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Was sind unsere Bildungsziele?

Grundlage des im MarSkills Studienbereiches angelegten Forschungsrahmen sind spezifische Bildungsziele, denen ein ganzheitliches Verständnis von Bildung zugrunde liegt. Im Zentrum stehen dabei (1) die Bildung einer autonomen und mündigen Persönlichkeit der Studierenden, (2) die aktive Mitgestaltung am gesellschaftlichen Wandel, (3) die Vermittlung bzw. der Erwerb von Future Skills, die für den Arbeitsmarkt der Zukunft als besonders relevant eingestuft werden, (4) die Weitergestaltung bzw. -entwicklung von Wissenschaft.

Im Zentrum dieser Bildungsziele steht der Erwerb überfachlicher Kompetenzen – so z.B. kritisches Denken, Digital Literacy, ethische oder kommunikative Kompetenzen. Als „Future Skills“ gefasst, werden hierunter Schlüsselkompetenzen verstanden, die in mehreren Inhalts- und Lebensbereichen von Nutzen sind. Im umfassenden MarSkills Studienbereich wird neben Veranstaltungen mit spezifischen, einzelnen Kompetenzbereichen auch das interdisziplinär angelegte Marburg Modul angeboten. Als Herz des Studienbereichs hat das Marburg Modul das Anliegen, die zukunftsorientierten Schlüsselkompetenzen in gebündelter Form ganzheitlich zu vermitteln. Es will Studierende aus allen Fachbereichen dazu motivieren, selbstgewählte Themen von gesellschaftlicher Relevanz im Rahmen eigenständiger Projektarbeit zu gestalten – die darin aktiv angelegte Rolle der Studierenden soll den Erwerb von Future Skills besonders fördern. Auf diese Weise will der MarSkills Studienbereich einen „Beitrag der Wissenschaft zur Bewältigung Großer gesellschaftlicher Herausforderungen“ (WR 2015: 27) leisten.

Im Kontext dieser Bildungsziele bewegen sich auch die den Studienbereich begleitenden Promotionen: So blickt zum einen David Piesk auf den Zusammenhang von Schlüsselkompetenzen und universitären Bildungszielen im Rahmen aktueller Future-Skills-Konzepte. Zum anderen widmet sich Anne Kraatz der Einschätzung und Vorbereitung der Marburger Lehrenden, Future Skills lehren zu können.

 

Literatur

WR (Wissenschaftsrat) (2015): Zum wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen. Positionspapier.

  • 1. Bildung der Persönlichkeit

    Die Persönlichkeitsbildung an der Universität versteht sich komplementär zur reinen Fachausbildung und steht in der Tradition des Humanismus. Ihr Ziel ist es, Studierende bei der Entwicklung einer eigenständigen und kritischen Urteilsfähigkeit zu unterstützen. Eine so verstandene Rationalität, die auf dem reflektierenden Abwägen von Gründen basiert, bildet wiederum die Grundlage für ein selbstbestimmtes, verantwortungsvolles und nachhaltiges Handeln. Dabei ist auch die Förderung lebensweltlichen Orientierungswissens von Bedeutung, das dem Individuum die eigene Stellung in der Welt näher bringt und als kollektives Wissen die gesellschaftliche Verständigungspraxis sicherstellt.

    Die in universitären Bildungszielen verankerte Persönlichkeitsbildung zielt zunächst auf die Entfaltung individueller Potenziale und die Realisierung eigener Vorsätze in der Lebenspraxis – diese ist aber a priori sozial gebunden. Gerade im Lichte gesellschaftlicher Herausforderungen muss ein zeitgemäßes Verständnis von Persönlichkeitsentwicklung die Ausbildung und Förderung sozialer Kompetenzen (z.B. Kooperationskompetenz, Ethikkompetenz) berücksichtigen, wodurch die individuelle Lebenspraxis stärker in den Rahmen politisch-sozialer Verantwortung und gemeinsamer gesellschaftlicher Wertevorstellungen gestellt wird (Spoun & Wunderlich 2005).

