10.05.2023 Stellungnahme der Marburg Group zum Vorschlag einer Europäischen Abstammungsverordnung

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“If you are parent in one country, you are parent in every country.” Mit dieser zu einem geflügelten Wort gewordenen Äußerung aus dem Jahr 2020 hat die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen ein Problem angesprochen, das zahlreiche Personen in der Europäischen Union bewegt: die Frage, ob ein Eltern-Kind-Verhältnis, das in einem Mitgliedstaat wirksam begründet wurde, auch in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden kann und muss. Die grenzüberschreitende Anerkennung eines Elternschaftsverhältnisses ist – selbst innerhalb der Europäischen Union – keineswegs selbstverständlich. Hintergrund ist das höchst unterschiedlich ausgestaltete Abstammungsrecht in den Mitgliedstaaten. Während sich einige Rechtsordnungen modernen Familienstrukturen gegenüber offen zeigen und etwa auch gleichgeschlechtliche Elternschaft anerkennen, liegt dem Familienrecht anderer Staaten nach wie vor ein eher traditionelles Verständnis von Familie und Elternschaft zugrunde, das ausschließlich verschiedengeschlechtliche Elternschaft akzeptiert. Vor diesem Hintergrund kann es beispielsweise vorkommen, dass ein Kind zwar aus Sicht des spanischen Rechts zwei Mütter hat, in Polen aber nur eine dieser Personen als Mutter gilt, während die zweite Elternstelle nur ein Mann als Vater einnehmen könnte. Ebenso sind Konstellationen denkbar, in denen ein Mann zwar nach französischem, nicht aber nach deutschem Recht Vater eines bestimmten Kindes ist. Derartige Unterschiede können in Fällen, in denen die betreffende Familie ihren Lebensmittelpunkt von einem Staat in einen anderen verlegt, erhebliche Probleme bereiten – so etwa, wenn das Kind Unterhalt von einem Elternteil fordern möchte oder sich auf ein von den Eltern abgeleitetes Erbrecht beruft. Die genannten Schwierigkeiten erwachsen daraus, dass jeder Staat für sich entscheidet, welches Recht (deutsches oder französisches, spanisches oder polnisches etc.) er anwendet, wenn die Abstammung eines Kindes zu klären ist. Maßgebend für diese Entscheidung sind die Regelungen des Internationalen Privatrechts, das in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union jeweils unterschiedlich ausgestaltet ist und deshalb auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.

Um diesen Zustand zu beenden hat die Europäische Kommission am 7. Dezember 2022 den Vorschlag für eine Europäische Abstammungsverordnung vorgelegt. Das Ziel ist es, durch einheitliche Regelungen im Bereich des Internationalen Privat- und Prozessrechts jedenfalls innerhalb der Europäischen Union Rechtssicherheit im Hinblick auf die Begründung (und die Beendigung) von Elternschaft zu schaffen.

Ob der Verordnungsvorschlag tatsächlich verabschiedet wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie überzeugend die betreffenden Regelungen ausgestaltet sind. Vor diesem Hintergrund haben sich fünf an verschiedenen deutschen Universitäten tätige Wissenschaftler*innen unter dem Namen „Marburg Group“ zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen. Die Gruppe bestehend aus Christine Budzikiewicz (Marburg), Konrad Duden (Leipzig), Anatol Dutta (München), Tobias Helms (Marburg) und Claudia Mayer (Regensburg) hat den Vorschlag der Europäischen Kommission eingehend untersucht und Vorschläge für eine Optimierung unterbreitet. Die Stellungnahme der Marburg Group wurde am 10. Mai 2023 veröffentlicht. Der Text ist abrufbar unter https://www.marburg-group.de/.