
Hahn

Michael HAHN (1941–2014)


 

   

Literaturtip: Indologie im Umbruch. Zur Geschichte des Faches in Marburg 1845–1945.  Antrittsvorlesung von Jürgen Hanneder. München 2010. (Indologica Marpurgensia, Band I).

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