    Dafür bedarf es neben einer erlernten kritischen und moralischen Urteilsfähigkeit auch der entsprechenden Durchsetzungskraft im Sinne von Handlungskompetenz, die über fachspezifisches Wissen hinausgeht. Sie ermöglicht den Einklang zwischen eigenen Überzeugungen und gelebter Praxis (Nida-Rümelin 2013). Darüber hinaus zeichnet ein angemessener Umgang mit den eigenen Emotionen die gebildete und mündige Persönlichkeit aus (Flitner 1969). Denn das Einnehmen unterschiedlicher Rollen in beruflichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Kontexten erfordert einen sicheren Umgang mit teils sich widersprechenden sozialen und kulturellen Anforderungen, für die neben kritischem Denken auch Kompetenzen wie Resilienz, Ambiguitätstoleranz und ethische Kompetenz notwendig sind (Ehlers 2019; Dahrendorf 1958). Eine solche Persönlichkeitsbildung ist zugleich stark an Erfahrungsmomente der Studierenden gebunden. Es bedarf daher konkreter Reflexionsräume, in denen das Erfahrene überdacht und eingeordnet werden kann (Rogmann 2016). Die MarSkills und insbesondere das Marburg Modul verstehen sich somit als disziplinübergreifender Erfahrungs- und Übungsraum, um autonome, kritische und handlungsfähige Persönlichkeiten ganzheitlich zu fördern.

    Literatur

    Dahrendorf, R. (1958): Homo sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle. Wiesbaden

    Ehlers, U.-D. (2019): Future Skills und Hochschulbildung „Future Skill Readiness“. In: Hafer, J./Mauch, M./Schumann, M. (Hrsg.): Teilhabe in der digitalen Bildungswelt. Münster, S. 37-48.

    Flitner, A. (1969): Die Universität – Berufsschule oder Bildungsstätte. In: Schulz G. (Hrsg.): Was wird aus der Universität? Tübingen.

    Nida-Rümelin, J. (2013): Philosophie einer humanen Bildung. edition Körber-Stiftung Hamburg.

    Rogmann, J. J. (2016): „Persönlichkeitsentwicklung“ als „Qualifikationsziel“ an deutschen Universitäten? In: U. Konnertz/Mühleisen, S. (Hrsg.): Bildung und Schlüsselqualifikationen: Zur Rolle der Schlüsselqualifikationen an den Universitäten. Frankfurt, S. 141-159.

    Spoun, S./Wunderlich, W. (2005): Zur Einführung, in: Studienziel Persönlichkeit. Beiträge zum Bildungsauftrag der Universität. Frankfurt/New York.

  • 2. Gesellschaftlichen Wandel mitgestalten – Bildung von aktivem Bürgersinn

    Die Bildung einer kritisch-reflektierenden und verantwortungsvoll handelnden Persönlichkeit steht im Kontext des lebenslangen Lernens und ist Voraussetzung dafür, dass Individuen ihre Rolle als mündige Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Gesellschaft wahrnehmen.

    Dass eine freiheitliche und zugleich sozial gerechte Gesellschaft auf zivilgesellschaftliches Engagement angewiesen ist, spiegelt sich darin, dass der „freiheitliche, säkularisierte Staat […] von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann“ (Böckenförde 1991: 112). Der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, kann demnach nicht von außen – per Gesetz – verordnet werden. Vielmehr speist sich die Regulierung aus der „moralischen Substanz“ (ebd.) und der Handlungsfähigkeit jedes Einzelnen. So ist die Gesellschaft darauf angewiesen, dass ihre Bürgerinnen und Bürger „einen am Wohl der Gemeinschaft orientierten Standpunkt" (Nida-Rümelin 2013: 186) einnehmen und für diesen aktiv eintreten können. Gerade das Studium bietet dabei Impulse für gesellschaftliches Engagement, z.B. im Rahmen hochschulpolitischer Aktivitäten, Lehrveranstaltungen, Studierendenorganisationen oder eines Engagements außerhalb der Universität.

    Auch formal hat die Universität den Auftrag, unter den Studierenden „die Befähigung zu gesellschaftlichem Engagement“ (Akkreditierungsrat 2013: 11) zu fördern. Entsprechend erscheint gerade der Erwerb von Future Skills geeignet, Studierende durch entsprechende Lehr-/Lernformate in ihrer „Bürgerkompetenz“ (Europäischer Rat 2018: 4) zu fördern. Die Förderung eines aktiven Bürgersinns orientiert sich im Studium besonders am Konzept der „gesellschaftlichen Kompetenz“ (Matthes 2015: 186f.). Dieses knüpft inhaltlich nicht nur an politische, ökologische, ökonomische sowie ethisch-kulturelle Fragestellungen an, sondern ist gleichermaßen moral- und handlungsbezogen (ebd.). Der Fokus auf eine gesellschaftsbezogene Handlungsfähigkeit unterstreicht dabei, dass Studierende nicht nur im Sinne „reflektierter Zuschauer“ über gesellschaftliches Urteilswissen verfügen; sie besitzen als „interventionsfähige Bürger“ auch den Willen und die Fähigkeit sich in gesellschaftliche Belange einzumischen (Detjen 2013: 222ff.). Dies zu fördern erscheint umso relevanter, ist diese Gruppe doch später überproportional häufig in Schlüsselpositionen mit gesellschaftlicher Verantwortung vertreten (Hartmann 2004).

    Der MarSkills Studienbereich und vor allem das inter- und transdisziplinäre Marburg Modul möchten Studierende für die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Wandel sensibilisieren und sie auf der Basis der zuvor genannten Schwerpunkte im Rahmen einer gesellschaftlichen Kompetenz zu fördern. Neben selbstgewählten Fragestellungen von gesellschaftlicher Bedeutung und der Möglichkeit, mit außeruniversitären Akteuren zu kooperieren, versteht sich das Marburg Modul ferner als Plattform für den kritischen Austausch eigener mit fremden Standpunkten und als Erprobungsraum, sich für gesellschaftliche Themen aktiv einzusetzen.

    Literatur

    Akkreditierungsrat (2013): Regeln für die Akkreditierung von Studiengängen und für die Systemakkreditierung. Drs. AR 20/2013.

    Böckenförde, E. W. (1991): Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. In: ders.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. Frankfurt, S. 92-114.

    Detjen, J. (2013): Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland. München.

    Europäischer Rat (2018): Empfehlung zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen.

    Hartmann, M. (2004): Elitensoziologie. Frankfurt.

    Matthes, W. (2015): Gesellschaftliche Kompetenz. In: Ufert, D. (Hrsg.): Schlüsselqualifikationen im Hochschulstudium. Opladen, Toronto, S. 186-193.

    Nida-Rümelin, J. (2013): Philosophie einer humanen Bildung. edition Körber-Stiftung Hamburg.

  • 3. Future Skills und der Arbeitsmarkt – Eine komplementäre Beziehung

    Sowohl der sozioökonomische Wandel als auch technologische Veränderungen – besonders im Zuge der digitalen Revolution – haben als Treiber gesellschaftlicher Veränderung auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, der in zunehmendem Maße durch den „Drift to Self-Organisation“ (Ehlers 2020: 129) gekennzeichnet ist. In Selbstorganisationsprozessen wirken dabei „Elemente in einem System auf bestimmte, aber unvorhersagbare Weise zusammen“ (ebd.). Diese Unvorhersehbarkeit wird auch unter dem Begriff emergenter Kontexte zusammengefasst, die den Arbeitsmarkt der Zukunft im Wesentlichen kennzeichnen (ebd: 129f.).

    Entsprechend spielen bereits in Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt der Zukunft der Erwerb und die Verinnerlichung von Future Skills wie Digital Literacy, Lernkompetenz und Design Thinking gerade bei Studierenden eine wichtige Rolle – dies gilt umso mehr, als die Wirtschaft der Herausforderung einer sozial-ökologischen Transformation gegenübersteht und die Graduierten als Entscheidungsträger aufgerufen sind, diesen Wandel verantwortungsvoll zu gestalten (Holst/Martin 2017; Hartmann 2004).

    Der grundsätzliche Anspruch auf Employability, die Vorbereitung zukünftiger Arbeitnehmerinnen und -nehmer auf den Arbeitsmarkt, steht in einem Spannungsfeld zwischen Erwartungen aus der Wirtschaft und dem Bildungsanspruch wissenschaftlicher Expertisen, die ein einseitiges auf die berufliche Qualifizierung abzielendes Verständnis der Universität ablehnen – und darin eher eine berufliche Befähigung sehen. So kritisiert etwa Lenzen (2012), dass die deutschen Universitäten in ihrer Tradition weder ,Ausbildungsstätten‘ noch eindimensionale ,Fertigungsstraßen‘ seien. Inwieweit sich Studium und Lehre demnach an den Vorstellungen der Unternehmen orientieren sollten, wird vielfach diskutiert.

    Werden „Transformationsprozesse innerhalb eines Berufsfeldes […] intensiver, tiefgreifender und schneller“ (Ehlers 2020: 204) wahrgenommen, benötigen zukünftige Arbeitnehmerinnen und -nehmer ein entsprechendes Kompetenzprofil, das sie dazu befähigt, mit ständig wechselnden Herausforderungen adäquat umzugehen.

    Dieser Flexibilisierung und Modernisierung im Arbeitsumfeld trägt auch der MarSkills-Bereich mit seinen fachübergreifenden Modulinhalten Rechnung. Bereits in Bachelorstudiengängen wird so der Fokus auf die Erweiterung und Vertiefung von relevanten Schlüsselkompetenzen gelegt, um Studierende auch auf den Arbeitsmarkt der Zukunft vorzubereiten.

    Literatur

    Ehlers, U.-D. (2020): Future Skills. Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. Wiesbaden.

    Hartmann, M. (2004): Elitensoziologie. Frankfurt.

    Holst, E./Friedrich, M. (2017): Führungskräfte-Monitor 2017. Update 1995-2015. DIW Politikberatung kompakt 121. Berlin.

    Lenzen, D. (2012): Hochschulen sind keine Fertigungsstraßen: Neun provokative Anmerkungen zum Bologna- Prozess. Forschung & Lehre, 19(5), 356-358.

  • 4. Modus 2: Wissenschaft weiterdenken und -entwickeln

    In Zeiten technologischen und sozialen Wandels entwickeln sich auch Verständnis und Praxis von Wissenschaft weiter. Beispiele wie die Energiewende, Smart-City-Projekte oder die Bekämpfung der Corona-Pandemie verdeutlichen den Stellenwert der Wissenschaft bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen. So bilden etwa im Rahmen von „Horizont Europa“, dem Förderungsprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union, ebensolche gesellschaftlichen Herausforderungen den Ausgangspunkt künftiger Forschung (BMBF 2022). Neben der Kooperation unterschiedlicher akademischer Disziplinen - und damit innerhalb eines interdisziplinären Rahmens – wird dabei auch die Involvierung von Akteurinnen und Akteuren aus der gesellschaftlichen Praxis sowie deren Wissens- und Erfahrungsbestände in den Fokus gerückt – so etwa aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft.

    Eine solche Zusammenarbeit mit dem Ziel der gemeinsamen Wissenserzeugung wird unter den Begriffen Modus 2 oder Transdisziplinarität beschrieben - und damit über eine Wissensgenerierung im rein wissenschaftlichen Kontext hinausgehen (Modus 1). Kennzeichnend ist in diesem erweiterten Kontext dabei der Charakter „einer anwendungsorientierten, praxisintegrierten und disziplinenübergreifenden Forschung“ (Langemeyer 2021: 185), die im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlich organisierten Einrichtungen und wissenschaftlichen Institutionen steht. Der Universität wird so noch deutlicher der Status einer Plattform für Wissenschaft in der Öffentlichkeit zuteil: Sie wird zu einer zentralen, gesellschaftsverbundenen Akteurin und tritt aus ihrer teilweise isolierten Disziplinarität heraus.

    Der Erwerb von Future Skills soll im MarSkills Studienbereich dem Anspruch an eine disziplinerweiternde Forschung gerecht zu werden und das Arbeiten in inter- und transdisziplinären Teams begleiten. Dabei sind personale, methodische und soziale bzw. gesellschaftliche Kompetenzen von Bedeutung, da sie Selbstorganisation, effizientes Projektmanagement und Verständigung im Team gleichermaßen ermöglichen. Weiterhin sollen Studierende und Lehrende dazu motiviert werden, Forschungsfragen und Themen aufzugreifen, die gesellschaftlich bewegen und zwar unabhängig davon, „ob es sich um alternative ökonomische Modelle, die Verbreitung dezentraler Energien oder Antworten auf den demographischen Wandel oder die zunehmende Diversität in Städten und Regionen geht“ (Schneidewind 2013: 30).

    Literatur

    BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) (2022): Sozial- und Geisteswissenschaften in Horizont Europa; [online] zuletzt abgerufen am 04.07.2022: https://www.nks-gesellschaft.de/de/Sozial-und-Geisteswissenschaften-in-Horizont-Europa-1856.html

    Langemeyer, I. (2021): Modus 2. In: Schmohl, T./Philipp, T. (Hrsg.): Handbuch Transdisziplinäre Didaktik. Bielefeld, S. 185-194.

    Schneidewind, U. (2013): Plädoyer für eine Bürgeruniversität. duz Magazin, 8, 30-31.

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